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4100 Tonnen Glyphosat wurden 2021 in Deutschland abgesetzt, in Spanien, Italien und Frankreich ist es ein Vielfaches.

© imago/Martin Wagner

Schadensersatz wegen Krebs: Bayer verliert erneut Glyphosat-Prozess in den USA

Eine Jury in San Diego hat einem krebskranken Kläger über 330 Millionen Dollar Schadensersatz zugesprochen. Für Bayer ist das die dritte Niederlage in Folge.

Eigentlich schien sich das Blatt gewendet zu haben. Nachdem Bayer in den USA zunächst alle Prozesse um angebliche Krebsrisiken des glyphosathaltigen Unkrautvernichters Roundup verloren hatte und zu teils hohen Schadensersatzzahlungen verurteilt worden war, hatte der deutsche Dax-Konzern neun Prozesse in Folge für sich entscheiden können.

Doch jetzt zieht neuer Ärger für die Leverkusener auf. Am Dienstag sprach eine Jury im kalifornischen Bundesstaat San Diego einem 57-jährigen Mann 332 Millionen Dollar Schadensersatz zu, weil die Geschworenen Roundup für seine Krebserkrankung verantwortlich machen. Zuvor hatten bereits zwei weitere Gerichte Bayer zu Schadensersatz verurteilt. In Philadelphia urteilte die Jury, dass Bayer dem 83-jährigen Ernie Caranci insgesamt 175 Millionen Dollar Schadensersatz zahlen muss, in einem weiteren Verfahren waren es 1,25 Millionen Dollar.

Bayer betonte am Mittwoch, man könne das Urteil aus Kalifornien nicht nachvollziehen. Die Jury hatte dem Kläger sieben Millionen Dollar Schadensersatz und weitere 325 Millionen Dollar als Strafschadensersatz, den es im deutschen Rechtssystem nicht gibt, zugebilligt. Bayer hält dieses Verhältnis für verfassungswidrig.

154.000
Menschen wollten in den USA Schadensersatz

Bayer geht in die Berufung

Hinzu kommt: Bayer ist grundsätzlich von der Sicherheit der Produkte überzeugt. Der deutsche Konzern kann sich dabei auf die Einschätzung der Zulassungsbehörden weltweit berufen, die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch keine Gesundheitsgefahr durch Glyphosat sehen. „Im amerikanischen Rechtssystem mit Laienjurys kann es leider nicht ausgeschlossen werden, dass Prozesse auch mal verloren werden“, sagte ein Bayer-Sprecher dem Tagesspiegel. Das gelte vor allem für Orte wie Philadelphia und Kalifornien, die für beklagte Unternehmen grundsätzlich schwierig seien. „Wir werden auf jeden Fall Berufung einlegen“, kündigte der Sprecher an.

Die Probleme um Roundup hatte sich Bayer 2018 mit der 60 Milliarden teuren Übernahme des US-Saatgut- und Pestizidherstellers Monsanto ins Haus geholt. Im selben Jahr folgte ein erstes, spektakuläres Urteil gegen Bayer, das eine Klagewelle auslöste. Bisher hat Bayer in den USA neun Verfahren gewonnen und sechs verloren. Bei den ersten drei Fällen ist inzwischen die Berufung abgeschlossen. Bayer musste danach zwar weniger Schadensersatz zahlen, kam aber nicht ganz frei. Versuche, vor dem Supreme Court dagegen anzugehen, sind gescheitert.

Einen Großteil der Fälle hat Bayer jedoch nach eigenen Angaben inzwischen abgearbeitet. Im Frühjahr hieß es, von rund 154.000 angemeldeten Ansprüchen seien 109.000 verglichen worden oder die Vergleichskriterien seien nicht erfüllt. Ende 2022 hatte Bayer ein Polster von 6,4 Milliarden Dollar für aktuelle und künftige Glyphosat-Klagen.

So wirkt Glyphosat

Glyphosat ist das weltweit wichtigste Unkrautvernichtungsmittel. Es ist ein Totalherbizid, das nicht über die Wurzel, sondern über die grünen Bestandteile der Pflanze aufgenommen wird. Der Stoff bewirkt, dass eine Pflanze vollständig verwelkt oder abstirbt. In Deutschland wird Glyphosat auf rund 37 Prozent der Ackerflächen eingesetzt. Damit sollen Felder vor allem nach der Aussaat und der Ernte unkrautfrei gehalten werden.

In der Europäischen Union wird derzeit darüber gestritten, ob der Wirkstoff weitere zehn Jahre lang eingesetzt werden darf. Die aktuelle Zulassung läuft zum Jahresende aus, die EU-Kommission hat sich bereits für eine Verlängerung ausgesprochen. Bei einer Abstimmung der EU-Staaten im Oktober kam im Berufungsausschuss jedoch nicht die dafür erforderliche Mehrheit zustande, nun soll Mitte November erneut entschieden werden. Umweltschützer und der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sind gegen eine Verlängerung, da Glyphosat der Artenvielfalt schade. Vögeln, Insekten und anderen Tieren werde die Nahrungsgrundlage entzogen, heißt es im Agrarministerium.

In der Koalition herrscht jedoch Dissens. Da die FDP für eine Verlängerung plädiert, wird sich Özdemir bei der entscheidenden Abstimmung in zwei Wochen enthalten, kündigte der Minister an. Für eine qualifizierte Entscheidung im Berufungsausschuss wird die Zustimmung von mindestens 55 Prozent der EU-Staaten gebraucht, die zudem noch mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen. Sollte sich im Ausschuss weder eine qualifizierte Mehrheit für noch eine Mehrheit gegen den Vorschlag finden, kann die EU-Kommission eigenständig entscheiden.

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