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18.000 Liter auf fünf Meter Breite simulieren eine zwei Meter hohe Flutwelle.

© Nils van Rooijen

Flower Power: Blumen machen Deiche widerstandsfähiger

Mit tief wurzelnden Kräutern und Blumen machen die Niederlande ihre Deiche stabiler, zeigen Tests. Und ökologisch wertvoller.

In kürzester Zeit donnern die Wassermassen über die Deichkrone nach unten, 100 Liter pro Meter pro Sekunde, ein Albtraum für jeden Deichbauer.

Doch die vermeintliche Katastrophe an einem Deich der Maas bei Nijmegen ist gewollt: Im Rahmen des Projektes „Future Dikes“ testen Wissenschaftler der Radboud Universität Nijmegen und der Universität Wageningen die Widerstandsfähigkeit eines Deiches bei einer angenommenen Flutwelle von zwei Metern, die über den Deich schwappt.

Ein bepflanzter Deich am Wattenmeer.

© Nils van Rooijen

Dazu haben die Wissenschaftler auf der Deichkrone eine Vorrichtung errichtet, in die jeweils 18.000 Liter Wasser gepumpt werden, um sie dann auf einer Breite von fünf Metern über den Deich fließen zu lassen. Hält die Grasnarbe das aus?

30 Zentimeter tiefe Wurzeln stabilisieren den Deich

Normales Gras wurzelt etwa fünf Zentimeter tief, fügt man noch Blumen und Kräuter hinzu, können Wurzeln zehn, 30 Zentimeter oder gar noch tiefer reichen und damit das Erdreich auf dem Deich viel besser stabilisieren.

17.000
Kilometer Deiche gibt es in den Niederlanden, 3000 Kilometer davon sind Primärdeiche, die der Nordsee, Flüssen und dem Ijsselmeer standhalten.

„Der Schaden reicht bisher nie tiefer als zehn Zentimeter“, sagt der Pflanzenökologe Niels van Rooijen von der Universität Wageningen im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Über Blumendeiche habe man schon in den neunziger Jahren geforscht, aber der nationalen Wasserbaubehörde (Rijkswaterstaat) schienen das Verfahren und die Pflege zu aufwändig.

Blumendeich bei Nijmegen an der Maas.

© Cyriil Liebrand

Doch die Zeiten haben sich geändert und auch der Rijkswaterstaat muss umdenken. Von den 17.000 Kilometern Deich in den Niederlanden sind 3000 Kilometer Primärdeiche, die direkt das Wasser der Flüsse, des Ijsselmeeres und des Meeres abwehren müssen. Davon müssen im Rahmen eines neuen nationalen Hochwasserschutzprogramms bis 2050 etwa 1500 Kilometer verstärkt werden – eine gigantische Aufgabe.

„Flower-Power“-Deiche verbessern die Biodiversität

Bisher habe man das Thema Deich und Sicherheit nur von der technischen, physikalischen Seite gesehen. Aber heute gehe es um mehr, sagt van Rooijen.

Dank einer guten Datenbank über den Pflanzenbestand auf den niederländischen Deichen wisse man, dass auf den 200 Kilometern Küstendeichen im Wattenmeer, wo es einen höheren Tonanteil im Boden gibt, auf fünf Mal fünf Meter etwa acht Pflanzensorten vorkommen, auf den Deichen im Landesinnern und entlang der Flüsse Maas, Waal und Ijssel im Osten aber 65 Pflanzenarten. Früher bevorzugte man grüne Deiche glatt wie ein Billardtuch, das aus vier bis fünf Grassorten besteht und von Schafen kurz gehalten wird.

Doch in den letzten vier, fünf Jahren hat sich das Bild verändert. Beimischungen von Blumen- und Kräutersamen lassen neue, vielfältigere Deiche entstehen. Ziel des Projektes ist es nun, auch wissenschaftlich-technisch nachzuweisen, dass diese artenreicheren Deiche eine stabilere Grasnarbe entwickeln, die dem Wasser viel mehr Widerstand leisten kann.

Widerstandsfähig gegen 25 Millionen Liter Wasser

An einer Stelle der Versuchsanordnung seien bisher 25 Millionen Liter Wasser über den Deich gerauscht, ohne nennenswerten Schaden anzurichten, sagt van Rooijen. Ein Stück weiter gab es dagegen ein V-förmiges Aufrollen der Grasnarbe ohne Beimischungen durch die Überflutungen, aber der Schaden ging nicht tiefer als zehn Zentimeter.

Der Kommissar der Deltawerke hatte bei Nijmegen einen Blumendeich gesehen und angeregt, mehr solcher „Flower Power Dikes“ zu schaffen – mit Erfolg. Diese Deiche sind auch gut für die Biodiversität, sie reichen wie die Blutadern des Körpers weit ins Land, „Autobahnen für Pflanzen und Tiere“ nennt sie van Rooijen. Sie sähen auch noch gut aus und lockten im Sommer vor allem Radtouristen an.

Van Rooijen sieht noch viel Potenzial für Blumen- und Kräuterdeiche, aber sie müssten natürlich auch gepflegt, also gemäht werden: mindestens zwei Mal im Jahr. Jetzt komme es darauf an, welche Kräuter- und Blumensamen man den Grassamen beimische, denn jeder Deich sei anders. Teures Saatgut aus Neuseeland müsse die regionale Wasserbehörde aber auf Dauer nicht mehr kaufen. Die Deiche ließen sich auch für die Zucht eigenen Saatgutes nutzen.

Der einzige Schwachpunkt der Blumendeiche sei noch der Straßenbelag, der auf der Deichkrone liegt. Im Übergang zum eigentlichen Deich kann hier Wasser eindringen. Ein Problem, das noch gelöst werden muss.

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