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Euroscheine fallen im Geldregen vom Himmel

© Foto: Imago/agrarmotive

Risikokapitalgeber über Start-up-Finanzierung: „Hatten eine Situation Richtung Übertreibung“

Über die aktuellen Finanzierungsbedingungen für Start-ups, die jüngste Entlassungswelle, Investitionskriterien für Investoren und die Zukunft der Branche.

Herr Nagel, viele Start-ups in Deutschland bauen zuletzt im großen Stil Personal ab und klagen über schwierige Finanzierungsbedingungen. Warum machen Sie und andere Risikokapitalgeber es den Startups so schwer?
Ich glaube, insgesamt machen wir es denen gar nicht so schwer. Wenn wir uns anschauen, wer stark von den Entlassungen betroffen ist, dann sind das vor allem einstige Corona-Gewinner. Das waren aufgrund von Lockdown und Homeoffice vor allem endkundenlastige Geschäftsmodelle mit kurzzeitig extrem hohen Wachstumsraten. Um dieses Wachstum aufrechtzuerhalten, müssten sie weiter finanziert werden. Das bleibt jetzt allerdings aus. Investoren sind skeptisch und stellen infrage, inwiefern diese Geschäftsmodelle jemals funktionieren können.

Die Zahlen geben Ihnen hier durchaus recht. Im laufenden Jahr wurden bis einschließlich November in über 1.000 Finanzierungsrunden über 12 Milliarden Dollar Wagniskapital in deutsche Start-ups investiert. Ein Rekordwert nach 2021. Gibt es also kein generelles Finanzierungsproblem?
Wir haben zuletzt eine Situation gehabt, in der wir in Richtung Übertreibung gegangen sind, wenn man das ganz ehrlich betrachtet. Es gab Unternehmensbewertungen über das 100-fache des Jahresumsatzes. Das hat schon Auswüchse angenommen, die nicht mehr gesund sind. Das musste irgendwann vorbei sein. Zum Teil ist das durchaus eine gesunde Korrektur. Es musste wieder auf ein Niveau zurückkommen, das als Ausgangslage für ein gesundes und nachhaltiges Wachstum dienen kann.

Wenn man die Entlassungen auf Länderebene und relativ zur Gesamtzahl der Arbeitnehmenden betrachtet, ist Deutschland hinter den USA und Großbritannien auf Rang drei. Warum trifft es deutsche Start-ups so stark?
Ein großer Teil der Geschäftsmodelle, die größere Entlassungen vornehmen mussten, kommen aus Deutschland, ja. Und viele, die es getroffen hat, haben keine wirtschaftlich nachhaltigen Geschäftsmodelle. Darüber hinaus gibt es aufgrund der makroökonomischen Situation und der Energieunsicherheit eine gewisse Zurückhaltung bei amerikanischen Investoren, die einen immer größeren Einfluss im deutschen Startup-Ökosystem haben. Pensionskassen und Stiftungen stellen in den USA gut 60 Prozent des Wagniskapitals zur Verfügung. Das geht bei uns nicht und so gibt es einfach viel zu wenig Wachstumskapital aus Deutschland.

Basierend auf welchen Kriterien treffen Risikokapitalgeber wie Sie Ihre Entscheidung in ein Unternehmen zu investieren?
Wir investieren ausschließlich in Ideen, die einen wirklichen Unterschied machen. Das heißt, es muss ein klares Differenzierungsmerkmal zum Wettbewerb geben und das Produkt muss eine Anwendung haben. Wichtiger in der frühen Phase ist dann nur noch das Team. Das schauen wir uns am genauesten an. Ist das Team erfahren genug, divers und komplementär aufgestellt? Wenn wir das beste Team gefunden haben, versuchen wir uns mit dem Team anzufreunden und zu investieren.

Haben sich diese Kriterien in Zeiten hoher Inflation, Krieg, Energiekrise und wirtschaftlicher Abkühlung denn verändert?
An diesen Kriterien hat sich nichts geändert, nein. Wir machen das schon seit 25 Jahren und haben auch schon einige Krisen erlebt. Wir haben erlebt, dass die Technologieunternehmen, in die wir investiert haben, in jeder Krise gewachsen sind. Die Unternehmen werden so auch in Krisenzeiten immer wertvoller, weil sie weiterwachsen, auch konjunkturunabhängig. Schwieriger in solchen Phasen werden allerdings Nachfinanzierungen, das Aufsetzen neuer Fonds und der Verkauf von Unternehmen.

Das heißt, dass sich die Haltedauer von Portfoliounternehmen in einer Krisenzeit verlängert?
In der Tat. So lange die aktuelle Krisenzeit anhält, sei es ein oder zwei Jahre, können wir nicht verkaufen. Auch wir haben zuletzt als unmittelbare Folge des russischen Angriffskrieges einen großen Exit nicht machen können. Das ist natürlich ein Nachteil.

Letztes Jahr haben eigentlich alle Geld bekommen.

Dr. Christian Nagel

Neben den schwierigen Finanzierungsbedingungen begründen viele Start-ups die jüngsten Entlassungen vermehrt auch mit der Notwendigkeit, Kosten zu senken, um schneller profitabel zu sein. Fordern Sie das von Ihren Portfoliounternehmen?
Nein, wenn wir diese Devise in unserem Portfolio ausgegeben hätten, würden wir die Entwicklung unserer Unternehmen schlichtweg abdrehen. Gerade Unternehmen in einer frühen Phase können gar nicht so schnell profitabel sein. Gleichzeitig sollten die Geschäftsmodelle aber natürlich einen Weg zur Profitabilität aufzeigen. Bei Unternehmen, die bereits signifikante Umsätze erzielen, spielt das jetzt schon eher eine Rolle.

Letztes Jahr haben eigentlich alle Geld bekommen, wenn sie überhaupt nur irgendwie gewachsen sind oder ein Differenzierungsmerkmal hatten. Heute müssen diese Unternehmen positive Unit Economics haben, das heißt, mit jeder weiteren verkauften Einheit zumindest keinen Verlust machen. Außerdem müssen sie einen klaren Pfad zur Profitabilität aufzeigen können. Nur so erhalten sie noch Geld.

Sind die Zeiten extrem schnellen Wachstums und rascher Expansion also erst einmal vorbei?
Das trifft mit Sicherheit auf die Unternehmen zu, die ein solches Extrem-Wachstum auf Biegen und Brechen angestrebt haben. Man expandierte hier früh in andere Märkte, obwohl man große Verluste auf einer Einzelbasis machte. So verlor man zum Beispiel mit jeder Lieferung sehr viel Geld. Diese Modelle würde man heute abdrehen.

Wenn ich allerdings als Unternehmen ins Ausland expandiere und mit dem Geschäft als Ganzes Verlust mache, aber positive Unit Economics habe, es also auf Basis des Einzelverkaufs profitabel ist, funktioniert das noch genauso und wird auch weiterhin unterstützt. So gibt es bei uns im Portfolio eine Reihe von Unternehmen, die in andere Länder expandieren. Fast alle sogar. Aber wir achten darauf, dass die Unit-Profitabilität da ist, man also nicht mit jedem Verkauf einer Einheit Geld verliert.

In welchen Branchen sehen Sie noch großes Zukunftspotenzial?
Insgesamt sehen wir noch viel Disruptionspotenzial im FinTech-Bereich. Der ist durch die jüngste Insolvenz der Kryptobörse FTX ziemlich stark unter Druck geraten. Wir glauben allerdings weiter an die Innovationskraft der Blockchain-Technologie. Großes Potenzial sehen wir auch beim Thema Nachhaltigkeit. Es gibt eine neue Welle an FoodTech-Themen, die eine echte Relevanz haben, zum Beispiel In-vitro-Fleisch. Auch der Bereich Energie birgt enorm viel Zukunftspotenzial. Insgesamt sehen wir riesige Chancen, auch in Europa und Deutschland. Dafür muss die Politik allerdings die richtigen Rahmenbedingungen setzen.

Man verpasst den Aufbau des Mittelstands 2.0.

Dr. Christian Nagel

Was genau sind hier Ihre Erwartungen an die Politik? Wie kann man den Zugang zu Wagniskapital aus Deutschland heraus verbessern?
Bisher ist Deutschland aus meiner Sicht viel zu zaghaft. Dabei könnte man so viel tun. Zum Beispiel könnte man den Standort Deutschland viel stärker bewerben. So könnte man neue Themen anziehen und Gründungswillige sowie Fachkräfte anwerben. Das kostet nicht viel Geld, würde aber viel helfen. Man sollte außerdem Versicherungen und Stiftungen mehr Möglichkeiten geben, auch in Startups zu investieren. Das fehlt. Und so verpasst man den Aufbau des Mittelstands 2.0 hier in Deutschland.

Zum Abschluss: Welche Rolle spielen Start-ups aus Ihrer Sicht im deutschen Wirtschaftssystem?
Eine elementare Rolle, weil wir damit den angesprochenen Mittelstand 2.0 aufbauen. Wenn wir uns die wertvollsten Unternehmen in den USA anschauen, dann sind das vor allem Unternehmen, die relativ jung sind. Umso wichtiger ist es, dass wir solche Themen nach Deutschland holen und sie finanzieren. Viele davon sind allerdings nicht so finanzierbar wie der Mittelstand 1.0. Dieser ist nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und sehr anlagenbezogen, was gut durch Banken finanzierbar war. Der Mittelstand 2.0 hat aber keine Maschinen oder Anlagen, sondern baut letztlich auf Software auf. Um das zu finanzieren, braucht es Wagniskapital und davon gibt es aktuell aus Deutschland nicht genug. 

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