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Doris Meinke (l.) von der Zentralstelle für Niederdeutsch in Prenzlau unterrichtet Plattdeutsch in einer dritten Klasse der Pestalozzi-Grundschule in Prenzlau.

© picture alliance / Patrick Pleul / Patrick Pleul

„Platt foer ju“ : Wo in Brandenburg noch „Platt“ gesprochen wird

Das Niederdeutsche ist in Brandenburg seit Jahrzehnten auf dem Rückzug. Doch ein Verein stemmt sich gegen den schleichenden Sprachtod und setzt vor allem bei den ganz Jungen und den Älteren an.

Von Oliver Gierens, dpa

Heidi Schäfer schließt ihre E-Mails mit „Hartliche Grööte“ ab und ihren Heimatort Sewekow in der Ostprignitz nennt sie „Sävko“. Denn Schäfer spricht gern Niederdeutsch oder „Platt“, wie es im Volksmund heißt. Als Regionalsprache, die vor allem in den norddeutschen Regionen verbreitet ist, ist Niederdeutsch seit 1999 in Deutschland durch die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen geschützt. Doch die Sprache ist gefährdet, manche sehen sie auch in Brandenburg vom Aussterben bedroht.

Niederdeutsch hat in Brandenburg Verfassungsrang

Schäfer und ihre Mitstreiter wollen das nicht hinnehmen und setzen sich im „Verein für Niederdeutsch in Brandenburg“ für den Erhalt des „Platt“ ein, das bis vor gut einem Jahrhundert vor allem in der Prignitz, der Uckermark, dem Havelland oder dem Fläming noch die Umgangssprache war. Einen wichtigen Erfolg haben sie in diesem Jahr erreicht: Niederdeutsch hat in Brandenburg jetzt Verfassungsrang. „Das Land schützt und fördert die Pflege der niederdeutschen Sprache“, heißt es seit Juli in Artikel 34, Absatz 4.

Doch das ist für die Freunde des Plattdeutschen nur ein Etappenziel - wenn auch ein wichtiges, dem langwierige politische Auseinandersetzungen vorausgingen. Auch Schäfer war ursprünglich von Haus aus keine „Plattsnackerin“, erzählt sie. „Als Kind in Sewekow habe ich das Platt nur gehört, aber selbst nicht gelernt oder gesprochen.“ Erst mit Ende 30 begegnet sie der Sprache - und hat sie seitdem ins Herz geschlossen.

Ein Schild mit der Aufschrift «Platt foer ju - Schule mit Niederdeutschunterricht», aufgenommen in der Grundschule.

© dpa / Patrick Pleul

1984 wird sie Mitglied des Kulturbundes der damaligen DDR, kümmert sich erstmals um den Erhalt der niederdeutschen Sprache. Mitten in der Wendezeit, 1989, gründet sie schließlich das Kabarett „De Plattmoaker“. Sechs Jahre später wird sie Gründungsvorsitzende des Heimatvereins in Sewekow - ein Amt, das sie bis heute innehat. Sogleich ruft sie eine Arbeitsgruppe „Freunde der niederdeutschen Sprache - Sewekow und Umgebung“ ins Leben.

Dort trifft sie auf wichtige Mitstreiter. Zum einen gesellt sich Pfarrer Gottfried Winter hinzu. Der Geistliche aus Groß Breese (Prignitz) hält Gottesdienste in plattdeutscher Sprache. Auch der Germanist und Heimatforscher Wolfgang Dost gehört zur Gruppe. In seinem Buch „Der Prignitzer, wie er ist, isst und lebt“, das im Frühjahr dieses Jahres erschienen ist, hat er auch plattdeutsche Texte verfasst.

1000
Plattsprecher gibt es den Angaben zufolge in Brandenburg.

Erst 2008 wird Heidi Schäfer auch auf Landesebene aktiv - ausgelöst durch eine Rundfunksendung auf Antenne Brandenburg, in der die Autorin Astrid Flügge einen entscheidenden Satz sagt: „Mit den Sprechern stirbt die Sprache“. Heute kümmert sich Flügge um die Potsdamer Geschäftsstelle des Vereins für Niederdeutsch im Land Brandenburg. Rund 1000 Plattsprecher gibt es ihren Angaben zufolge derzeit noch landesweit. Der Verein hat 90 Mitglieder, darunter etwa die Städte Wittstock/Dosse und Kyritz. Doch Astrid Flügge macht auch deutlich: Die Engagierten sind - mit wenigen Ausnahmen - meist zwischen 60 und 80 Jahre alt.

Damit sich ihre Prognose von den sterbenden Sprechern nicht bewahrheitet, will der Verein bewusst an Kitas und Schulen herantreten und Niederdeutsch als Unterrichtsfach in möglichst allen Jahrgangsstufen verankern. So könnten Kinder an mehreren Orten Platt als Regionalsprache lernen. In Prenzlau (Uckermark) werde mit Unterstützung des Vereins ein fächerübergreifender Platt-Unterricht an Grundschulen angeboten. Dafür entstand ein Arbeitsheft, in dem Kinder plattdeutsche Aufgaben für Mathe, Sachkunde oder dergleichen lösen können. In Wittstock, Sewekow, Putlitz und Berge (Prignitz) gebe es außerschulische Angebote für Schüler.

Passenden Lehrbücher gibt es bereits

Die passenden Lehrbücher dazu gibt es bereits. 2020 erschien beispielsweise die „Brannenborch Plattfibel“. Das Gemeinschaftswerk wurde von Ehrenamtlern des Vereins und der Fachhochschule Potsdam mit einer Förderung des Brandenburger Bildungsministeriums erstellt.

Doch es mangelt an Lehrkräften. Der Verein hat darum Gespräche mit dem Bildungsministerium, der Universität Greifswald und dem Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern aufgenommen, um Qualifizierungen im Fach Niederdeutsch für Erzieher oder Lehrer möglich zu machen.

Auch das Bildungsministerium in Potsdam steht nach eigenen Angaben mit der Uni Greifswald in Kontakt. Das Staatliche Schulamt Frankfurt (Oder) biete zudem an Niederdeutsch interessierten Lehrkräften regelmäßig Fortbildungsangebote im Dominikanerkloster Prenzlau zur Unterstützung.

Grundsätzlich verweist das Ministerium auf einen Landtagsbeschluss von 2021, der die Erarbeitung eines Konzepts zur Mehrsprachigkeit für das Land vorsieht. Der Förderung der Regionalsprache Niederdeutsch in Kitas und Schulen widme das Konzept dabei besondere Schwerpunkte, heißt es. Der Ausbau zu einem Lernangebot sei jedoch ein mehrjähriger Prozess.

Der Verein will Pflegekräfte schulen

Doch nicht nur bei den ganz Jungen, sondern auch am Ende des Lebens will der Verein für Niederdeutsch Akzente setzen. Denn Pflegebedürftige, die beispielsweise an Demenz erkrankt sind, können sich oft in ihrer Muttersprache am besten verständigen. Deswegen will der Verein Pflegekräfte schulen, ihnen ein Grundvokabular an niederdeutschen Redewendungen vermitteln. „Platt helpt - Platt is cool“ heißt daher ein Wörterbuch mit CD, das 2017 von der damaligen Brandenburger Gesundheitsministerin Diana Golze vorgestellt wurde.

Laut Schäfer wurde es mit Pflegerinnen erarbeitet und orientiert sich am typischen Tagesablauf in einem Pflegeheim „Guten Morgen“, „Wie geht es Ihnen?“, „Haben Sie Schmerzen?“ - solche und andere Standardsätze werden in dem Heft ins Niederdeutsche übersetzt. Und das scheint notwendig zu sein. Schäfer erinnert sich an einen Fall aus einem Pflegeheim in Norddeutschland, wo ein Pfleger eine Heimbewohnerin despektierlich als „die Chinesin“ bezeichnete. Denn er konnte die Frau nicht verstehen: Sie sprach mit ihm auf Plattdeutsch.

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