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Wieder vernässte Moore können Klimaschutz- und weitere Serviceleistungen erbringen und könnten dabei auch landwirtschaftlich genutzt werden.

© IMAGO/Countrypixel/imago

Green Deal auf der Kippe: Streit ums europäische Renaturierungsgesetz

Es ist ein zentraler Baustein der europäischen Politik für Klima- und Biodiversitätsschutz. Doch das Renaturierungsgesetz droht wegen Falschinformationen zu scheitern, sagen Forschende.

Es war ein Unentschieden, könnte man meinen. Die Abgeordneten im Umweltausschuss des EU-Parlaments stimmten Ende Juni jeweils zur Hälfte für und gegen das ihnen zuerst vorgelegte Renaturierungsgesetz: 44 zu 44. Doch da sich keine Mehrheit dafür fand – die konservative EU-Fraktion EVP stimmte geschlossen dagegen – geht eine Ablehnungsempfehlung an das Parlament, das am Mittwoch darüber entscheiden soll.

In einem offenen Brief sprechen sich Forschende jedoch für das im Rahmen des Green Deal der EU vorgesehene Renaturierungsgesetz aus und weisen „unbegründete Argumente“ zurück. Über 6000 weitere Forschende hatten den Brief am Montag unterzeichnet.

Ehrgeizige Ziele

Mit dem Gesetzesentwurf zur Wiederherstellung der Natur schlägt die Europäische Kommission das Ziel vor, bis zum Jahr 2030 80 Prozent der Lebensräume in schlechtem Zustand wiederherzustellen. Es ist die erste Rechtsakte ihrer Art, die auf die Wiederherstellung abzielt. Alle Arten von Ökosystemen sollen renaturiert werden – von Wald- und landwirtschaftlichen Flächen bis hin zu Meeres-, Süßwasser- und städtischen Ökosystemen. Für jeden Mitgliedstaat der EU würden rechtsverbindliche Ziele gelten.

Bis 2030 sollen für mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresgebiete Wiederherstellungsmaßnahmen durchgeführt und diese bis 2050 auf alle sanierungsbedürftigen Ökosysteme ausgedehnt werden. Dafür werden auch EU-Mittel bereitgestellt: Rund 100 Milliarden Euro sind für die Förderung von biologischer Vielfalt und Wiederherstellung zweckgebunden, heißt es.

Renaturierung sei nicht gleichbedeutend mit der Einrichtung von Schutzgebieten, teilte die Kommission mit. Zwar müsse auch die Natur in Schutzgebieten wiederhergestellt werden, aber nicht alle renaturierten Gebiete müssten zu Schutzgebieten erklärt werden. Wirtschaftstätigkeiten würden durch die Maßnahmen nicht ausgeschlossen.

Fragen der Verantwortung

„Renaturierung und die Umstellung auf nachhaltige Ressourcennutzung sind von entscheidender Bedeutung, um den Bedürfnissen von Verbrauchern und Erzeugern innerhalb und außerhalb der EU gerecht zu werden“, heißt es in dem offenen Brief, den Wissenschaftler um Guy Pe’er vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig formuliert haben.

„Das Thema ist in der Mitte der Politik angekommen“, sagte Pe’er in einem Pressegespräch mit dem Science Media Center. „Endlich, würde ich sagen.“ Die Welt schaue auf Europa, ob man Maßnahmen ergreife, die gegen die Biodiversitäts- und die Klimakrise wirken sollen. „Wenn wir nicht die Verantwortung übernehmen für den Verlust unserer Natur über die letzten Jahrhunderte, was sollen wir von anderen Teilen der Welt erwarten?“, fragt Pe’er.

Sorge um Ernährung

Dennoch befürchten Abgeordnete eine Benachteiligung der Landwirtschaft. Der Vorschlag werde zu weniger land- und forstwirtschaftlichen Flächen führen „und damit unsere Ernährungssicherheit gefährden“, sagte etwa Abgeordnete Christine Schneider (CDU). Nicht Umweltschutz, sondern der Klimawandel und der Verlust von Biodiversität sind nach aktuellem Wissensstand die größten Bedrohungen für die Ernährungssicherheit, heißt es dagegen im offenen Brief.

„Es ist ein großer Streitpunkt, dass das Gesetz die Mitgliedsstaaten zur Renaturierung verpflichten würde“, sagt Sebastian Lakner. Nach Ansicht des Agrarökonomen von der Universität Rostock besteht im Naturschutz ein „massives Vollzugsdefizit“. So besteht nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU Schutz für bestimmte Arten und Lebensräume. „Das müssen wir in Deutschland seit 20 Jahren umsetzen“, sagt er. Bisher habe es aber keine gesetzliche Vorgabe für Investitionen gegeben. „Wir erreichen unsere Ziele nicht“, konstatiert Lakner.

Dabei seien landwirtschaftliche Standorte mit großem Potenzial für effektive Renaturierungsmaßnahmen, die bereits nach der FFH-Richtlinie geschützt sind, häufig für die Ernährungssicherheit und Produktionssituation nicht relevant. „Das sind häufig sehr unattraktive Standorte mit niedrigem Ertragspotenzial“, so der Agrarökonom. Naturschutzziele könnten für sie eine Einschränkung sein und es bestünde die Gefahr, dass sie aufgeben müssten. „Gezielte Förderung könnte sich da als Gamechanger erweisen“, sagt Lakner.

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