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Erich Schwarzkopf (l.) mit Krischan Otto, vermutlich 1922.

© Archiv Funktechnik-Museum Königs Wusterhausen

Tagesrückspiegel – Heute vor 102 Jahren: Das erste knisternde Live-Konzert im deutschen Radio

Am 22. Dezember 1920 hatten Erich Schwarzkopf und seine Kollegen mit „Stille Nacht, heilige Nacht“ ihren ersten Radio-Auftritt – damit wurde das Zeitalter des deutschen Rundfunks eingeleitet.

Eine Kolumne von Miray Caliskan

Hallo, hallo, hier Königs Wusterhausen auf Welle 2700. Mit diesen Worten von Erich Schwarzkopf begann die Geburtsstunde der deutschen Rundfunksendung. Die Stimme des Postbeamten und Hobby-Musikers klang vermutlich etwas verunsichert – er konnte sich nicht sicher sein, ob ihm da draußen jemand zuhörte, ob jemand Zeitzeuge des technischen Experiments wurde.

„Zum Zeichen, dass unsere Station nun großjährig geworden ist und nicht mehr als Versuchskarnickel dienen wird, wollen wir Ihnen ein kleines, bescheidenes Weihnachtskonzert senden“, fuhr er dann fort.

Dann begannen sechs Beamte der Post zu musizieren, am 22. Dezember 1920, kurz nach 14 Uhr, auf dem Mühlenberg im brandenburgischen Königs Wusterhausen, wo die Deutsche Reichspost ihre Hauptfunkstelle betrieb. Ihr erster Auftritt.

Die Funkstelle Königs Wusterhausen in Brandenburg.

© Museum Funkerberg

40 Minuten bis maximal eine Stunde soll die erste, knisternde Übertragung des Instrumentalkonzertes laut Rainer Suckow, dem Vorsitzenden des Fördervereins „Sender Königs Wusterhausen e.V.“, gedauert haben. Schwarzkopf spielte Geige, auch ein Harmonium und eine Gesangsstimme waren zu hören, die zunächst „Stille Nacht, heilige Nacht“ musizierten, dann weitere Weihnachtslieder.

Auch Marin Luthers Hymne „Ein feste Burg ist unser Gott“ wurde vorgetragen, gesprochene Grüße soll es auch gegeben haben. Ob Musik auch über eine Schallplatte per Grammofon abgespielt wurde, ist nicht ganz klar. So oder so handelte es sich um einen Mix zwischen Sprechstimme und Musik, Moderation und Unterhaltung – eine typische Radiomischung also, die noch heute Kern des Rundfunks ist.

Raum mit Decken abgehängt

Als Mikrofon diente ein ausgebauter Telefonhörer mit Sprechkapsel. Und weil es im Sendehaus noch kein Studio gab, hatten Schwarzkopf und seine Kollegen den Raum mit Decken aus alten Militärbeständen abgehängt, um Außengeräusche zu dämmen.

Schwarzkopf, leitender Techniker des Sendehauses, bediente den Lichtbogensender, eine riesige, kanonenähnliche Anlage, die elektromagnetische Wellen erzeugte, um die erste „inoffizielle“ Live-Radiosendung über den auf der Anhöhe befindlichen Langwellen-Sendemast auszustrahlen.

Mit dem Lichtbogensender wurde das erste Radiokonzert in Deutschland ausgestrahlt.

© Museum Funkerberg

Dem Knistern gelauscht haben vermutlich nur rund 150 Menschen in Deutschland, Luxemburg, den Niederlanden, Großbritannien und den skandinavischen Staaten, wie Briefe zeigten. In Deutschland waren es wahrscheinlich nur einige wenige, etwa behördliche Angestellte. Radiotechnik wurde militärisch genutzt. Das Abhören von Funksignalen war damals strikt untersagt.

Vom Premierenkonzert gibt es keine Tonaufzeichnung und kein Foto. Die meisten Aufnahmen im Funkhaus entstanden erst viel später, als aus dem Experiment längst ein richtiger Betrieb mit einem Rundfunkprogramm geworden war. Rundfunkanstalten in mehreren deutschen Städten wurden gegründet, das neue Medium entwickelte sich rasant und 1923 fielen die Verbote, sodass alle Haushalte ein Radio besitzen durften.

Der Hörfunk blieb staatlich, unter der Leitung des Radio-Pioniers Hans Bredow. Er war vermutlich derjenige, der den Anstoß für den weihnachtlichen Versuch in Königs Wusterhausen gegeben hatte. Zuvor hatte er selbst im Weltkrieg mit Musikübertragung an der Front experimentiert.

Er war überzeugt, dass das Medium auch zur Unterhaltung für Bürger:innen dienen könnte. Bredow ist auch der Begründer des Rundfunks. Später machten die Nationalsozialisten aus dem Radio ein Massen- und Propagandainstrument.

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