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Auf der Suche nach dem Ursprung des romantischen Küssens entdecken Forschende einen bislang ungehobenen Schatz.

© Getty Images/piskunov

Knutsch!: Wann der Mensch das Küssen entdeckte

Auf der Suche nach dem Ursprung des romantischen Küssens entdecken Forschende einen bislang ungehobenen Schatz. Auch eine 11.000 Jahre alte Skulptur gibt Hinweise.

Kaum eine andere Geste zeugt von so viel Zuneigung, Intimität und Leidenschaft, wie der Kuss von Liebenden. Romantische Küsse, heimlich geteilt oder in aller Öffentlichkeit, heiß und zärtlich, werden über viele Kulturen hinweg weltweit ausgetauscht. Nur: Wann entdeckten die Menschen den romantischen Kuss für sich?

Darüber gibt es verschiedene Theorien. Erst im Sommer des vergangenen Jahres spekulierten Forschende im Fachblatt Science Advances, dass der romantische Kuss rund 1500 Jahre v. Chr. in Indien aufkam und von dort aus die Welt eroberte. Sie führten damals einen Indizienbeweis. Denn eigentlich ging es in ihrer Arbeit um die Ausbreitung des Herpes simplex-Virus, den Auslöser von Lippenherpes.

Einmal infiziert, verbleibt das Virus ein Leben lang im Körper. Ab und an macht es sich durch Bläschen auf den Lippen bemerkbar, doch auch ohne diese ist es hochansteckend – vor allem durch Küsse. Die Forschenden stellten fest, dass sich Herpes simplex-Viren vor rund 3500 Jahren in Europa und Asien stark verbreiteten.

Sie glichen ihre Daten mit historischen Befunden ab und schlossen, dass in dieser Zeit eine neue Kulturtechnik aufkam und zunehmende Beliebtheit erfuhr: der romantische Kuss, der die Verbreitung von Herpesviren befeuerte.

Schriften, die bereits 2500 Jahre v. Chr. romantische Küsse beschreiben

Ein Forschungsgespann aus Dänemark und Großbritannien stellt diese Theorie nun jedoch auf eine harte Probe. Romantische Küsse, so ihre These, werden bereits seit vielen tausend Jahren, wenn nicht sogar seit hunderttausend Jahren unter Menschen ausgetauscht, schreiben sie im Fachblatt Science.

Denn die Forschenden der Herpes-Studie hatten in ihren Belegen offenbar einen großen Bestand an historischen Daten übersehen: Aufzeichnungen und Beschreibungen aus Mesopotamien, die wesentlich älter sind als 3500 Jahre. Aus dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, wo sich heute Irak und Syrien erstrecken, stammen Schriften, die bereits 2500 Jahre v. Chr. romantische Küsse beschreiben.

Sie will ihn immer sehen, sich an ihn schmiegen und ihn küssen.  Das ist eindeutig ein romantischer Kontext.

Troels Pank Arboell, Assyriologe an der Universität Kopenhagen, über eine Frau, die 2500 v. Chr. lebte

„Wir kennen zum Beispiel einen Text über eine Frau, die sich in einem Mann verliebt“, sagt Troels Pank Arboell, „Sie will ihn immer sehen, sich an ihn schmiegen und ihn küssen. Das ist eindeutig ein romantischer Kontext.“ Arboell ist Assyriologe an der Universität Kopenhagen. Gemeinsam mit Sophie Lund Rasmussen, einer Biologin an der Universität Oxford, hat er sich auf die Suche nach den Ursprüngen des romantischen Kusses begeben.

Rein wissenschaftlich gibt es zwei Arten von Küssen: Zum einen ist da der Kuss, der platonisch verteilt wird, auf die Wange zur Begrüßung zum Beispiel, auf den Handrücken als Zeichen der Ergebenheit, oder von Eltern ihren Kindern auf dem Weg mitgegeben.

Und dann ist da noch der romantische Kuss, den Liebende austauschen, der mit Begehren, Leidenschaft und Sex assoziiert ist. Der freundschaftlich-elterliche Kuss wird überall auf der Welt verteilt. Es gibt keine Kultur, die auf ihn verzichtet. Der romantische Kuss dagegen kommt nicht überall vor.

Küsse mit praktischer Funktion

In der Wissenschaft geht man auch davon aus, dass der romantische Kuss auch eine praktische Funktion hat. Beim Küssen, wenn es richtig gemacht wird, riecht man den Atem des anderen und schmeckt seinen Speichel, was bewusst oder unbewusst als angenehm oder unpassend abgespeichert wird. Auch andere Lebewesen küssen einander: Bei Bonobos wurden Küsse in sexuellem Kontext beobachtet, bei Schimpansen dagegen eher platonische Küsse, die die Gruppenzugehörigkeit stärken.

Das deutet bereits darauf hin, dass das Küssen möglicherweise nicht auf einen einzigen Ursprung bei Menschen zurückzuführen ist, sondern dass es sich auch bei uns um ein universelles Artverhalten handelt. Tatsächlich verweisen paläontologische Funde eines Mundbakteriums sogar darauf, dass bereits Menschen und Neandertaler vor über 100.000 Jahren Küsse austauschten. Ob es sich dabei jedoch um romantische Küsse gehandelt hat, lässt sich nicht sagen.

Ein weiteres Indiz dafür, dass Menschen jedoch schon seit vielen tausend Jahren romantische Küsse tauschen, zeigen „die Liebenden von Ain Sakhri“: eine faustgroße Plastik, die zwei Personen beim Sex darstellt. Sie ist vermutlich um die 11.000 Jahre alt und wurde Ende der 1950er Jahre in der Nähe von Betlehem gefunden. Beide Personen sind eng umschlungen, doch während die Darstellung ihrer Geschlechtsteile die Zeit überdauert hat, sind ihre Gesichter verwittert.

„Die  Liebenden von Ain Sakhri“, ca 11.000 vor Christus.
„Die Liebenden von Ain Sakhri“, ca 11.000 vor Christus.

© imago/UIG/imago stock&people

Dass romantische Küsse in antiken Aufzeichnungen kaum bis gar nicht zu finden sind, hat ganz pragmatische Gründe, sagt der Assyriologe Arboell. Als im antiken Mesopotamien etwa Schrift erfunden wurde, hielten die Menschen damit vor allem administrative Vorgänge fest – politische Wechsel, wirtschaftliche Zusammenhänge.

Erst im dritten Jahrtausend v. Chr. wurden auch Mythen und Zaubersprüche aufgeschrieben. „Zum Beispiel ging es darum, was Götter machen“, sagt Arboell: „Wir kennen eine Aufzeichnung darüber, dass Götter kleine Götter hervorbringen, durch Geschlechtsverkehr – gefolgt von Küssen. Da gibt es also eindeutig einen Zusammenhang zwischen sexueller Romantik und Küssen.“

Schamhaftes Mesopotamien

Später folgten auch Aufzeichnungen über alltägliche Vorgänge im Privatleben der Menschen. Und auch dort wird Küssen manchmal in einen sexuellen oder romantischen Kontext gesetzt. „Im antiken Mesopotamien gab es verschiedene Verben, um den Akt des Küssens zu beschreiben“, sagt Arboell. Oft stehen sie in Zusammenhang mit Sex. Viele Quellen darüber gibt es jedoch nicht – romantische Küsse in der Öffentlichkeit ziemten sich womöglich nicht in der damaligen Gesellschaft und waren vor allem eine Sache zwischen Eheleuten.

Ob die Menschen im antiken Mesopotamien bereits Herpes kannten, ist nicht bekannt. Zwar gibt es Beschreibungen von Symptomen, die als Lippenbläschen gedeutet werden könnten, doch könnten genauso gut andere Erkrankungen gemeint sein. Fest steht jedoch, dass die Menschen bereits damals ein Konzept von Ansteckung durch Körperflüssigkeiten kannten – genauso wie die Gegenmaßnahme, einander zu isolieren.

Zum Beispiel existiert die Beschreibung einer Haremsfrau, die wunde Stellen hatte. In der Aufzeichnung heißt es, dass andere Personen nicht aus dem gleichen Becher wie sie trinken sollten, dass man weder Stuhl noch Bett mit ihr teilen sollte.

An welcher Krankheit die Frau litt, lässt sich heute nicht rekonstruieren. Dass Keime und Viren Krankheiten auslösten, war damals noch unbekannt. „Aber es gab bereits ein Konzept von Kontamination, das jedoch oft in einen religiösen Zusammenhang gesetzt wurde“, sagt Arboell.

Auch wenn die Menschen im antiken Mesopotamien Herpes nicht erkannten, wussten sie also womöglich, wie man der Ausbreitung von Lippenbläschen vorbeugt. Wieso es dann 1500 Jahre v. Chr. zu einer starken Verbreitung der Viren in Europa kam, kann Troels Pank Arboell jedoch nicht erklären: „Ob tatsächlich Küsse der Grund sind oder vielleicht die andere Ursache, bleibt eine interessante Frage.“

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