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Wirtschaft: Europas Pharmakonzerne holen auf

Bei den US-Konzernen laufen viele Patente aus, das reduziert die Gewinne. Hiesige Arzneimittelhersteller legen dagegen zu

Frankfurt am Main - Europas führende Pharmaunternehmen feiern ein bemerkenswertes Comeback: Im Jahr 2005 konnten sie ihren Umsatz zum ersten Mal seit Jahren wesentlich stärker steigern als die US-Konkurrenten. Das zeigt eine Analyse der jüngsten Geschäftszahlen. Die US-Hersteller leiden darunter, dass bei wichtigen Medikamenten der Patentschutz abläuft.

Während die großen US-Konzerne ihre Arzneimittelumsätze 2005 im Schnitt nur noch um rund zwei Prozent erhöhten, legten die führenden europäischen Unternehmen um etwa zwölf Prozent zu. Gleichzeitig verringerten die Europäer auch ihren Ertragsrückstand gegenüber den US-Konkurrenten. Während etwa Unternehmen wie Pfizer oder Merck & Co zweistellige Gewinnrückgänge verbuchen und umfangreiche Sparprogramme benötigen, um ihre hohen Renditen zu halten, legten die Betriebsgewinne der europäischen Pharmahersteller im Schnitt um fast ein Fünftel zu.

Branchenkenner gehen davon aus, „dass sich dieser Trend fortsetzen wird.“ In dieser Woche dürften den Trend unter anderem die Berliner Schering AG und der französische Konzern Sanofi-Aventis bestätigen. Schering legt am heutigen Montag Zahlen vor, Sanofi-Aventis folgt am Freitag. Branchenexperten rechnen bei Schering für das vergangene Jahr mit einem Umsatzplus von etwa sechs Prozent auf 5,2 Milliarden Euro. Sollte das Betriebsergebnis erwartungsgemäß bei etwa 930 Millionen Euro liegen, entspräche das einer Umsatzrendite von knapp 18 Prozent. Der Nettogewinn dürfte nach Analystenschätzungen um rund 25 Prozent auf 630 Millionen Euro steigen. Kurz vor Weihnachten hatte Schering wegen eines „anhaltend guten Geschäftsverlaufs“ angekündigt, der Hauptversammlung für das Jahr 2005 eine Dividende von 1,20 Euro je Aktie vorzuschlagen. Das sind 20 Cent mehr als im Vorjahr.

Die Umsatzeinbußen der US-Firmen sind auf die Konkurrenz preiswerter Nachahmermedikamente (Generika) zurückzuführen, die nach dem Auslaufen des jeweiligen Patentschutzes auf den Markt kommen. Die Investmentbank Morgan Stanley schätzt, dass US-Pharmakonzerne dadurch „in diesem Jahr 4,3 Milliarden Dollar und im kommenden Jahr fast sechs Milliarden Dollar Umsatz verlieren werden“. Der weltweite Branchenführer Pfizer musste deshalb jüngst die Hoffnung aufgeben, in diesem Jahr wieder auf einen Wachstumskurs zurückzukehren. Darüber hinaus belasten die US-Pharmahersteller auch Produktausfälle wie im Fall des Schmerzmittels Vioxx und Schwächen in der Medikamentenentwicklung.

Davon bleiben zwar auch europäische Hersteller nicht ganz verschont. Am Freitag etwa verweigerte die US-Aufsichtsbehörde FDA der Sanofi-Arznei Accomplia die Zulassung als Medikament gegen Nikotinsucht. Insgesamt aber haben die großen europäischen Konzerne zurzeit die besseren Produkte in der Pipeline – und wesentlich geringere Patentsorgen. „Alles zusammengenommen haben die europäischen Unternehmen deutlich bessere Perspektiven als die US-Firmen“, urteilt der Pharmaexperte der US-Ratingagentur Standard & Poor’s, Christian Wenk.

Für die Europäer von Vorteil ist auch die Tatsache, dass sie schon seit Jahren die Allianzen mit Biotechfirmen verstärkten. Zudem konzentrierten sie sich stärker auf Therapiebereiche mit hohem medizinischen Bedarf, so etwa Krebs, Diabetes oder Asthma. Auch im Impfstoff-Bereich, der durch die Furcht vor einer neuen Grippeepidemie eine Renaissance erlebt, sind die Europäer stärker vertreten als ihre US-Konkurrenten.

US-Firmen konzentrierten sich stattdessen auf das lukrative Geschäft mit Medikamenten für die Allgemeinmedizin, wo man in den 90er Jahren mühelose Preis- und Absatzsteigerungen realisieren konnte. Gerade in diesem Bereich scheinen nun jedoch die Bedingungen schwieriger zu werden. Nach Daten des Marktforschungsunternehmens IMS Health verzeichnete der US-Pharmamarkt in den zwölf Monaten bis November 2005 mit Plus vier Prozent das niedrigste Wachstum seit den frühen 90er Jahren und ist damit erstmals seit langem wieder langsamer gewachsen als der Weltmarkt.

Zu den großen Aufsteigern auf europäischer Seite gehört dabei zum einen der Baseler Roche-Konzern, der im vergangenen Jahr im Pharmageschäft um 25 Prozent expandierte und dabei vor allem von seinen innovativen Krebsmedikamenten und dem Grippemittel Tamiflu profitierte. Roche dürfte 2006 relativ mühelos die US-Konkurrenten Merck & Co sowie Johnson & Johnson überrunden.

Zum anderen verzeichnet die private deutsche Gruppe Boehringer Ingelheim derzeit einen Höhenflug dank innovativer Atemwegs-, Herz- und Schmerzmittel. Boehringer hat zwar noch keine Zahlen für das Gesamtjahr 2005 vorgelegt, hat nach Schätzungen aus der Branche aber ebenfalls um etwa ein Viertel zugelegt. Darüber hinaus verbuchten 2005 aber auch andere europäische Hersteller wie Novartis, Sanofi-Aventis, Astra-Zeneca oder die dänische Novo Nordisk deutlich überdurchschnittliche Zuwachsraten und gewinnen damit Marktanteile. / mit dpa

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