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Neuer Zusammenhalt. Herthas Spieler wurden trotz des enttäuschenden Unentschiedens gegen den Tabellenletzten Osnabrück freundlich von den Fans in die Winterpause verabschiedet.

© IMAGO/Contrast

Die Bilanz eines turbulenten Jahres: Die Sinne bei Hertha BSC bleiben geschärft

Am letzten Spieltag der Hinrunde verpasst Hertha BSC den Sprung ins obere Tabellendrittel. Trotzdem fällt das Fazit am Jahresende positiver aus, als man im Sommer erwarten konnte.

Ein Kommentar von Stefan Hermanns

Zum Abschluss gab es doch noch Geschenke. Florian Niederlechner wurde eigens in die Kurve mit den Fans von Hertha BSC zitiert, wo ihm von den Ultras drei Kästen Bier übergeben wurden. Ein kleiner Beitrag zur Weihnachtsfeier der Mannschaft, die am Abend nach dem 0:0 gegen den VfL Osnabrück anstand.

„Das wäre gar nicht nötig gewesen“, sagte Niederlechner, der wohl nicht ganz zu Unrecht davon ausging, dass für ausreichend Getränke bei der anstehenden Abendveranstaltung gesorgt sein dürfte. Trotzdem habe er sich „brutal gefreut“.

Die Geste ist entscheidend. Und die war eindeutig: Am Ende eines Jahres, das für Hertha BSC nicht zuletzt wegen des Abstiegs aus der Fußball-Bundesliga einige Tiefen bereitgehalten hatte, gab es von den Anhängern nicht etwa Wut und Spott für die Mannschaft, sondern Zuspruch und Präsente. „Nach einem 0:0 gegen den Tabellenletzten ist es nicht selbstverständlich, dass die uns noch feiern“, sagte Niederlechner. „Deswegen bin ich echt stolz, Herthaner zu sein.“

Dabei war das Spiel gegen Osnabrück für leidgeprüfte Fans des Vereins eines, nach dem sie früher vermutlich gejammert hätten: Typisch Hertha! Da hast du dich in den vergangenen Wochen peu à peu nach oben gearbeitet, hast dich mühevoll herangerobbt an die Aufstiegsplätze und bekommst dann zum Abschluss der Hinrunde, bildlich gesprochen, einen Elfmeter zugesprochen, bei dem der gegnerische Torhüter mit verbundenen Augen antreten muss – aber du knallst den Ball an den Pfosten.

Wir haben viel mehr erreicht, als ich Anfang der Saison gedacht habe.

Herthas Trainer Pal Dardai

Durch das 0:0 gegen den Tabellenletzten hat Hertha am letzten Spieltag vor der Winterpause den Sprung ins obere Tabellendrittel verpasst. Statt vier Punkten Rückstand auf den Relegationsrang sind es sechs. Trotzdem bleibt am Ende weniger das Gefühl, eine Chance verpasst zu haben; es bleibt das Gefühl, sich für die Rückrunde noch alle Chancen bewahrt zu haben. „Wir haben viel mehr erreicht, als ich Anfang der Saison gedacht habe“, sagte Trainer Pal Dardai.

Nur zur Erinnerung: Nach dem Abstieg im Frühjahr wusste niemand, ob es für Hertha überhaupt weitergehen würde, und wenn ja, in welcher Liga. Die Lizenz war angesichts der dramatischen Finanzsituation in akuter Gefahr, der Kader, mit dem Dardai in die Vorbereitung starten musste, ein Torso und alles andere als zweitligatauglich. Dass Hertha nach den ersten drei Spielen weder einen Punkt noch ein Tor auf dem Konto hatte, kam jedenfalls nicht von ungefähr.

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Punkte beträgt Herthas Rückstand auf den Hamburger SV, der auf dem Relegationsrang liegt

Inzwischen, und das ist das Fazit der Hinrunde, ist die Mannschaft wieder konkurrenzfähig. „Wir sind auf einem guten Weg“, erklärte Pal Dardai. Nach seiner speziellen Rechnung fehlen Hertha nur zwei Punkte: 27 waren intern veranschlagt worden, 25 sind es geworden. „Ich bin zufrieden“, erklärte Dardai. Denn wer hätte zu Saisonbeginn gedacht, dass es im Winter „nur sechs Punkte Rückstand auf Platz drei sein würden“?

Die Berliner beenden das Jahr 2023 mit einer Serie von neun Pflichtspielen ohne Niederlage. Auch im Pokal ist die Mannschaft noch im Wettbewerb vertreten und angesichts eines Heimspiels im Viertelfinale gegen den Ligakonkurrenten Kaiserslautern ganz sicher nicht chancenlos. Dazu ist nach all den internen Irrungen und Wirrungen der vergangenen Jahre Ruhe eingekehrt im Verein.

„Wenn das Dreieck aus Fans, Team und Führung funktioniert, kannst du etwas schaffen“, sagte Dardai. Im Moment funktioniert es.

Hertha hat sich in den vergangenen Wochen die Chance erarbeitet, vielleicht doch noch in den Kampf um den Aufstieg einzugreifen – genauso, wie sich Trainer Dardai das im Sommer gewünscht hatte. „Die Jäger zu sein, das steht uns ganz gut“, sagte Kapitän Toni Leistner.

Hertha ist dran, und trotzdem bleibt das Unterfangen anspruchsvoll. Allzu viel dürfen sich die Jäger aus Berlin nicht mehr erlauben, nachdem Hertha in der Hinrunde bereits sechs Spiele verloren hat. Das sind schon zur Halbzeit exakt so viele Niederlagen wie in der kompletten Aufstiegssaison 2010/11. In der Spielzeit 2012/13, als die Berliner zum vorerst letzten Mal in die Bundesliga aufgestiegen sind, waren es sogar nur zwei.

Dass die Sinne geschärft bleiben, das ist vielleicht die beste Nachricht nach dem unbefriedigenden Jahresabschluss gegen den Tabellenletzten Osnabrück. Nach einem solchen Spiel sollte bei Hertha niemand zu Leichtsinn neigen. Oder, wie es Pal Dardai ausdrückte: „Für uns ist es gut zu hören: Wir müssen hart arbeiten.“

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