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Auch in Solaranlagen muss die EU mehrere Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich investieren.

© dpa / Patrick Pleul

Grüne Energie und Zugverkehr: So viel mehr muss die EU in den Klimaschutz investieren

Bis 2050 sollen die Emissionen in Europa auf netto null sinken. Wie groß die notwendigen Investitionen sind, haben zwei Forschende in einer Studie kalkuliert.

Mehr Windräder, mehr Solaranlagen, modernere Stromnetze: All das wird notwendig sein, wenn die Europäische Union bis 2050 klimaneutral werden will. Bisher war klar: Das setzt schnelle und massive Investitionen für den Umbau der Wirtschaft voraus. Nun haben zwei Wissenschaftler:innen der ETH Zürich berechnet, wie hoch die Kosten für diese und andere Technologien sein werden. So müsste die EU von 2021 bis 2025 jährlich 302 Milliarden Euro in diese und andere Infrastruktur investieren, um ihre Treibhausgasemissionen wie geplant zu senken.

Das schreiben die Forschenden Lena Klaaßen und Bjarne Steffen in einer neuen Studie in der Fachzeitschrift „Nature Climate Change“. Die jährlichen Kosten lägen damit um 87 Milliarden Euro höher als die EU im Vergleichszeitraum 2016 bis 2020 jährlich für den Klimaschutz aufgewendet hat. Dass die EU sich von russischen Gas-Importen lossagen will, verstärke die Notwendigkeit für solche Ausgaben. Für ihre Untersuchung haben Klaaßen und Steffen mehr als 50 Studien ausgewertet, die für die Wissenschaft oder im Auftrag von Regierungen und der Industrie durchgeführt wurden.

Die größten zusätzlich notwendigen Investitionen pro Jahr entfallen laut Studie auf Erneuerbare-Energien-Anlagen (plus 24 Mrd. Euro), den Ausbau der Schieneninfrastruktur (plus 25 Mrd. Euro) und Stromnetze (plus 24 Mrd. Euro). Letztere Aufwendungen werden demnach vor allem notwendig, weil der bereits hohe Anteil an Strom aus Wind- und Solarenergie in den Verteilnetzen weiter steigen wird.

87
Milliarden Euro zusätzlich braucht die EU pro Jahr für ihr Klimaziel

Dadurch wird die verfügbare und geforderte Strommenge über den Tagesverlauf noch stärker schwanken. Die Stromverteilnetze, die auch die Haushalte versorgen, müssen die Unternehmen entsprechend modernisieren. Um ein klimafreundliches Stromsystem zu stützen, gehen die Forschenden auch von zusätzlichen Investitionen von jährlich vier Milliarden Euro für Stromspeicher aus.

Bisher floss zu wenig Geld in die Schiene

Mehr Geld für die Schiene werde vor allem notwendig, weil die EU in ihrer Klimaschutz-Strategie im Verkehrssektor vor allem darauf setzt, dass mehr Menschen den Zug nehmen. In den 2010er Jahren hätten die EU-Mitgliedsstaaten die Schieneninfrastruktur jedoch nur unzureichend ausgebaut. Diese müssten weiter in das bestehende Schienennetz investieren, es digitalisieren und die Kapazitäten für besonders stark frequentierte Strecken weiter erhöhen.

Bei den erneuerbaren Energien verteilen sich die notwendigen Zusatz-Investitionen auf Solaranlagen (plus 7 Mrd. Euro/Jahr), Windräder an Land (plus 16 Mrd. Euro/Jahr) und Offshore-Windräder (plus 4 Mrd. Euro/Jahr). Auffällig ist: Die zusätzlich notwendigen Investitionen für die Ladeinfrastruktur bei der Elektromobilität sind mit drei Milliarden Euro im Vergleich zur Schieneninfrastruktur (plus 25 Mrd. Euro) niedrig angesetzt. Ebenfalls mehr Investitionen sind demnach für mehr klimafreundliche Brennstoffe wie Wasserstoff notwendig.

Investitionen in fossile Kraftwerke müssen sinken

Von 2021 bis 2025 müsste allerdings immer weniger Geld in fossile Kraftwerke (minus 9 Mrd. Euro) sowie die Öl- und Gasinfrastruktur fließen (minus 9 Mrd. Euro). Vergleichsweise wenig zusätzliche Investitionen verbucht in der Analyse das Transportnetz für und die Speicherung von CO2 (plus eine Mrd. Euro/Jahr).

Für mehr Windräder und modernere Stromnetze benötigt die EU noch massivere Investitionen.
Für mehr Windräder und modernere Stromnetze benötigt die EU noch massivere Investitionen.

© dpa / Jan Woitas

Ein Problem bleibt: Die Mitgliedstaaten haben nach milliardenschweren Entlastungsprogrammen infolge der Corona-Pandemie und der Energiepreiskrise bereits viel Geld aufgewendet – und scheuen sich vor hohen Mehrausgaben. Für Felix Creutzig ist Geld jedoch weniger das Problem. Er forscht zu Klimaschutz in den Bereichen Landnutzung, Infrastruktur und Transport am MCC in Berlin und sagte dem Science Media Center Deutschland am Donnerstag: „Die Liquidität kann sicherlich geschaffen werden, es fehlt an politischem Willen.“

Mit Blick auf das deutsche Entlastungspaket erklärte er weiter: „Wenn es 200 Milliarden Euro für eine Gas- und Strompreisbremse gibt – zu großem Teil eine Subvention für fossile Treibstoffe – dann kann es auch 87 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen geben.“ Eine sozial-ökologische Steuerreform könne die Zukunftsinvestitionen ohne Weiteres finanzieren. Darüber hinaus gebe die Bundesregierung immer noch mehrere Milliarden Euro jährlich für den Neubau von Fernstraßen und Autobahnen aus. Das bedeute zusätzliche Treibhausgasemissionen. „Ein Verschieben dieser Investitionen in den Schienen- und Fahrradverkehr kann viel bringen“, sagte Creutzig.

Entgelte könnten Transformation finanzieren

Um Investitionslücken beim Klimaschutz zu schließen, könnten die EU-Mitgliedstaaten auch öffentlich in die notwendigen Infrastrukturen investieren, schreiben die Studienautor:innen. Dazu erklärte Michael Pahle, Transformationsforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gegenüber dem SMC: „Meiner Einschätzung nach dürfte dafür wenig Spielraum bestehen, weil die fiskalische Lage der EU-Staaten derzeit recht angespannt ist, und wegen der steigenden Zinsen für Staatsanleihen.“

Eine Ausnahme seien die verbliebenen Gelder der EU-Aufbau und Resilienzfazilität. Davon will die EU rund 200 Milliarden Euro in eine sichere und klimafreundliche Energieversorgung für das „RepowerEU“-Programm aufwenden. Doch auch private Finanzierungsquellen könnten die Investitionslücken der EU beim Klimaschutz schließen, sagte der Forscher. Pahle verweist dabei als Beispiel auf die Entgelte fürs Stromnetz, die bereits alle deutschen Haushalte zahlen müssen und mit dem teilweise auch der Ausbau der Stromnetze bezahlt wird.

Eine ähnliche Abgabe könne die EU für die Schiene erheben. „Damit könnte man bei Banken Kredite für die Investitionen bekommen. Allerdings würden sich dadurch natürlich auch die Strom- und Ticketpreise erhöhen, das heißt, die Verbraucher würden dafür am Ende bezahlen.“ Die Kostenfrage sei ein wichtiger Punkt für die Politik. „Sie muss sich diesbezüglich ‚ehrlich machen‘ und klar kommunizieren, dass die Transformation teuer wird – auch wenn das politisch natürlich eine bittere Pille ist.“

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