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Pflanzenbiologe Marcel Robischon. Professor für Agrarökologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, am 3. November 2022, bei der Berlin Science Week im Humboldt Labor des Humboldt Forums.

© Humboldt Labor/HU Berlin/Berlin Science Week/Joris Felix

Ganz nah dran an der Wissenschaft: Mitten in Berlin der Natur auf der Spur

Nicht nur Menschen, auch Pflanzen kommunizieren. Und Gletscher erzählen, was in der Menschheitsgeschichte falsch läuft. Eine Schnupper-Tour auf der Berlin Science Week.

Eigentlich würde er dem Publikum die Kommunikation der Bäume lieber draußen erklären anstatt im Humboldt Forum, sagt der Pflanzenbiologe Marcel Robischon. Die Studierenden nimmt Robischon, der als Professor für Agrarökologie an der Humboldt-Uni lehrt, so oft es geht und selbst bei „Wind und Wetter“ mit in den Wald. Der sei schließlich der beste Hörsaal.

Die Science Week findet aber inmitten Berlins statt und so hat Robischon die Zweige, Blätter und Rinde einer Birkenart mitgebracht, damit das Publikum „eine Silbe aus dem Gespräch der Bäume“ erlauschen kann.

Diese Silbe ist eigentlich kein Laut, sondern ein Geruch, erklärt Robischon, und reicht dem Publikum eine Riechprobe aus eingelegter Rinde herum, die viele mit Medizin oder Menthol assoziieren. Was hier in die Nase steigt ist ein Warnsignal, das diese Birkenart an ihre „Artgenossen“ aussendet, sobald sie beschädigt wird. Frisst ein Insekt oder ein anderes Tier den Baum oder Sprössling an oder bricht man ihm einen Ast ab, stellt sein System eine Säure her, die in Gasform aus der Pflanze entweicht: Methylsalicylat.

Die Begegnung mit dem Forstwissenschaftler zeigt: Bei der Berlin Science Week kommt man der Natur, der Forschung darüber und den Wissenschaftler:innen sehr nahe. Das ist das Prinzip, dass diese „Berliner Wissenschafts-Woche“, die noch bis zum 10. November zu vielen Dutzend solcher Events einlädt, so attraktiv macht. Für das interessierte Publikum, aber auch für Forschende selbst, von denen in diesen Tagen viele zu Gast sind, etwa für die internationale Falling Walls Conference, in der es um wissenschaftliche Durchbrüche geht.

In der Science Week gibt es aber auch für Laien vieles zu entdecken, das die Horizonte erweitert – „von Adlershof bis zur American Academy am Wannsee“, wie Festivalleiterin Christine Brummer sagt. Der zentrale Campus im Naturkundemuseum in der Invalidenstraße in Berlin-Mitte aber sei aber an diesem Sonnabend der richtige Ausgangspunkt für Menschen vom Vorschul- bis ins Großeltern-Alter, „die sich für wissenschaftliche Themen begeistern und darüber in den Dialog kommen wollen“.

Einen idealen Einstieg dafür bietet das 200 Jahre alte Gipsmodell des Aletschgletschers im Hochgebirge der Schweizer Alpen. Seine lang zurückliegende Entstehungsgeschichte sieht man ihm nicht an. So frisch erscheinen die lange und breite Eismasse und herausguckenden Bergkuppen. Gebaut wurde das Modell für die damals noch junge Berliner Universität um 1820. Dann war es lange vergessen und wurde erst 2010 im Geografischen Institut in Adlershof wiederentdeckt.

Anna-Rose (14), Schülerin aus Paris, erkundet im Museum für Naturkunde mit einer Virtual Reality Brille die Schmelze des Aletschgletschers seit Mitte des 19. Jahrhunderts.

© Tsp/Burchard

An diesem Wochenende ist es ausgeliehen ans Museum für Naturkunde. Hier sind das alte Gipsmodell und eine damit verbundene virtuelle Zeitreise seit Freitag ein Highlight des Campus der Berlin Science Week. Die 14-Jährige Anna-Rose ist sichtlich beeindruckt, als sie nach ihrer achtminütigen Reise in die Vergangenheit und Zukunft des Aletschgletschers die schwere Virtual-Reality-Brille abnimmt. „Ich habe diesen Gletscher schmelzen gesehen und mir gedacht: Wir können nicht in der Zeit zurückgehen und den Schaden wieder gut machen. Deshalb müssen wir unser Verhalten jetzt anpassen – für die Zukunft.“

Nach der Science Week geht es im Humboldt Labor weiter

Gestartet ist Anna-Rose im Hotelzimmer des britischen Naturforschers John Tyndall, der die Bewegungen des Gletschers in der Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals erforschte. Seine Messdaten wurden von der Universität Zürich – die Stadt ist in diesem Jahr Partnerin der Berlin Science Week – und einem Büro für Wissenschaftliche Illustration mit Forschungsdaten der darauffolgenden Jahrzehnte bis heute und in einer Simulation für das Jahr 2100 zusammengeführt.

So schmilzt der stolze Gletscher über die Jahrzehnte dahin und wer die VR-Brille für einige Minuten ergattert, wird in die dramatische Entwicklung hineingezogen. Falls die Schlange am Sonnabend, dem zweiten und letzten Tag des Campus im Naturkundemuseum, zu lang ist: Das alte Gletschermodell und die virtuelle Forschungsreise sind nach der Science Week und dann bis Juni 2023 im Humboldt Labor des Humboldt Forums zu erleben.

Dass für kleine und große Forscher:innen durchaus dieselbe Technik interessant sein kann, zeigt die Station „VR Plant Journey“, die ebenfalls eine Reise mit einer virtuellen Brille anbietet – und zwar die eines Stickstoffmoleküls von der Wurzel bis in die Samenkapsel der Pflanze. Für Laien ist das einfach spannend anzuschauen als Einblick in die Pflanzenphysiologie und -chemie. Und für Forschende? Die könnten virtuelle Realität benutzen, um unterschiedliche Forschungsdaten von klassischen Schnittbildern, über Genanalysen bis hin zu Drohnenaufnahmen bepflanzter Felder zusammenzubringen, erklärt ein junger Konstrukteur.

Sich austauschen können die sich die Gäste der Science Week direkt mit Forschenden und Ausstellungsgestaltern, die an jeder Station dabei sind und gerne alles erklären. Auf dem zentralen Campus diskutiert werden kann zum Beispiel nach dem Dokumentarfilm „Dear Future Children“ (Liebe Kinder der Zukunft), in dem es am Sonnabend um 11.30 Uhr um drei junge Klima-Aktivistinnen in Afrika, Asien und Südamerika geht.

Oder bei einem Workshop der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin zum Thema „Beyond Erdgas: Wie werden wir unabhängig und klimaneutral?“. Hier und an vielen anderen Stationen trifft angewandte Wissenschaft auf die brennende, alltägliche Realität der Menschen in der Klima- und Energiekrise. Das ist zweifellos ein weiterer Grund, sich ins zuweilen unübersichtliche Angebot der Science Week hineinzuwagen.

Noch einmal zurück zur Birke aus dem Humboldt Forum, die neben wehrhafter Säure auch eine hoffnungsvolle Botschaft birgt: Sie ist ein „Pioniergehölz“, das erste Bäumchen, dass nach einem Waldbrand aus dem mineralienreichen Boden sprießt.

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