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Christian Lindner und Robert Habeck: selten einig.

© dpa/Kay Nietfeld

Die Kakofonie der Koalitionäre: Der Ampel fehlt ein Konzept gegen die Wirtschaftsflaute

Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist mau. Nun plant die Bundesregierung gleich zwei Gesetze, um dem zu begegnen. Doch mit einer Stimme spricht die Koalition nicht.

Es sind keine 15 Stunden vergangen seit der Ausstrahlung des ZDF-Sommerinterviews mit dem Bundeskanzler, als die Hauptstadtpresse am Montag folgende Botschaft erreicht: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will am Mittwoch nach der Kabinettssitzung das „Wachstumschancengesetz“ und das „Zukunftsfinanzierungsgesetz“ vorstellen.

Seht her – das soll die Namensgebung wohl suggerieren – eure Ampel-Regierung hat noch etwas gegen die Konjunkturflaute im Köcher.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte in dem Interview eher den Eindruck erweckt, es müsse nur noch gewartet werden, bis die angelockten Halbleiter-Firmen mit der Produktion beginnen und die von seiner Regierung beschlossenen Strukturreformen zum schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien ihre Wirkung entfalten: „All das“, so sein Credo am Sonntagabend, „ist jetzt gerade auf den Weg gebracht.“

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In der Ampel-Koalition gibt es am Montag nicht wenige, die sich eine klarere Botschaft des Kanzlers gewünscht hätten. Dass er gesagt hätte, dass da noch etwas kommt, an weiteren Maßnahmen gearbeitet wird und vielleicht sogar schon eine Art Kompromiss skizziert hätte, statt sich vor allem auf das zu konzentrieren, was tatsächlich an großen strukturellen Reformen bereits angeschoben wurde.

Kommt ein subventionierter Industriestrompreis?

So aber stehen die verschiedenen Überlegungen innerhalb der Koalition nebeneinander, in Konkurrenz. Und niemand weiß, wohin genau die Reise geht. Beim staatlich gesenkten Industriestrompreis zum Beispiel, den das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) ins Spiel gebracht hat – als „Brücke“, bis die erhoffte Masse an Wind- und Solarkraftanlagen den Marktpreis von alleine drückt.

FDP-Chef Lindner ist strikt dagegen, er sieht „keine Notwendigkeit, noch mehr staatliche Mittel einzusetzen“, wie er der „Süddeutschen Zeitung“ sagte. Und der Kanzler? Der unterstützt mit folgendem Satz quasi Habeck und Lindner gleichzeitig: „Wir werden nicht in der Lage sein, dauerhaft Strompreise zu subventionieren.“

Bewegung dürfte spätestens Ende des Monats in die Sache kommen, wenn die Fraktionen vor der ersten Bundestagssitzungswoche zu ihren Klausuren zusammenkommen. So sagt etwa SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch: „Wir werden bei unserer Klausur Ende des Monats eine Beschlussfassung der SPD-Bundestagsfraktion zum Transformationsstrompreis bekommen.“

In der Regierungspressekonferenz an diesem Montag führt die Unklarheit zu einigen sprachlichen Verrenkungen. Der stellvertretende Regierungssprecher, Wolfgang Büchner, will nicht einmal unterschiedliche Sichtweisen innerhalb der Koalition sehen. „Es gibt eine gemeinsame Haltung, und die heißt, dass die Energiepreise sinken.“

Die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums, Beate Baron, erklärt: „Die Meinungen sind ausgetauscht.“ „Die Bundesregierung kommuniziert gar nicht unterschiedlich“, sagt Büchner noch, als habe es die Interviews, Statements und Gastbeiträge der vergangenen Wochen nicht gegeben.

Auf keinen Fall will die Ampel so streiten wie beim Heizungsgesetz

Hinter den Kulissen ist zu hören, dass der Kanzler und seine Regierung nicht noch einmal den gleichen Fehler begehen wollen wie beim Heizungsgesetz, als mehrfach Durchbrüche und Einigungen verkündet wurden, die dann keinen Bestand hatten. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschaftsflaute sollen gründlicher vorbereitet werden.

Einen groben Zeitplan dafür skizziert Johannes Fechner, einer der Parlamentsgeschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion: „Das zweite Halbjahr muss und wird weitreichende wirtschaftspolitische Entscheidungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts bringen, etwa durch Bürokratieabbau.“ In einer Regierung, die so gern streitet wie die Ampel-Koalition, in der das Verhältnis zwischen Finanzminister und Wirtschaftsminister angespannt sein soll, wird das zur riesigen Herausforderung.

Die Kakofonie der Ampel könnte der Wirtschaft sogar schaden. Nach möglichen Folgen der unterschiedlichen Haltungen gefragt, sagte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm: „Die Konsequenz ist Unsicherheit.“ Es brauche „langfristige und strukturelle Maßnahmen in den Bereichen Energie, Digitalisierung, Bildung und Zuwanderung“.

Dann könnten wieder Vertrauen bei den Investoren und Akzeptanz für die Veränderungen in der Bevölkerung wachsen. „Stattdessen streitet man sich über kurzfristige Hilfsmaßnahmen und Subventionen für einzelne Großkonzerne. Das geht eigentlich am Problem vorbei“, sagte sie dem Tagesspiegel.

Es gibt Abgeordnete der Ampel-Koalition, die die Aussichten der Regierung trotzdem weniger düster bewerten als noch vor einigen Monaten. „Ich sehe eine produktive Debatte über den Wirtschaftsstandort Deutschland“, sagte Grünen-Vizefraktionschef Andreas Audretsch dem Tagesspiegel. „Das muss Teil einer Demokratie sein, dass man in einem guten Tonfall verschiedene Konzepte bespricht.“

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