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Die 55-jährige Christiane Benner wird in den nächsten Jahren die größte Gewerkschaft führen.

© dpa/Arne Dedert

Eine Frau für den Kulturwandel: Wer ist Christiane Benner, die neue IG-Metall-Chefin?

Die erste Vorsitzende in der Geschichte der Gewerkschaft soll in der hierarchischen Organisation Teamarbeit durchsetzen.

Sie wurde gezogen und geschoben und in die Pflicht genommen für die Sache der gesamten Arbeiterbewegung. Vergebens. Christiane Benner blieb stur und bewegte sich nicht. Dabei wäre die zweite Vorsitzende der IG Metall eine gute Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). So dachte sich das jedenfalls Gewerkschaftschef Jörg Hofmann.

Aber alle Versuche, Benner zum Dachverband der Gewerkschaften zu befördern und nach Berlin zu versetzen, liefen ins Leere. Im Mai 2022 wurde die SPD-Politikerin und Chemiegewerkschafterin Yasmin Fahimi DGB-Chefin. Benner hatte etwas anderes vor.

Die 55-Jährige mit dem großen Beharrungsvermögen ist an diesem Montag die Hauptdarstellerin in der Frankfurter Messe. Knapp 500 Delegierte des alle vier Jahre anstehenden Gewerkschaftstages wählen dort Benner als erste Frau an die Spitze der IG Metall. Vor ein paar Jahren war das kaum vorstellbar. 

Die IG Metall hat ihre stärksten Truppen in der Facharbeiterschaft der Autoindustrie, und das sind überwiegend Männer. Um die 20 Prozent der 2,1 Millionen Gewerkschaftsmitglieder sind Frauen. Und normalerweise wird die IG Metall von einem Mann aus Baden-Württemberg angeführt, dem Kernland der Gewerkschaft. Sieben der elf Vorsitzenden seit 1948 stammten aus dem Südwesten der Republik.

Benner seit 2011 im Vorstand

Benner ist in Aachen geboren und hat in Hessen und Niedersachsen für die IG Metall gearbeitet. Die ausgebildete Fremdsprachensekretärin und studierte Soziologin betreute Unternehmen aus der Informations- und Kommunikationsbranche und war dabei den Herren an der Spitze aufgefallen. 2011, als eine Frau für den geschäftsführenden Vorstand gesucht wurde, kam Benner nach oben.

„Ich bin so stolz, als erste Frau an der Spitze der IG Metall stehen zu können.

Christiane Benner

Detlef Wetzel, Vorsitzender von 2013 bis 2015, förderte die junge Kollegin und ließ sie das Projekt Crowdsourcing machen, mit dem die Metallgewerkschaft einen Zugang zu den häufig prekär Beschäftigten im Internet suchte. 2015 wurde Benner zweite Vorsitzende. „Ich bin so stolz, als erste Frau an der Spitze der IG Metall stehen zu können“, bedankte sie sich damals bei den Delegierten der größten Männerorganisation weit und breit.

Abschiebemanöver funktionierte nicht

Es ist ein ungeschriebenes Gesetz der Gewerkschaft, dass die Nummer zwei beim Ausscheiden der Nummer eins nach oben rutscht. Auch deshalb versuchte Hofmann, Benner vom Repräsentationsjob beim DGB zu überzeugen, um Platz zu schaffen für Roman Zitzelsberger, den IG-Metall-Chef aus Baden-Württemberg und (neben Hofmann) besten Tarifpolitiker der Gewerkschaft. Zitzelsberger kennt die Autoindustrie, die Benner als Aufsichtsrat von BMW und Conti erst langsam kennenlernte.

Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg, ist der profilierteste Tarifverhandler der Gewerkschaft.

© dpa

Nachdem das Abschiebemanöver mit dem DGB nicht funktioniert hatte, verständigten sich Benner und Zitzelsberger auf eine Doppelspitze nach dem Vorbild von Grünen und SPD. Diese Idee und die dafür erforderliche Satzungsänderung fiel indes an der Basis durch. Zitzelsberger, entnervt vom Procedere und gesundheitlich angeschlagen, gab seine Ambitionen auf und bleibt Bezirksleiter von Baden-Württemberg. 

Transformation gestalten

Benner ist mindestens die nächsten vier Jahre die Nummer 1 und darf die Gewerkschaft durch die Transformation steuern. Kann sie das? Selbstbewusstsein und Robustheit für den Job, der Präsenz auf dem politischen Berliner Parkett ebenso erfordert wie in großen Betrieben und auf Marktplätzen, hat sie in den vergangenen Jahren gezeigt.

Sie betont die Bereitschaft zur Teamarbeit mit Jürgen Kerner, dem bisherigen Kassenwart, der am Montag zum zweiten Vorsitzenden gewählt wird. Die Zeit der Silberrücken sei vorbei, hatte Jörg Hofmann, der letzte Silberrücken der IG Metall, kürzlich im Gespräch mit dem Tagesspiegel gesagt. 

Benner verkörpert die neue Führungskultur. Die Transformation der Arbeitswelt und der klimaneutrale Umbau der Industrie sind für sie „die größte gesamtgesellschaftliche Herausforderung dieses Jahrhunderts“. Sie greift so hoch ins Regal, weil eine schwindsüchtige Industrie auch die IG Metall gefährdet. 

Bei den Betriebsratswahlen im kommenden Frühjahr will die IG Metall ihre Stellung in der neuen Tesla-Fabrik ausbauen.

© dpa/Patrick Pleul

„Deindustrialisierung dürfen wir nicht zulassen“, sagt Benner und reklamiert einen staatlich subventionierten Strompreis. Wenn Kanzler Olaf Scholz (SPD) am kommenden Dienstag auf dem Gewerkschaftstag auftritt, erwarten die Metaller eine entsprechende Ankündigung. Brückenstrompreis klingt nach Besitzstandswahrung und Betonkopp, aber die IG Metall versteht sich als Promoter des Wandels, ausdrücklich auch in Richtung klimafreundlicher Produkte in der Autoindustrie, wo viele Metaller Zukunftsangst haben.

Vier-Tage-Woche im Blick

„Ohne Mobilitätswende gibt es keine Klimawende“, meint Benner. Wandel muss ein – aber unter Beteiligung der Beschäftigten. Benner, verheiratet mit dem früheren Chefjuristen der IG Metall, wirbt für mehr Mitbestimmung auf der Grundlage einer „großen Reform des Betriebsverfassungsgesetzes“.  Mit der Forderung nach mehr Mitwirkungsrechten der Mitarbeiter hat das SPD-Mitglied Benner die Sozialdemokraten an ihrer Seite, doch die Ampel wird wegen der FDP die Betriebsverfassung nicht modernisieren. 

Die Vier-Tage-Woche kann die IG Metall allein durchsetzen. Bis Ende des Jahres soll es dazu eine Verständigung für die Stahlindustrie geben. „Fachkräfte gewinnen wir mit guten Arbeitsbedingungen“, wirbt Benner für Arbeitszeitverkürzungen. Sie traut sich und der IG Metall das zu. Nach bleiernen Coronajahren hat die Gewerkschaft inzwischen ordentliche Tariferhöhungen durchgesetzt, für Benner „der Auftakt für eine wieder erstarkte Gewerkschaftsbewegung“. 

Sie selbst hat kaum Erfahrung im Tarifgeschäft. Dafür kommt Nadine Boguslawski in den Vorstand. Die erst 46-Jährige dürfte in einigen Jahren die zweite Frau an der Spitze der IG Metall werden. Boguslawski gehörte als Tarifsekretärin zum Team Zitzelsberger und war zuletzt Gewerkschaftschefin in Stuttgart. Es geht eben doch nicht ohne Expertise aus Baden-Württemberg.

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