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Der Twitter-Chef beschrieb sich einmal als „Free Speech Absolutist“ – zu Deutsch: Absolutist der freien Meinungsäußerung (Illustration).

© IMAGO/ZUMA Wire / Imago/Adrien Fillon

„Der Vogel ist frei“: Was Elon Musk unter Meinungsfreiheit versteht

Elon Musk bezeichnet sich als Verfechter der freien Meinungsäußerung. Jedoch nur, solange sich Kritik nicht gegen ihn selbst oder eines seiner Unternehmen richtet.

„Ich hoffe, dass auch meine schlimmsten Kritiker auf Twitter bleiben, denn das ist es, was Meinungsfreiheit bedeutet“, twitterte Elon Musk am 25. April 2022. Am gleichen Tag hatten er und der Kurznachrichtendienst eine Vereinbarung zur Übernahme der Plattform durch den Tech-Milliardär bekannt gegeben. Zuvor hatte Musk bereits eine feindliche Übernahme von Twitter angestoßen.

Nach monatelangen Kontroversen um den Twitter-Kauf und einer möglichen Eskalierung vor Gericht wurde der Kauf dann schließlich am 27. Oktober besiegelt. „Der Vogel ist frei“, twitterte Musk. Und: „Comedy ist jetzt auf Twitter erlaubt.“ Doch wie steht es nun um die Meinungsfreiheit bei dem Kurznachrichtendienst? Für wen gilt sie? Und was versteht Musk unter Meinungsfreiheit?

Eine der ersten Amtshandlungen von Musk als amtierender Twitter-Chef war es, Accounts zu sperren, die sich über ihn lustig machten. Mittels der neu geschaffenen Möglichkeit, einen blauen Haken zu kaufen, versuchten sie, Elon Musk nachzuahmen. Wenige Tage später war das Abo-Modell für den Haken vorerst Geschichte. Auch Regeln zu „irreführenden Informationen zu Covid-19“ werden unter der neuen Leitung nicht mehr umgesetzt.

Erst seit vergangener Woche – nach mehrmaliger Verschiebung – können Nutzer:innen wieder ein Blue-Abo abschließen. Allerdings mit einem Angriff auf die Meinungsfreiheit auf Twitter, wie Expert:innen und Nutzer:innen beklagen.

Premium-Accounts bekommen mehr Macht

So kündigte Musk an, dass Nutzer:innen, die für ihren Haken zahlen, künftig indirekt mitentscheiden, ob ein Twitter-Account oder bestimmte Tweets sichtbarer oder weniger sichtbar sind. „Twitter wird damit beginnen, Stummschaltungs- und Blockierungssignale von Blue Verified als Downvotes einzubeziehen“, schrieb er am vergangenen Wochenende. Die Aktionen – auch positive wie Likes – würden von einem neuronalen Netzwerk, einer künstlichen Intelligenz, verarbeitet.

Die Befürchtung einiger Beobachter:innen ist, dass Personen, die Twitter also künftig mindestens acht Dollar im Monat für einen blauen Haken zahlen könnten, über die Meinungsfreiheit derer bestimmen, die sie up- bzw. downvoten.

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Erst am Dienstag kündigte Musk ein weiteres Feature für Abonnent:innen an. „Twitter wird diese Änderung vornehmen“, antwortete er auf den Vorschlag eines laut eigener Aussage „rechten“ Twitter-Nutzers. Demnach sollten in den von Musk forcierten Twitter-Umfragen, in denen er regelmäßig über die Ausrichtung des Kurznachrichtendienstes abstimmen lässt, nur noch zahlende Kund:innen abstimmen dürfen.

Inhalte dieser Umfragen waren bisher schon die Aufhebung der Accountsperre des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, die Rücknahme von Suspendierungen von Accounts, die Musks „exakten Aufenthaltsort“ geteilt hatten, oder ob er selbst als Twitter-CEO zurücktreten solle.

Die Suspendierungen betrafen auch eine Vielzahl an Journalist:innen, die lediglich über den Umstand berichteten, dass Twitter den Account „Elonjet“ sperren ließ, der öffentlich verfügbare Flugdaten twitterte. Obwohl Musk noch am 6. November schrieb: „Mein Engagement für die freie Meinungsäußerung geht sogar so weit, dass ich den Account, der meinem Flugzeug folgt, nicht sperre, obwohl dies ein unmittelbares persönliches Sicherheitsrisiko darstellt.“

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Die Suspendierungen der Medienschaffenden führten zu einer deutlichen Reaktion. Das Auswärtige Amt etwa twitterte: „Pressefreiheit darf nicht nach Belieben ein- und ausgeschaltet werden.“ Die Vizepräsidentin für Werte und Transparenz der EU-Kommission, Věra Jourová, kündigte Sanktionen an, und selbst die Vereinten Nationen meldeten sich zu Wort. Generalsekretär António Guterres zeigte sich aufgrund von „willkürlichen“ Schritten besorgt. Mittlerweile sind die Suspendierungen größtenteils wieder zurückgenommen.

Twitter verbot Links zu Instagram und Mastodon

Weitere Änderungen, die Kritiker:innen als eine Einschränkung der Meinungsfreiheit kritisierten, hat Twitter auch schnell wieder rückgängig gemacht. So hatte der Kurznachrichtendienst zwischenzeitlich Links zu anderen Plattformen wie etwa Facebook, Instagram und Mastodon verboten. Ein Schritt, den viele Journalist:innen auf Twitter als Einschränkung ihrer Berichterstattung wahrnahmen.

Taylor Lorenz, eine Tech-Journalistin bei der „Washington Post“, führt ihre kürzliche Suspendierung etwa darauf zurück, dass sie erst kürzlich Links zu ihren anderen Social-Media-Profilen auf Twitter teilte. „Offenbar hat mich dieser Tweet fertiggemacht“, twitterte sie am Sonnabend, nachdem der Kurznachrichtendienst die Regel wieder von seiner Internetseite gelöscht hatte.

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Kolleg:innen von Lorenz vermuten, dass die Suspendierung etwas mit ihrer kritischen Berichterstattung zu tun haben könnte. Zuvor hätte sie Musk um eine Stellungnahme für eine Geschichte, an der sie mit dem ebenfalls kurzzeitlich suspendierten „Washington Post“-Journalisten Drew Harwell arbeitete, gebeten.

Kurz nach ihrer temporären Suspendierung auf Twitter teilte der NBC-Tech-Journalist Ezra Kaplan eine Nachricht von Taylor Lorenz auf Twitter: „Ich denke, die Art und Weise, wie Musk willkürlich jeden verbannt, den er persönlich nicht mag, hat gefährliche Folgen für die Meinungsfreiheit.“

Die Entscheidungen zu den Suspendierungen sind auch für langjährige Twitter-Beobachter:innen nicht mehr nachvollziehbar. „Alle Quellen, mit denen ich bei Twitter gesprochen habe, tappen im Dunkeln, was die Gründe für die Suspendierungen angeht“, schreibt Kylie Robinson, Tech-Journalistin beim US-Magazin „Fortune“.

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Auch in firmeninternen Nachrichtenkanälen hätte es „keinen Mucks“ gegeben. Einen anonymen Twitter-Mitarbeitenden zitiert sie mit den Worten: „All diese Entscheidungen werden jetzt versteckt. Elon ist paranoid. So viel zu voller Transparenz.“

Musk – der selbst ernannte Verfechter der freien Meinungsäußerung

Musk spielt sich schon länger als Verfechter der Meinungsfreiheit auf. Der Twitter-Chef beschrieb sich einmal als „Free Speech Absolutist“ – zu Deutsch: Absolutist der freien Meinungsäußerung. Als selbst ernannter Verfechter der freien Meinungsäußerung warf er nach einem „massiven Umsatzrückgang“ bei Twitter Anfang November etwa „Aktivistengruppen“ vor, „Druck auf Werbekunden“ auszuüben.

Hassen sie die freie Meinungsäußerung in Amerika?

Twitter-Chef Elon Musk an Apple

„Das ist extrem beschissen! Sie versuchen, die Meinungsfreiheit in Amerika zu zerstören“, beklagte er damals. Auch den Tech-Konzern Apple griff Musk wegen vermeintlicher Zensur an. „Hassen sie die freie Meinungsäußerung in Amerika?“, richtete er an das Unternehmen. Apple hatte zuvor laut Musk aufgehört, Werbung auf Twitter zu schalten.

Vorfälle wie diese zeigen, dass Musk nur ein Verfechter der freien Meinungsäußerung ist, wenn sie ihm selbst nützt. Und er den Begriff gerne nutzt, um seine eigenen Wünsche durchzusetzen. In der Vergangenheit haben er und seine Firmen schon oft versucht, freie Meinungsäußerung einzuschränken.

Tesla-Bestellung nach Kritik storniert

So hatte Tesla – Musks Elektroautobauer – 2016 die Bestellung eines Käufers storniert, nachdem dieser Musk öffentlich für einen misslungenen Verkaufsstart des Model X kritisierte. Mitarbeitende des Autobauers müssen diverse Verschwiegenheitsvereinbarungen unterschreiben, was in der Branche keine Seltenheit ist.

Jedoch soll es bei Tesla auch „strenge Nichtverunglimpfungsklauseln ohne Enddatum“ geben, die es ehemaligen Mitarbeitenden verbietet, schlecht über das Unternehmen zu reden, berichten der US-Nachrichtensender CNBC. Eine Tatsache, die bei einem Unternehmen eines Verfechters der freien Meinungsäußerung verwundere, wie es in dem Bericht heißt.

Als die Ratingagentur Standard & Poor’s den US-Elektroautobauer im Mai aus seinem Nachhaltigkeitsindex strich, reagierte Musk prompt. Die Kriterien für den Index seien „Betrug“ und würden „von Kriegern der sozialen Gerechtigkeit als Waffe eingesetzt“, schrieb er auf Twitter. Die Ratingagentur begründete ihre Entscheidung mit schlechten Arbeitsbedingungen, Rassismus und Diskriminierung im US-Werk Fremont sowie zahlreichen tödlichen Unfällen mit dem Tesla-„Autopiloten“.

Als Tesla 2018 den bis dato größten Quartalsverlust seiner Geschichte verbucht hatte, unterbrach er eine kritische Frage eines Analysten, wie mehrere Medien berichten. „Entschuldigung, der Nächste, der Nächste. Langweilige, dumme Fragen sind nicht cool“, soll er gesagt haben – wofür er sich später entschuldigte.

Auch sei es nicht selten, dass Journalist:innen, die über Musk und Tesla berichten, Geheimhaltungsvereinbarungen unterschreiben müssten und Artikel vor Veröffentlichung genehmigen lassen müssten.

Allerdings: Kritik an Musk ist auf Twitter noch nicht verboten. Mehrere Nutzer:innen scherzen aber schon, wie lange das noch so bleiben wird. Immerhin wird die Aussage Musks, er stehe für freie Meinungsäußerung ein, bisweilen als freie Meinungsäußerung ausschließlich für ihn und seine Fans interpretiert.

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