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Das größte Potenzial für eine kurzfristige Senkung des Gasverbrauchs sehen die Fachleute im Gebäudesektor.

© Foto:dpa / Andrea Warnecke

Deutschland spart zu wenig Gas: „Eine massive Reduzierung ist unerlässlich“

Gutachter halten Energiesicherheit und Klimaschutz für vereinbar. Dafür müsse aber ein Drittel des bisherigen Gasverbrauchs runter, vor allem im Privatbereich.

Die Menschen in Deutschland müssen sich darauf einstellen, in diesem Winter noch mehr Gas als erwartet einzusparen. Ein Gutachten von verschiedenen renommierten Forschungseinrichtungen für die Bundesregierung kommt zu dem Fazit, dass der Gasverbrauch um ein knappes Drittel gesenkt werden muss, wenn die Füllmengen der Gasspeicher ausreichen sollen. So lasse sich Energiesicherheit gewährleisten und gleichzeitig wäre es möglich, die Klimaziele zu erreichen. Dreh- und Angelpunkt dabei seien Einsparungen beim Gasverbrauch.

„30 Prozent des Gasverbrauchs aus Vorkrisenzeiten müssen runter“, erklärte Gunnar Luderer, Vize-Leiter des Ariadne-Projekts vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). In den Sektoren Gebäude, Industrie und Energiewirtschaft seien massive Einsparungen beim Gasverbrauch unerlässlich, schreiben die Forschenden in der umfassenden Energiestudie.

Nur so lasse sich eine Gas-Mangellage mit Lieferunterbrechungen vermeiden und die Gaspreise und Importabhängigkeiten auf ein erträgliches Maß begrenzen. Dafür müssten vor allem die Privathaushalte sparen, etwa indem sie die Raumtemperatur um ein bis zwei Grad absenken oder auf durchgehendes Heizen verzichten. Bei den privaten Gaskunden verzeichnet die Studie bislang noch keine umfassende Einsparung des Gasverbrauchs.

Die Bundesnetzagentur veröffentlichte am Donnerstag hingegen Daten, denen zufolge der Gasverbrauch in der vergangenen Woche im Vergleich zu den gleichen Kalenderwochen der Jahre 2018 bis 2021 bereits um 27 Prozent gesunken ist - auf 1759 Gigawattstunden pro Tag. Dieser Wert beziehe sich auf den kompletten Gasverbrauch, also inklusive der Industriekonzerne. Blickt man nur auf den Verbrauch der Haushalte und kleineren Firmen, so liegt das Minus sogar bei 31 Prozent auf 608 Gigawattstunden pro Tag.

Die Gasspeicher sind laut Netzagentur sehr gut und schneller als erwartet gefüllt worden. Das Ziel, wonach am 1. November im Schnitt die Speicher um 95 Prozent gefüllt sein sollen, könne bei den derzeitigen Wetter vielleicht sogar übertroffen werden. Zuletzt lag der Füllstand mit 96,49 Prozent über der Zielmarke.

Die Bundesnetzagentur hat als Ziel ausgegeben, 20 Prozent zu sparen. Die Forschergruppe des Ariadne-Projekts ist allerdings der Ansicht, dass das nicht ausreicht - ein Minus von 30 Prozent seien nötig für die Versorgungssicherheit und für den Klimaschutz. 

50
Millionen Tonnen CO2 pro Jahr lasse sich durch Gasreduktion gegenüber dem Mittel von 2017-2021 einsparen 

Die Berechnungen würden zeigen, dass die genannten 30 Prozent Reduktion beim Gasverbrauch „möglich und wichtig“ sind, so der Forschungsverbund. „Kurzfristig ist das der wichtigste Baustein, um Deutschlands Energiesouveränität und geopolitische Resilienz wieder zu erhöhen“, sagte PIK-Forscher Gunnar Luderer.

Mehr als 30 Fachleute des vom Bundesforschungsministerium (BMBF) geförderten Kopernikus-Projekts Ariadne haben für die Energiestudie erstmals einen Modell- und Szenarienvergleich vorgenommen, der aufzeigt, welche Stellschrauben und Spielräume zur Verfügung stehen. Dabei sind Klimaschutz und Energiesouveränität miteinander vereinbar, lautet eine ihrer Feststellungen. Allein die Reduktion des Gasverbrauchs führe zu einer Minderung von 50 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr gegenüber dem Mittel der Jahre 2017 bis 2021. 

Die nötigen Einsparungen würden jedoch eine deutliche Trendwende in der Energiewirtschaft und in der Gebäudewärme erfordern. Die Fachleute schlagen dazu vor, den Anteil der Gasverstromung in der Energiewirtschaft durch den entschiedenen Ausbau erneuerbarer Energien entlang der gesetzten Ziele – flankiert von einer zeitlich begrenzten stärkeren Nutzung von Kohlekraftwerken, bis 2023 um bis zu 50 Prozent und bis 2025 um bis zu 80 Prozent zu senken.

Anpassung des Heizverhaltens

Das größte Potenzial für eine kurzfristige Senkung des Gasverbrauchs im Gebäudesektor sehen die Autor:innen in einer Anpassung des Heizverhaltens der privaten Haushalte. „Zum Beispiel das Absenken der Raumtemperatur um ein oder zwei Grad, die Nutzung der Heizung nach Bedarf statt im Dauerbetrieb oder intelligente Heizungsregler“, erläuterte Christoph Kost vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE. 

Energiesicherheit und Klimaschutzziele sind kein Widerspruch – im Gegenteil.

Ottmar Edenhofer, Leiter des Ariadne-Projekts und Direktor des PIK sowie MCC

Durch die Kombination von Wärmepumpen, dem Anschluss an Fern- und Nahwärmenetze und einer verstärkten energetischen Sanierung des Gebäudebestands, lassen sich demnach im Gebäudesektor kurzfristig gut 30 Prozent des Gasbedarfs einsparen. „Die beschleunigte Wärmewende senkt auch langfristig den Gasbedarf und bringt den Sektor auf Kurs für die Klimaneutralität“, sagte Kost.

Im Industriesektor habe kurzfristig vor allem ein Brennstoffwechsel in der Dampferzeugung, in Teilen auch der Industrieöfen, das Potential für eine wesentliche Minderung. „Bis 2025 ließe sich so der Gasverbrauch theoretisch um knapp 50 Prozent reduzieren“, erklärte Andrea Herbst vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI.  

Da dies aber auch zu einem erhöhten Einsatz von Heizöl und Biomasse führen könnte, sei eine beschleunigte Entwicklung CO₂-neutraler Verfahren für das Ziel der Klimaneutralität unablässig. Bisher ist der industrielle Gaseinsatz laut Gutachten im Jahr 2022 immerhin bereits um etwa 20 Prozent gegenüber den Vorjahren zurückgegangen.

„Deutschland braucht nicht nur einen Weg durch den nächsten Winter, sondern auch Wege zu langfristiger Energiesouveränität und Klimaneutralität. Diese Wege zeigen wir jetzt auf“, sagte Gunnar Luderer.

„Energiesicherheit und Klimaschutzziele sind kein Widerspruch – im Gegenteil. Kurzfristig notwendige Politikinterventionen können und sollten also auf beide Ziele einzahlen“, erklärte dazu Ottmar Edenhofer, Leiter des Ariadne-Projekts und Direktor des PIK sowie des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).

„Das A und O sind konsequente Gaseinsparungen“, sagte Edenhofer. Nur so lasse sich der durch die Energiekrise entstandene Schaden für die deutsche und europäische Bevölkerung und Wirtschaft wirksam eingrenzen. „Ebenso wichtig sind jedoch auch Maßnahmen zur sozialen Abfederung, die vor allem die von hohen Energiepreisen besonders betroffenen einkommensschwachen Haushalte entlasten“, so der Klimaökonom.

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