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Recht haben und Recht bekommen: Wenn es um kleine Beträge geht, verzichten Verbraucher auf Prozesse.

© imago/Rainer Unkel/imago/Rainer Unkel

Ampel einigt sich auf Sammelklage: Verbraucher kommen leichter an ihr Recht

Ob Bankgebühren oder Schadensersatz im Dieselskandal: Massenverfahren gegen Unternehmen werden einfacher. Die Ampel setzt eine EU-Richtlinie um, mit Verspätung.

Mit Massenklagen, wie man sie aus den USA kennt, haben deutsche Verbraucher bislang wenig zu tun. Im Prinzip gilt hierzulande: Jeder klagt für sich. Mit einigen Ausnahmen. Bei Anlegerprozessen gibt es schon seit längerem Musterverfahren. Und im Streit um Dieselgate hatten sich gar mehr als 400.000 Kunden an der Musterfeststellungsklage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV) und des ADAC gegen den Volkswagen-Konzern beteiligt. Mit Erfolg. Am Ende lenkte VW ein, mehr als 250.000 Eigentümer eines Dieselautos mit dem Skandalmotor EA189 profitierten von einem Vergleich, der ihnen zwischen 1350 und 6257 Euro einbrachte.

Doch ohne diesen Vergleich wäre es für viele deutlich aufwendiger geworden, Schadensersatz zu bekommen. Denn die Musterfeststellungsklage ist mühselig: Im Musterverfahren stellen die Gerichte nämlich lediglich fest, dass eine Vertragsklausel oder eine Handlung unrechtmäßig oder eine Gebühr ungerechtfertigt ist. Um Geld zu erhalten, müssen Verbraucher aktiv werden und in einem zweiten Schritt die Bank, den Autohersteller, den Stromanbieter oder das Fitnessstudio verklagen.

Klagen auf Euro und Cent

Doch schon bald dürften Massenverfahren sehr viel einfacher werden. Verbände werden künftig über eine Verbandsklage für Verbraucher direkt Schadensersatz einklagen können. Den Weg dafür hatte die EU freigemacht, allerdings schon vor geraumer Zeit. Seit über zwei Jahren ist eine entsprechende EU-Richtlinie in Kraft, sie hätte schon vor sechs Monaten in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Doch die Ampel konnte sich über wesentliche Grundlagen nicht einigen. Monatelang stritten Justiz- und Verbraucherschutzministerium, am Donnerstag rauften sich die Berichterstatter der Koalitionsfraktionen zusammen und verständigten sich auf den längst überfälligen Kompromiss.

Aus dem Kampf David gegen Goliath wie im Dieselskandal wird ein Verfahren auf Augenhöhe.

Till Steffen, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen

„Dieses Instrument wird ein Game-Changer für Verbraucherinnen und Verbraucher, Unternehmen und die Justiz“, freut sich Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Till Steffen. „Aus dem Kampf David gegen Goliath wie im Dieselskandal wird ein Verfahren auf Augenhöhe.“

Auch Deutschlands oberste Verbraucherschützerin, Ramona Pop, reagierte erleichtert. „Gut, dass eine Einigung über die neue Sammelklage vorliegt. Endlich bekommen Verbraucher:innen ein wirkungsvolles Instrument, um unkompliziert Schadensersatz und andere Leistungen bei Massenschäden zu erhalten“, sagte die Chefin des VZBV dem Tagesspiegel. Pop hofft jetzt auf eine schnelle Verabschiedung in Bundestag und Bundesrat noch vor der Sommerpause und „wird von den neuen Klagemöglichkeiten zügig Gebrauch machen.“ 

Lange Bedenkzeit

Verbände können künftig für Verbraucher auf Schadensersatz klagen, wenn sie nachvollziehbar darlegen, dass mindestens 50 Menschen betroffen sind. Ob sie bei der Verbandsklage mitmachen, sollen Verbraucher noch bis zu drei Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung entscheiden dürfen. Verbraucherschützerin Pop freut.das. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte eine Beteiligung bis maximal einen Tag vor der mündlichen Verhandlung ermöglichen wollen, Verbraucherministerin Steffi Lemke (Grüne) wollte Verbrauchern dagegen noch nach einem Urteil eine Teilnahme erlauben.

„Dass Verbraucherinnen und Verbraucher sich nun bis zu drei Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung einer Verbandsklage anschließen können, ist ein großer Schritt zu mehr Gerechtigkeit“, meint die Berichterstatterin für Verbraucherschutz in der SPD, Luiza Licina-Bode. „Dieses späte Opt-In nimmt mehr Menschen mit und verhilft ihnen einfach und mit wenig Aufwand zu ihrem Recht.“

In einer anderen wichtigen Frage ist es dagegen beim Vorschlag des Justizministeriums geblieben. Die Verjährung soll nur für diejenigen Verbraucher gehemmt werden, die sich an der Verbandsklage beteiligt haben. Das Verbraucherministerium und Verbraucherschützer hatten sich gewünscht, dass die Verjährung für alle Menschen gehemmt wird, die betroffen sind. „Wir halten an bewährten Prinzipien der Verjährung fest“, betonen die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Katrin Helling-Plahr, und die Sprecherin für Umwelt- und Verbraucherschutz der Liberalen, Judith Skudelny. „Jeder ist dazu aufgefordert, selbst die Initiative zu ergreifen, um die Hemmung für sich zu beanspruchen. Diese Mitwirkung stärkt schließlich den Rechtsfrieden.“

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