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Die deutschen Fußballer gewannen auf dem Maifeld Gold.

© Tilo Wiedensohler/camera4

Deutsches Fußballteam feiert Special-Olympics-Sieg: 34 Tore in zwei Spielen – erst fair, dann gnadenlos

Furios zur Goldmedaille – doch statt Freude überwog erstmal das Unbehagen. Deutschland I war nach der Klassifizierung in der falschen Gruppe gelandet. Wie konnte das passieren?

| Update:

Wo beginnt diese Geschichte, die von einem deutschen Fußball-Nationalspieler bei den Weltspielen von Special Olympics am Donnerstag als „Skandal“ bezeichnet wurde? Stürmer Vincent Grüneberg traf diese Aussage nach einem 25:0-Sieg seiner Mannschaft im Halbfinale gegen die Schweiz.

Als Skandal bezeichnete der 36 Jahre alte Berliner das Ergebnis der Klassifizierung, die zu Beginn der Sommerspiele ganze drei Tage gedauert hatte und zuvor von vielen Verantwortlichen als einzigartig hervorgehoben wurde. Als einzigartig fair. Bei der Einteilung für die späteren Gruppen um die Medaillenentscheidungen hatte es einzig und allein um die Leistung gehen sollen. Auch dass Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen in den Finals miteinander starten können, macht die Klassifizierung so besonders.

Wo beginnt also diese Geschichte, in der sich – trotz ausgeklügelten Systems – zwei völlig leistungsfremde Teams in einem Halbfinale begegnen?

Beginnen wir die Geschichte vielleicht Mitte Mai, als in Berlin die Fußball-Meisterschaft der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen stattfand. Insgesamt nahmen 13 Mannschaften an diesem Turnier teil. Den Titel holten die Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung (BWB). Ohne Punktverlust und bei nur einem Gegentor. Das BWB-Team verteidigte seinen Titel aus dem Vorjahr also mehr als souverän.

Deutschland I ist das komplette Team der BWB

Der Trainer einer anderen Werkstätten-Mannschaft bezeichnete den Meister anschließend als „FC Bayern im deutschlandweiten Fußball für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung“. Die BWB habe einfach die besten Möglichkeiten, „weil sie als großer Träger 2500 Mitarbeitende und sogar mehrere Teams haben”.

Zur Meister-Mannschaft gehört auch Vincent Grüneberg, der bei den Weltspielen nun das Trikot von Deutschland I trägt. Wie all seine BWB-Mitspieler übrigens auch: Deutschland I ist das komplette Team der BWB, die Kader sind identisch. So ist das zum Beispiel auch bei den Spielern von Deutschland II, die sonst für die BSG Ratingen in Nordrhein-Westfalen im Einsatz sind.

Macht ja auch Sinn. Einen (erfolgreichen und nur aus Deutschen bestehenden) FC Bayern würde wohl auch Hansi Flick am liebsten für den DFB erfolgreich auflaufen lassen. Doch dann kam es vor den Klassifizierungsspielen, bei denen Deutschland I die Gegner zugelost wurden, laut eines Berichts vom „Spiegel“ zu einer wohl etwas fahrlässigen Ansage des Verbands.

Das starke deutsche Team, schreibt das Magazin, sei vom Verband angehalten worden, „die häufig unterlegenen Gegner nicht vorzuführen, auch mal durchzuwechseln“. Mit dieser Vorgabe landete Deutschland I durch ein minimal schlechteres Torverhältnis in der Klassifizierung dann jedoch nur hinter Ägypten. Der Gastgeber wurde für die Medaillenentscheidungen in Gruppe B geschoben, die Nordafrikaner in die stärkere Gruppe A.

Beide Delegationen wollten tauschen

Beide Delegationen, so heißt es, seien mit dieser Leistungseinteilung gleichermaßen unglücklich gewesen. „Die Ägypter waren sofort bereit, mit uns zu tauschen“, sagte Tom Hauthal dem „Spiegel“ – er ist Leiter der deutschen Delegation bei den Weltspielen. Gemeinsam mit seinen ägyptischen Kollegen habe er versucht, „die ganze Nacht“ auf den Weltverband einzuwirken, um vielleicht noch als siebtes Team in die sechs Mannschaften umfassende Gruppe A zu rutschen. Ohne Erfolg.

Friede, Freude, Sonnenschein. Die Fußballer nahmen ihre Aufgabe in Gruppe B ernst.

© Tilo Wiedensohler/camera4

Doch hatten die Fußballer von Deutschland I nicht zuvor selbst eine der ehrenhaftesten Regeln bei Sportveranstaltungen von Special Olympics gebrochen? Wenn auch durchaus mit ehrenhafter Absicht?

Bei Wettbewerben von Special Olympics gilt nämlich für alle teilnehmenden Sportlerinnen und Sportler die Maximum-Effort-Rule, die laut Statuten dafür sorgen soll, „dass alle Athleten beim gesamten Wettbewerb ihre bestmögliche Leistung zeigen“. Angefangen natürlich in der Klassifizierung – wie sonst wäre ein möglichst gleiches Niveau bei den Medaillenentscheidungen zu gewährleisten? Doch beißt sich diese Regel – im Mannschaftssport – etwa mit einem Fairplay-Gedanken?

Denn nach dieser Maximum-Effort-Rule spielte Deutschland I bei den Weltspielen in Berlin wohl bislang nur in Spiel eins nach der umstrittenen Leistungseinteilung: dem Halbfinale gegen die Schweiz, in dem es die Eidgenossen beim 25:0 in all ihre Einzelteile zerlegte. „Dass die deutsche Mannschaft nach dem Frust der Eingruppierung nicht aufhörte mit dem Toreschießen, mochte hinterher bei allem Mitleid mit den Schweizern kaum jemand monieren. Dafür waren die Spieler ja schließlich auf den Platz gekommen“, schrieb der „Kicker“.

Im Endspiel traf Deutschland I am Samstag auf Uganda, das im anderen Halbfinale Deutschland II ausgeschaltet hatte. Und so konnte es – anders als gegen die eigenen Landsmänner vielleicht – getrost weitergehen mit der bestmöglichen Leistung der besten deutschen Fußballer – wenn auch nur in Gruppe B.

Auch im Endspiel war der Klassenunterschied zu Uganda erneut deutlich, auch wenn sich die deutsche Mannschaft dieses Mal mit einem 9:0-Sieg zufriedenstellen musste.

„Wir sind erfolgreich, weil wir als Team eingespielt sind. Wir kennen unsere Laufwege und wissen, wo die Leute stehen“, sagte Vincent Grüneberg nach dem Finalspiel. Geholfen haben wird das definitiv – die fragwürdige Klassifizierung dürfte aber ebenfalls hineingespielt haben. (Tsp)

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