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Meerblick: Das Jugendgästehaus "Puan Klent" liegt direkt am Wattenmeer von Sylt.

© Promo

Leere Jugendherbergen, Schülerheime ohne Schüler: Storno statt Klassenfahrt

Die Coronakrise setzt gemeinnützigen Häusern zu, die Buchungen brechen ein. Noch hilft der Staat. Aber jetzt hagelt es schon Absagen für das nächste Jahr.

Schöner könnte eine Unterkunft kaum liegen. Vor der Tür wartet das Wattenmeer, wandert man zehn Minuten in die Gegenrichtung, erreicht man erst die Sylter Dünen und dann den weichen, weiten Sandstrand des offenen Meers. Zwischen Rantum und Hörnum im Süden der Insel gelegen, ist das Jugendgästehaus „Puan Klent“ (benannt nach einer nahe gelegenen Düne) ein echtes Kleinod und eines der Lieblingsziele von Schulklassen. Hamburger Schüler machen gern Klassenfahrten in das über 100 Jahre alte Haus, auch Berliner Schulen buchen hier oft ihre Klassenreisen an die Nordsee.

„Es versprach ein gutes Jahr zu werden“, sagt Horst Bötcher. Er leitet die gleichnamige Stiftung, die das Gästehaus mit seinen 400 Betten betreibt. Über 46.000 Anmeldungen hatte „Puan Klent“ für dieses Jahr, doch dann kam Corona. Von März bis Ende Mai musste das Heim schließen, auch jetzt sind wegen des Teillockdowns keine Gäste da. Nur 14.000 Buchungen blieben übrig, dafür schossen die Stornierungskosten in die Höhe. Von einer „ernsthaften sechsstelligen Summe“ spricht Bötcher.

5500 gemeinnützige Häuser sind betroffen

„Puan Klent“ ist kein Einzelfall. In Deutschland gibt es schätzungsweise 5500 gemeinnützige Häuser mit rund 150.000 Mitarbeitern. Egal ob Jugendherberge, Schullandheim, Naturfreundehaus oder kirchliche Begegnungsstätte, sie alle kämpfen mit demselben Problem: dem coronabedingten Ausfall von Gruppenreisen.
Rund 40 ihres Umsatzes machen etwa die Jugendherbergen mit Klassenfahrten. Doch viele Bundesländer haben im neuen Schuljahr – anders als Berlin – mehrtägige Klassenreisen verboten. Dass die Häuser im Sommer wieder öffnen durften, hat das Problem nicht gelöst. Denn wegen der Sommerferien kamen kaum Schulklassen, sondern Familien oder Einzelreisende. „Zwei Wanderer, die in der Jugendherberge im Grünen absteigen, helfen nicht“, gibt Justin Blum, Sprecher des Deutschen Jugendherbergswerks, zu bedenken.

Wohnen wie ein Burggraf: Die Jugendherberge Bacharach in der Burg Stahleck macht es möglich, wenn Reisen wieder erlaubt ist.

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Jugendherbergen: 80 Prozent weniger Übernachtungen

Rund 450 Jugendherbergen gibt es in Deutschland, die Zahlen sind ernüchternd: „Aktuell gehen wir von über 80 Prozent weniger Übernachtungen in diesem Jahr aus“, berichtet Blum. Im vergangenen Jahr waren es rund zehn Millionen, die den Häusern einen Umsatz von rund 385 Millionen Euro beschert hatten. Für dieses Jahr rechnet der Jugendherbergsverband mit einem Umsatzrückgang um zwei Drittel – trotz aufwendiger Hygienekonzepte. Um die Krise zu meistern, gehen einige Betreiber ungewöhnliche Wege. So vermietet der ADS-Grenzfriedensbund, der nichts mit dem Aufmerksamkeitsdefizit zu tun hat, sondern sich für Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzgebiet engagiert, sein Schullandheim in Rantum auf Sylt seit Juli an Handwerker. Wo sonst Schüler Kissenschlachten veranstalten, können jetzt Bauarbeiter für 62 Euro die Nacht im Einzelzimmer mit Halbpension logieren.

Keine Kinder und Jugendlichen da: Das ADS-Heim in Rantum auf Sylt vermietet jetzt an Handwerker.

© Heike Jahberg

Auch „Puan Klent“ ist erfinderisch, wenn es darum geht, Geld aufzutreiben, ist man doch ein gebranntes Kind. Ende 2017 hatte die Stiftung Insolvenz anmelden müssen, seit Februar 2018 läuft der Betrieb wieder planmäßig. Doch vieles ist veraltet. Um zu duschen, muss man über den Flur gehen. Und eine Dusche, unter der fünf Jugendliche gleichzeitig stehen können, hilft zwar, Wasser zu sparen, ist aber nicht mehr zeitgemäß.

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"Puan Klent": Privatleute sollen Anteile kaufen

Das soll sich jetzt ändern. Zwei Drittel der alten Gebäude sollen abgerissen werden, stattdessen soll ein modernes, integratives Dünendorf entstehen. 15 Millionen Euro gibt die öffentliche Hand. 1,2 Millionen Euro muss Stiftungsvorstand Bötcher an Eigenmitteln beisteuern: Dazu hat er eine gemeinnützige Aktiengesellschaft gegründet, die Anteile im Wert von 100 Euro verkauft. Ende November startet der Vertrieb, Zielgruppe sind vor allem Hamburger Privatleute. „Die Hamburger brennen für ,Puan Klent‘“, glaubt Bötcher.

Einfache Ausstattung: In "Puan Klent" soll ein Dünendorf gebaut werden.

© picture alliance/dpa

Wie der Staat hilft

Was die Nöte der Betreiber lindert, ist, dass auch sie inzwischen Hilfe vom Staat bekommen. Sowohl von der Novemberhilfe als auch von der Corona-Überbrückungshilfe des Bundeswirtschaftsministeriums profitieren jetzt auch gemeinnützige Anbieter. Das Bundesfamilienministerium hat zusätzlich 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um gemeinnützige Träger der Kinder- und Jugendhilfe zu unterstützen. Hinzu kommen Landesprogramme. Zudem versuchen die Träger, Geld von Versicherungen für ihre Ausfälle zu holen und offene Stornorechnungen einzutreiben.

Wer trägt die Stornokosten?

In Berlin erstattet die Senatsverwaltung für Finanzen Lehrern beziehungsweise Eltern auf Antrag Stornokosten für Klassenfahrten, die wegen Corona geplatzt sind. Neue Ziele dürfen aber nur noch bei Trägern gebucht werden, die keine Stornokosten erheben, wenn Reisen abgesagt werden. Fast alle anderen Bundesländer verfahren ebenso. Das hat dazu geführt, dass viele Heime inzwischen auf Stornokosten verzichten, wenn eine Klassenfahrt ins Wasser fällt, weil es einen Infektionsfall in der Klasse gibt, Quarantäne angeordnet ist oder behördliche Reiseverbote verhängt werden.

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Gäste sagen jetzt schon für nächstes Jahr ab

Was den Jugendherbergen und anderen zu schaffen macht, ist aber, dass das nächste Jahr ebenfalls ins Wasser zu fallen droht. Auch für 2021 hat „Puan Klent“ bereits wieder 46.000 Reservierungen, doch wöchentlich brechen die Buchungen weg. Die Skepsis ist groß, dass auch im nächsten Jahr behördliche Reiseverbote kommen.

„Reisen für Juli, August und September werden storniert“, sagt Horst Bötcher, „das tut mir so leid.“ Das Deutsche Jugendherbergswerk wünscht sich von der Politik vor allem eines – „eine Perspektive, wann bundesweit wieder Klassenfahrten durchgeführt werden können“, sagt Justin Blum.

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