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Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) bei der Auftaktveranstaltung des Vereins „Die Wirtschaftsvereinigung der Grünen“.

© dpa/Michael Kappeler

Weiterer Schritt Richtung Volkspartei: Grüne wollen ihre Bande zur Wirtschaft vertiefen

Die Bündnisgrünen möchten mehr Ökonomie wagen, aber ohne „Forderungspapiere und Sektempfänge“. Dafür gibt es nun einen Verein. Zum Auftakt kommt die gesamte Parteiprominenz.

Robert Habeck steht in einem Käfig und lässt sich von einem tätowierten Lehrling mit Zahnspange an der Werkbank einen Roboter erklären, der die Deckel von Marmeladengläsern öffnet. Eine Woche hat er dafür ein Programm am Computer geschrieben. „So schwer ist das gar nicht“, sagt er dem Wirtschaftsminister. Der will wissen, ob man nach dem Prinzip auch beim Flugzeugbau Teile bewegen kann. Der Lehrling nickt unsicher, dann muss der Minister schon wieder weiter. „Bis denne“, sagt Habeck und verschwindet in der Betriebshalle.

Denn eigentlich ist Habeck an diesem Dienstag nicht zu einem Betriebsbesuch nach Wilhelmsruh in Berlin-Reinickendorf gekommen, doch einmal da, streift der Grünen-Politiker durch die Backsteinhalle des Technologieunternehmens ABB. Wo früher Weltkriegsmunition hergestellt wurde, werden nun rund 600 Lehrlinge in den Bereichen Elektro und Metall ausgebildet. Eine Firma nach dem Geschmack von Habeck und eine von denen, mit denen seine Partei in noch engeren Austausch kommen will.

Robert Habeck lässt sich die Ausbildung bei ABB erklären.

© dpa/Michael Kappeler

Dafür – und das ist der eigentliche Anlass für Habecks Besuch – haben Unternehmerinnen und Unternehmer mit Zustimmung der Parteispitze die Wirtschaftsvereinigung der Grünen gegründet. Was es bei SPD und Union schon lange gibt, legen sich nun auch die Grünen zu.

Vor rund zwei Jahren, als Habeck noch Parteichef war, haben die Gespräche dazu begonnen, nun wohnt die gesamte Parteiprominenz der Auftaktveranstaltung bei. Der gesamte Bundesvorstand ist gekommen, Abgeordnete aus Europa- und Länderparlamenten, Bundestagsabgeordnete, der Wirtschaftsminister und auch die Familienministerin Lisa Paus.

Es brauche „gut geölte Scharniere“, zwischen Politik und Wirtschaft, betont Parteichef Omid Nouripour mehrfach. „Wir sind die Partei, die für klimaneutralen Wohlstand arbeitet“, sagt Nouripour. Ohne den Privatsektor gehe das aber nicht.

Den Grünen fehlte der Andockpunkt für die Wirtschaft

Von dem gebe es aber ein großes Interesse an den Grünen, versichert Thomas Fischer, Vorstandsvorsitzender der Wirtschaftsvereinigung. „Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Erfolg sind kein Widerspruch“, ist sich Fischer sicher, der seit mehr als 20 Jahren Unternehmer ist und sich um die Zukunft seiner Kinder sorgt. Wie er würden sich deshalb viele Wirtschaftsvertreter einbringen wollen. „Uns fehlte aber der Andockpunkt“, sagt Fischer.

„Stapelweise“ gebe es bereits Anträge von interessierten Unternehmen, sagt Fischer. Zur Gründung sind es jedoch nur 19 Fördermitglieder, darunter mittelständische Unternehmen, aber auch große Konzerne, wie Aldi Süd, SAP, Google Germany, die Salzgitter AG oder Vonovia. Das Gremium sei unabhängig von der Partei, betont Nouripour, der jedoch gemeinsam mit seiner Co-Vorsitzenden Ricarda Lang dem Beirat vorsteht. Zudem hat die Partei der Vereinigung für den Beginn ein Darlehen in Höhe von 120.000 Euro zu „marktüblichen Zinsen“ angeboten.

Im Selbstverständnis der Grünen ist es ein weiterer Schritt in Richtung Volkspartei, die bei den Grünen Bündnispartei genannt wird. Lange haben große Teile der Partei die Wirtschaft beim Klimaschutz als Teil des Problems gesehen, doch schon seit einigen Jahren wachsen die Bande. Auf Parteitagen sprechen immer häufiger Wirtschaftsvertreter, für Grünen-Politiker sind Industriebesuche längst kein exotischer Ausflug mehr.

Mit der Wirtschaftsvereinigung der Grünen sollten nun weitere Impulse aus der Praxis in die Partei dringen, hofft Fischer. Die Politik könne aus der Wirtschaft lernen. Man werde aber anders als der Wirtschaftsrat der Union oder das Wirtschaftsforum der SPD agieren. Nur „Forderungspapiere und Sektempfänge“ wolle man nicht.

Wir wollen auch Männer am Herd und Frauen in diesen heiligen Hallen sehen.

Ekin Deligöz (Grüne), Staatsekretärin im Familienministerium

Auffällig wenig wird bei der Auftaktveranstaltung über weniger Regularien für die Unternehmen gesprochen. Stattdessen geht es erst in internen Workshops, dann auf der Bühne um Recycling, Fachkräfte, Energieeffizienz und Frauenerwerbstätigkeit. „Wir wollen auch Männer am Herd und Frauen in diesen heiligen Hallen sehen“, sagt Ekin Deligöz, Staatssekretärin im Familienministerium. Habeck spricht später konzilianter von „alle, die arbeiten wollen, sollen arbeiten können“.

In seiner Rede rät Habeck den Unternehmern zum Mut zur Transformation. „Stillstand ist immer schon der Beginn vom Untergang“, sagt er. Veränderung sei schwierig, aber notwendig angesichts der vielen Krisen. „Wir müssen viel miteinander reden“, sagt Habeck. Dazu gibt es nach den Reden die Möglichkeit. Nicht beim Sektempfang, sondern bei Multivitaminsaft und Tofu-Wraps.

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