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Der Pilz taucht plötzlich in verschiedenen Weltregionen auf, ist zwischen Menschen übertragbar und gegen diverse Medikamente immun.

© imago images/Science Photo Library/Stephanie Rossow

Fachleute rätseln: Mysteriöser Pilz-Erreger breitet sich aus

Der Pilz taucht plötzlich in verschiedenen Weltregionen auf, ist zwischen Menschen übertragbar und gegen diverse Medikamente immun. Trägt der Klimawandel Mitschuld an der Entwicklung?

Von Walter Willems, dpa

Der Krankheitserreger ist relativ neu und beunruhigt Gesundheitsbehörden weltweit. Der erst 2009 entdeckte Hefepilz Candida auris (C. auris) hat sich rasch international verbreitet. Von Anfang an war der überaus hartnäckige Erreger gegen einige Antimykotika – Medikamente zur Bekämpfung von Pilzbefall – und manche Desinfektionsmittel resistent.

Jüngste Daten aus den USA belegen nun, dass die Zahl der Infektionen dort rapide steigt, in immer mehr Bundesstaaten bereitet der Hefepilz Probleme. „Das sind schon erhebliche Fallzahlen, dabei ist der Pilz noch nicht mal in allen Bundesstaaten verbreitet“, sagt Oliver Kurzai von der Universität Würzburg, Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Invasive Pilzinfektionen. „Das ist besorgungserregend.“

„Candida auris ist ein weltweit verbreiteter pathogener Hefepilz, der eine invasive Kandidose im Blut, Herz, Zentralen Nervensystem, Augen, Knochen und inneren Organen verursachen kann“, schrieb die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Ende letzten Jahres in einem Aufruf, dem Erreger oberste Priorität einzuräumen. Die Mortalität bei der Erkrankung, bei der der Pilz innere Organe befallen kann, liege zwischen 29 und 53 Prozent.

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Angesichts der Problematik hat die US-Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) den Pilz schon 2019 als „dringende Bedrohung“ eingestuft und eine Meldepflicht eingeführt.

Seitdem hat sich die Verbreitung beschleunigt, wie nun eine CDC-Studie im Fachblatt „Annals of Internal Medicine“ zeigt. In den USA war der Pilz zwar schon 2013 angekommen, aber erst 2016 entdeckt worden. In jenem Jahr wurden gleich 53 klinische Fälle registriert, zwei Jahre später – also 2018 – waren es schon 330. Bis 2019 stiegen die Fälle auf 476, bis 2020 auf 756. 2021 lag die Zunahme im Vergleich zum Vorjahr sogar bei 95 Prozent – de facto eine Verdoppelung auf 1471 Fälle.

Immer mehr US-Regionen betroffen

Das Team spricht von einer „dramatischen Steigerung“. Zudem seien immer mehr Regionen betroffen – bis Ende 2021 wurden insgesamt 3270 klinische Fälle in 28 der 50 US-Staaten sowie in der Hauptstadt Washington registriert.

40
klinische Fälle hat es in Deutschland seit 2015 gegeben

86 Prozent der 2020 ermittelten Stämme waren gegen Pilzmittel aus der Gruppe der Azole resistent, 26 Prozent der Stämme reagierten nicht auf das Reserve-Antimykotikum Amphotericin B, und manche Erreger seien sogar immun gegen sämtliche drei Gruppen von Antimykotika, so die CDC.

In Deutschland scheint die Verbreitung bisher überschaubar: Seit 2015 habe es etwa 40 klinische Fälle gegeben, sagt Kurzai. Doch auch hier steige die Zahl, zuletzt seien es zehn bis 15 Fälle pro Jahr gewesen – bislang ohne tödlichen Ausgang. „Wir sehen auch bei uns einen Anstieg“, sagt der Mikrobiologe. „Diesen Trend beobachten wir überall in Europa und auch auf anderen Kontinenten.“ Als Beispiele nennt er Südafrika, Indien, Brasilien und die Arabische Halbinsel.

Ausbruch an der Charité

Glimpflich endete im Jahr 2021 ein Ausbruch an der Berliner Charité, wo C. auris auf einer Covid-Intensivstation zwischen zwei Patienten übertragen wurde. Wie Mitarbeiter der Uniklinik und Kurzai im Fachblatt „Mycoses“ berichteten, war eine 65 Jahre alte Frau auf die Station gekommen und wegen der Infektion mit einem resistenten Bakterium – Klebsiella pneumoniae – sofort isoliert worden. Elf Tage später ergaben Analysen, dass sie den Hefepilz C. auris trug, der ihr aber keine Probleme machte. Doch kurz danach verursachte der Erreger bei einem 60-jährigen Mann auf der gleichen Station eine Sepsis.

Die Situation war brandgefährlich. Wir haben Glück gehabt.

Oliver Kurzai von der Universität Würzburg, Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Invasive Pilzinfektionen

Nachträgliche Analysen deuten darauf hin, dass der Patient über einen Spatel zum Intubieren angesteckt wurde, der sieben Tage vorher bei der Frau zum Einsatz kam. Zwar war das Gerät desinfiziert worden, aber das dafür benutzte Chlordioxid hatte den hartnäckigen Erreger nicht abgetötet. Nun werden auf der Station Einweg-Spatel verwendet.

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„Die Situation war brandgefährlich“, sagt Kurzai. Man habe „Glück gehabt und an der Charité sehr professionell gearbeitet“. „Wenn der Erreger erstmal in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Reha-Einrichtungen angekommen ist, haben wir ein großes Problem.“ Zwar werde man eine solche Ausbreitung auf Dauer nicht abwenden können, „aber jedes Jahr zählt, in dem wir das verhindern“.

Oliver Kurzai hält in einem Labor der Universität in Würzburg eine Petrischale mit dem Hefepilz Candida auris in den Händen. Auch in Deutschland gibt es Fälle, doch die Verbreitung scheint überschaubar.

© picture alliance/dpa/Nicolas Armer

In Europa wurden größere Ausbrüche in Krankenhäusern inzwischen aus Spanien, Italien und Griechenland gemeldet – und wiederholt aus England. In den Jahren 2015/2016 traten in einem Londoner Krankenhaus auf einer herzchirurgischen Station 50 Fälle auf, 9 davon betrafen die Blutbahn von Menschen. Der Ausbruch zog sich über 16 Monate hin. Und auf einer Intensivstation der Uniklinik Oxford dauerte ein Ausbruch, der 70 Patienten betraf, sogar 2,5 Jahre. Übertragen wurde der Pilz wohl ebenfalls durch medizinisches Gerät, etwa Sonden zum Ermitteln der Temperatur in den Achselhöhlen – eine Körperregion, die gerne von C. auris besiedelt wird.

Dass sich solche Ausbrüche länger hinziehen können, begründet Kurzai damit, dass sich der anspruchslose Erreger nicht nur bei Menschen schwer eliminieren lässt, sondern dass er mitunter monatelang auf Oberflächen überleben kann.

Um die Entwicklung in Deutschland besser beobachten zu können, raten Kurzai und andere Experten zu einer Meldepflicht für Nachweise des Pilzes. Im Fachblatt „Mycoses“ empfehlen sie zudem ein ganzes Bündel von Maßnahmen, darunter Screenings in Kliniken, Hygieneregeln und spezielle Desinfektionsstrategien.

Doch wo kommt der Erreger überhaupt her? Erstmals identifiziert wurde Candida auris 2009 bei einer 70 Jahre alten Japanerin in einem Krankenhaus in Tokio. Der lateinische Name „auris“ rührt daher, dass der Pilz im Ohr der Frau gefunden wurde. Nachträgliche Analysen aufbewahrter Proben fanden den bislang frühesten Erreger-Nachweis in der 1996 entnommenen Blutprobe eines Kleinkinds in Südkorea.

Nur 0,01 Prozent der insgesamt fünf Millionen Pilzarten können beim Menschen Krankheiten verursachen.

Bernhard Hube vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena

Experten rätseln, warum diverse Stämme des Pilzes relativ zeitgleich in verschiedenen Weltregionen auftauchten: Südamerika, Südafrika, Südasien und Japan. Auch dass ein Pilz, der ursprünglich aus der Umwelt stammt, plötzlich auf den Menschen überspringen konnte, sorgt für Verblüffung.

Candida auris wird über Schmierinfektionen übertragen und kann zu Infektionen führen, die das Herz, Zentrale Nervensystem oder die inneren Organe betreffen. Die Mortalität bei der Erkrankung, bei der der Pilz innere Organe befallen kann, liege zwischen 29 und 53 Prozent.

© imago/Science Photo Library/Kateryna Kon

Das sei absolut ungewöhnlich, sagt Bernhard Hube vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena. „Nur 0,01 Prozent der insgesamt fünf Millionen Pilzarten können beim Menschen Krankheiten verursachen.“ Auch dass der Pilz leicht zwischen Menschen übertragbar sei, sei „eine Ausnahme bei Pilzen, die lebensgefährliche Infektionen auslösen könnten“, betont der Experte.

Angesichts der hohen Temperaturtoleranz – der Pilz überlebt bei bis zu 42 Grad Celsius – vermutet Arturo Casadevall von der Johns Hopkins University in Baltimore eine Beteiligung des Klimawandels. Erst die Anpassung an die Erderwärmung habe die Art überhaupt dazu in die Lage versetzt, den Menschen mit seiner hohen Körpertemperatur von 37 Grad Celsius besiedeln zu können, schrieb ein Team um den Mikrobiologen 2021 im Fachblatt „mBio“.

Eine andere Überlegung stützt sich auf die Tatsache, dass viele C. auris-Stämme gegen die Pilzmittel-Gruppe der Azole resistent sind. Gleichzeitig ist bekannt, dass der großflächige Einsatz von Antimykotika in der Landwirtschaft Resistenzen bei anderen krankheitserregenden Pilzen gegenüber Azolen begünstigt. 

Damit liegt der Verdacht nahe, dass auch die beim Menschen vorkommenden C. auris-Pilze ihre Resistenzen durch Kontakt mit diesen Pestiziden erhalten haben, wie auch die WHO schreibt. Beide Vermutungen mögen plausibel klingen, ein Beweis dafür steht noch aus.

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