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Salzwiese mit Europäischer Queller im Naturschutzgebiet Zwin, Belgien. Das Marschland ist ein empfindliches Ökosystem, das ohnehin von Menschen stark beeinflusst wird.

© imago images/blickwinkel

Steigender Meeresspiegel gefährdet Marschland: Natürliche Barriere zwischen Wasser und Land geht verloren

Salzwiesen schützen Siedlungen und Ackerland vor Fluten. Mit dem Klimawandel drohen sie aber unterzugehen.

Gleich hinter der Küste liegt in vielen Teilen der Erde ein „Marsch“ genannter Streifen. Er ist zwar eindeutig Land. Aber das Meer oder auch das Wasser in der Mündung eines Flusses drückt ihm noch immer seinen Stempel auf. Denn: Läuft die Flut ein wenig höher auf, überschwemmt das Salzwasser des Meeres oder das Brackwasser in Flussmündungen wie der Elbe dieses Land ein wenig. Dort wachsen nur Pflanzen wie die Strandaster und das Andelgras, die den hohen Salzgehalt des Bodens vertragen. Am Meer entsteht so eine Salzwiese.

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Steigt der Meeresspiegel, lagern die höheren Fluten dort auch mehr Schwebstoffe ab, und das Schwemmland wird ein klein wenig höher. So kann die Marsch praktisch mit dem Meeresspiegel mitwachsen. Allerdings klappt das nur, wenn die Gezeiten nur langsam ein höheres Niveau erreichen. Steigt der Meeresspiegel dagegen rasch, so wie es für das Ende dieses Jahrhunderts erwartet wird, könnte dieses neue Schwemmland unter seinem eigenen Gewicht ein wenig tiefer sinken und so irgendwann untergehen, berichten Neil Saintilan von der Macquarie University in Sydney in Australien und sein Team nun in der Fachzeitschrift „Science“.

Ein solcher Verlust trifft ein wichtiges, aber eben auch empfindliches Ökosystem, das ohnehin von den Menschen an den Küsten bereits seit Jahrhunderten stark beeinflusst wird. Dort schützen in Norddeutschland und in Holland seit langem Deiche das Schwemmland, das sich im Laufe von Jahrtausenden hinter der Küste gebildet hat. Dieses Marschland wird von den Gezeiten nicht mehr beeinflusst.

Gezeiten spielen große Rolle

Hinter den Deichen sind die Dörfer sicher vor Sturmfluten und die Betriebe beackern einen sehr reichen Boden, der sehr gute Ernten bringt. Allerdings: Die Salzwiesen vor den Deichen sind viel schmaler als früher.

„Steigt der Meeresspiegel, beobachten wir auch dort, dass einige Salzwiesen mitwachsen“, erklärt Hans-Ulrich Rösner, der in Husum das Wattenmeerbüro der Naturschutzorganisation WWF leitet. An der aktuellen Studie war der Biologe und Ornithologe nicht beteiligt. Der Grund für diesen Effekt, sind die Gezeiten, die jeden Tag ein wenig anders sind und daher die Hochwasser mehr oder weniger hochlaufen lassen.

Zusätzlich verändern auch noch Winde und Strömungen die Gezeiten. Je nach Höhe erreicht das Meer diesen Uferstreifen hinter der Küste fast jeden Tag oder nur einige Male im Jahr und lagert dort Salz ab. Eine Salzwiese entsteht, in der Pflanzen wie das Andelgras, die Keilmelde, der Strandflieder und die Salzaster wachsen. An den Stellen, an denen die Küste noch etwas höher ist, kommt das Hochwasser nur noch wenige Male im Jahr hin. Dort steckt weniger Salz im Boden, so blühen daher auch andere Pflanzen.

Etliche Vogelarten profitieren von Salzwiese

Die Hochwasser tragen aber nicht nur Salz in diese aktiven Marschen, sondern bringen auch Schwebstoffe mit. Diese sind aus dem Boden entstanden, den Wellen und Sturmfluten von den Küsten und Stränden der Inseln im Wattenmeer mitgerissen haben und enthalten auch viel organisches Material.

In einer Salzwiese aber bremsen die Gewächse die Fluten, und das leichte Material sinkt langsam auf den Grund. Durch diese häufige Berieselung wachsen die Böden vieler Salzwiesen langsam in die Höhe und können so mit dem im Klimawandel ansteigenden Meeresspiegel zumindest heute noch Schritt halten.

Werden diese Salzwiesen nicht mehr künstlich entwässert und beweidet, sondern bleiben sich selbst überlassen, profitieren auch etliche Vogelarten enorm: In der hohen Vegetation sind die Tiere dort vor Feinden geschützt, und aus jedem Nest schlüpfen im Durchschnitt mehr Küken, weil die Räuber die Gelege schlechter finden. Auch finden die Jungtiere in der dichten Vegetation mehr Insektennahrung als auf den beweideten Flächen, schließt die Verwaltung des Wattenmeer-Nationalparks Schleswig-Holstein aus mehreren Studien.
Auf der Hamburger Hallig brüteten zum Beispiel 1991 35 Rotschenkelpaare, nach Ende der Beweidung zählte man 1999 dort bereits 190 Paare. Auch Schnatter-, Löffel-, Reiher- und Eiderenten, sowie Brandgänse bevorzugen genau wie Singvögel die Flächen, die nicht als Viehweide genutzt werden. Die nicht beweidete Salzwiesen halten außerdem die Sedimente stärker zurück und wachsen so schneller in die Höhe.

Das aktive Marschland wächst allerdings keineswegs an allen Küsten. „Im Südosten Englands brechen viele Salzwiesen an ihren Kanten oft sehr stark ab und werden von den Strömungen dann ins Meer gespült“, schildert WWF-Experte Hans-Ulrich Rösner die Situation an den flachen Küsten Großbritanniens. „Viele Salzwiesen an diesen Küsten sind dort bereits verloren gegangen“, erklärt der Biologe.

Sedimente werden zusammengepresst

Einen weiteren Faktor solcher Salzwiesen-Verluste haben jetzt Neil Saintilan und sein Team identifiziert. Dafür untersuchten sie 97 Gebiete mit solchem von den Gezeiten beeinflusstem Marschland auf vier Kontinenten: Lagern die Strömungen in den Salzwiesen und in Brackwasser-Flächen in den Mündungen der Flüsse immer mehr Sedimente ab, kann auch eine kritische Grenze überschritten werden.

Dann werden die Sedimente unter ihrem eigenen Gewicht zusammengepresst und lassen die Salzwiese nach unten sinken. Der Wettlauf mit dem steigenden Meeresspiegel droht dann verloren zu gehen.

In dieser Situation haben die Salzwiesen nur noch eine Ausweichmöglichkeit, sie können landeinwärts wandern, erklären Neil Saintilan und seine Gruppe: Wenn der Meeresspiegel steigt, fluten die Sturmfluten einige höhere Regionen, die sie bisher nicht erreicht hatten. Auch dort lagern sie Sedimente ab, düngen den Boden und lassen ihn wachsen. Aber nur, solange die Fluten nicht auf Hindernisse treffen. Die wiederum sind häufig aus Menschenhand, werden „Deiche“ genannt, und sollen die Siedlungen samt Hab und Gut, sowie das Ackerland dahinter schützen.

Küstenschutz an Natur anpassen

Auch dann können die Salzwiesen noch eine Chance haben, zeigt die 800 Hektar große Wallasea-Halbinsel an der Küste der englischen Grafschaft Essex nördlich der Mündung der Themse. Dort wurde der gefährdete Deich an der Küste ins Hinterland verlegt. Das Land zwischen alter und neuer Barriere wurde den Gezeiten überlassen. So entstanden auf 275 Hektar Wattflächen und Salzwiesen, auf denen viele Wat- und Zugvögel rasten.

„Auch an der deutschen Nordsee kommt es darauf an, den Küstenschutz so naturangepasst wie möglich durchzuführen“, meint WWF-Experte Hans-Ulrich Rösner.

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