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Der Weißbürzelpipra (Lepidothrix nattereri) entwickelt sich seit etwa 750.000 Jahren getrennt vom Opalscheitelpipra (Lepidothrix iris).

© Weir Lab at the University of Toronto at Scarborough/Maya Faccio

Getrennte Wege des Lebens: Neue Arten entstehen auch in ähnlichen Lebensräumen

Das Anforderungsprofil der Umwelt kann die Evolution vorantreiben. Doch schon geografischer Abstand kann neue Arten hervorbringen. Neue Forschungsergebnisse ergänzen das klassische Bild der Evolution.

Als Charles Darwin 1831 die Galapagos-Inseln besuchte, dokumentierte er erstmals die Vielfalt der später nach ihm benannten Darwin-Finken. Die Tiere stammen wahrscheinlich von einer Art ab, haben sich aber an unterschiedliche Lebensräume auf den Inseln angepasst und sind zu eigenen Arten geworden.

Aus solchen Beobachtungen formte der englische Forscher die Evolutionstheorie, mit der er die Entwicklung verschiedener Arten erklärte. Seither wurde sie vielfach bestätigt. Allerdings entstehen Vogelarten in den meisten Fällen nicht in verschiedenartigen, sondern in sehr ähnlichen Lebensräumen, die zumindest phasenweise voneinander getrennt waren. Das berichten Sean Anderson und Jason Weir von der University of Toronto in Kanada jetzt in der Zeitschrift „Science“.

Der Opalscheitelpipra (Lepidothrix iris) hat sich auf eigene Weise an seinen Lebensraum angepasst.

© Weir Lab at the University of Toronto at Scarborough/Maya Faccio

Die beiden Forscher haben 129 Vogelarten-Paare aus Südamerika untersucht, die sich gerade trennen oder das vor Kurzem getan haben. Zudem zogen sie bereits veröffentlichte Untersuchungen heran und konnten so mehr als tausend Paare von Vogelarten, Säugetier- und Amphibien-Arten miteinander vergleichen.

Schnabelform und Tonlage

Evolutionsbiologen haben vielfach Hinweise darauf gefunden, dass neue Arten häufig dann entstehen, wenn sie sich an neue Lebensbedingungen anpassen. So hat sich der Waldsängerfink wohl schon vor seiner Ankunft auf den Galapagos-Inseln auf Insekten als Leibspeise spezialisiert, die er im Wald mit seinem schlanken Schnabel aufpickt.

Auf den Inseln des Archipels produzieren viele Pflanzen aber auch harte Samen, die ein graziles Beißwerkzeug kaum knacken kann. Um diese energiereiche Nahrung nutzen zu können, braucht es kräftigere Schnäbel, die sich beim Mittelgrundfink dann auch entwickelt haben. Das schwere Beißwerkzeug macht auch den Gesang des Vogels dunkler, während der Waldsängerfink heller singt.

Die Tonlage hat der Mangrovenfink samt des schmalen Schnabels beibehalten. Nur lebt er damit im Mangrovenwald, der nur auf der Galapagos-Insel Isabela wächst. Im dunklen Grün würde das hellbraune Gefieder am Bauch des Waldsängerfinken aber auffallen und die Tiere würden leichter zur Beute von Räubern. Der Mangrovenfink hat daher olivgrünes Gefieder entwickelt, das ihn tarnt – und wurde unter dem Druck der Umweltbedingungen zur eigenen Art.

Eher die Ausnahme als die Regel

Diesen Einfluss von unterschiedlichen Lebensräumen auf die Gestalt der Arten fanden Anderson und Weir aber nur bei wenigen der untersuchten Artenpaare. Die meisten entwickelten sich in sehr ähnlichen Lebensräumen zu getrennten Arten. Dabei wirken sich auch zufällige Veränderungen aus, etwa, wenn in einem Tiefland-Regenwald Vögel einen neuen Gesang ausprobieren, während ihre Verwandtschaft in einem ähnlichen Gebiet hinter einer Barriere, wie etwa einem Gebirge oder einem Gewässer, bei ihrem angestammten Lied bleibt.

Arten spalten sich auch in sehr ähnlichen Lebensräumen auf. „Adaptive ökologische Divergenz ist bei Wirbeltieren eher die Ausnahme als die Regel“, schreiben die Autoren. Das widerspreche der klassischen Vorstellung, dass Anpassungen an unterschiedliche Bedingungen die Artenbildung einleiten. Das Ergebnis unterstützt „ein sich abzeichnendes Bild“, wonach neue Arten häufig entstehen, obwohl sie sich ökologisch kaum auseinanderentwickeln.

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