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„Die Politik wird immer Wege suchen, die an Schuldenregeln vorbeiführen“, ist Stefan Korioth überzeugt.

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Verfassungsjurist zur Schuldenbremse: „Lieber eine einfache Regel als eine komplexe“

Stefan Korioth kritisiert sowohl die Schuldenbremse als auch das Verfassungsgerichtsurteil zu ihr. Stattdessen empfiehlt er, sich an einer alten Formulierung im Grundgesetz zu orientieren.

Herr Korioth, Sie gehören zu den kritischen Stimmen, was die geltende Schuldenregel im Grundgesetz betrifft. Andererseits betonen Sie auch die Notwendigkeit einer Schuldenbremse. Wie geht das zusammen?
Die geltende Regelung im Grundgesetz ist 2009 hastig beschlossen worden, unter dem Eindruck der Finanzkrise. Sie verfehlt erkennbar das Ziel, die mögliche Neuverschuldung sinnvoll einzusetzen und gleichzeitig deren notwendige Begrenzung zu gewährleisten. Ich halte sie für einen Misserfolg. Eine Eindämmung der Neuverschuldung ist nicht gelungen.

Die Befürworter sehen das anders. Die betonen, dass sich die Schuldenregel bewährt habe – vor allem, weil sie in der Pandemie und wegen des Ukraine-Konflikts eine hohe Notlagenverschuldung ermöglicht hat.
Das ist schon richtig. Das Problem ist aber, dass die Schuldenregel umgangen wird. Das Bekenntnis zur Schuldenbremse geht auf fast allen Seiten einher mit dem Versuch, irgendwie und irgendwo mehr Schulden machen zu können. Und das möglichst versteckt, damit man weiterhin behaupten kann, die Schuldenbremse werde eingehalten. Es gibt hier eine Janusköpfigkeit des Redens und Handelns in der Politik.

Dann muss aus Ihrer Sicht das Karlsruher Urteil vom November ein Glücksfall der Verfassungsrechtsprechung sein.
Ja und nein. Das Gericht hat zu Recht daran erinnert, dass eine Schuldenbremse eine Schuldenbremse ist und kein Hindernis, das man einfach umgehen kann, weil die Steuereinnahmen nicht reichen. Das ist es ja, was die Ampelkoalition mit dem Übertragen von Pandemie-Kreditermächtigungen in den Klima- und Transformationsfonds versucht hat. Es wird nach diesem Urteil im Rahmen der bestehenden Schuldenbremse nicht mehr möglich sein, Verteilungskonflikte innerhalb einer Regierung auf dem Kreditweg zu lösen. Und das schafft Klarheit und Wahrheit.

Und das Nein?
Das Verfassungsgericht ist mit dem Urteil über das Ziel hinausgeschossen. Die Entscheidung ist sehr stark von der Konstellation bestimmt, die von der Union beklagt wurde. Also der Zusammenhang von Notlage, Notlagenkredit und der Nutzung für Sondervermögen für einen anderen Zweck. Aber die Richter haben die Schuldenbremse in einer Weise ernst genommen, wie dies für den Krisenfall nicht gedacht war.

Was heißt das?
Es ist kein planbares Management in einer wirklichen Krise auf mehrere Jahre hinaus mehr möglich. Wenn jährlich neu entschieden werden muss, ob eine Notlage noch besteht, wird es schwierig. Das gilt vor allem in der Abklingphase einer Krise, hier können Kredite für die Finanzierung der Folgen unter Umständen nicht mehr genutzt werden.

Die geltende Schuldenregel kennt die Notlage und die Normallage, nicht aber weiterwirkende Folgen nach der Notsituation. Das betrifft dann auch eher begrenzte Notlagen wie eine Flutkatastrophe im Inland. Hilfen wie für das Ahrtal zum Beispiel lassen sich jetzt nicht mehr auf Jahre hinaus über einen kreditfinanzierten Fonds abwickeln, in den man einmal Kreditermächtigungen legt, die nur für diesen Zweck zur Verfügung stehen und die am Ende verfallen, soweit sie nicht gebraucht werden.  

Es ist kein planbares Management in einer wirklichen Krise auf mehrere Jahre hinaus mehr möglich.

Stefan Korioth

Das Verfassungsgerichtsurteil hat zu einer heftigen Reformdebatte geführt. In welche Richtung müsste eine Reform Ihrer Ansicht nach gehen?
Man sollte sich anschauen, was ganz zu Beginn im Grundgesetz stand. Die Schuldenregel des Jahres 1949, die bis 1967 galt, war sehr einfach. Da stand, kurz gefasst: Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden. Statt von werbenden Zwecken würde man heute von Investitionen reden. Was darunter konkret zu verstehen ist, könnte in einer Neufassung dieser einfachen Regel und im Gesetz bestimmt werden.

Was dann wohl nicht so einfach wäre.
Das Ziel der Politik ist aktuell, Verschuldungsmöglichkeiten für investive Ausgaben zu bekommen, die zukunftsbegünstigend sind. Dann sollte die Politik auch in der Lage sein, solche zu definieren.

Wäre eine solche Regel nicht ein ewiger Grund zum Streiten, weil sie sehr offen ist?
Man muss Verschuldung als eine politische Entscheidung verstehen, die politische Verantwortung nach sich zieht. Es soll also diesen Streit geben. Meine Hoffnung ist, dass schon darin eine Schuldenbremse steckt, wenn darüber gestritten wird, ob eine Kreditfinanzierung zu groß oder zu gering ist. Und wenn Kreditfinanzierung an einen außerordentlichen Bedarf gebunden ist, besteht ohnehin Rechtfertigungszwang.

Fürchten Sie nicht, dass auch solch eine Regel zur kreativen Gestaltung verleitet?
Die Politik wird immer Wege suchen, die an Schuldenregeln vorbeiführen. Es ist doch nie genug Geld da. Dann also lieber eine einfache Regel als eine komplexe und in den Details angreifbare, die mehr verspricht, als sie halten kann.

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