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David Hilbert

© picture alliance/Ullstein Bild

Heute vor 123 Jahren: Hilberts Mathe-Challenge für das 20. Jahrhundert

Im Jahr 1900 präsentiert David Hilbert eine Liste mathematischer Probleme, die Generationen beschäftigen sollte. Sein Herzensprojekt aber sollte fehlschlagen – und die Mathematik für immer verändern.

Eine Kolumne von David Will

Ein gutes Rätsel kann einen in den Bann ziehen. Das wissen Verleger:innen, die ihren Zeitschriften Sudokus, Kreuzworträtsel, „Wordles“ oder Logikaufgaben beilegen. Man greift eher zur Zeitung, wenn man damit auch seinem Spieltrieb frönen und sich selbst beweisen kann, wie schlau man ist.

Um diesen Reiz wusste bereits David Hilbert. Am 8. August 1900, heute vor 123 Jahren, präsentierte der Mathematiker auf einem Kongress in Paris eine Liste mit zehn ungelösten Problemen der Mathematik. „Durch die Lösung von Problemen stählt sich die Kraft des Forschers“, sagte Hilbert zu der versammelten Menge – sie seien „Wahrzeichen auf den verschlungenen Pfaden zu verborgenen Wahrheiten“. Er forderte seine Kolleg:innen auf, sich dieser Probleme anzunehmen. Seine Hoffnung: den wissenschaftlichen Fortschritt durch Rätsellust und die Aussicht auf Ruhm zu fördern.

Hilberts Rechnung ging auf. Ganze Generationen von Mathematiker:innen haben sich seither die Zähne an seiner Liste ausgebissen. Die schließlich publizierte Version umfasste insgesamt 23 Probleme. Das Gros der Probleme wurde inzwischen gelöst, wobei manche Antworten – wie etwa für Hilberts 18. Problem, in dem er nach der platzsparendsten Art gefragt hat, Kugeln zu packen – erst Ende des 20. Jahrhunderts gefunden wurden.

Hilbert hatte ein weiteres Herzensprojekt, an dem er allerdings scheiterte. Die Mathematik besteht aus Axiomen, also allgemein anerkannten Grundregeln, die nicht bewiesen werden müssen. Hilbert versuchte diese Axiome so zusammenzuführen, dass man damit alle mathematischen Wahrheiten beweisen kann. Zugleich wollte er zweifelsfrei ausschließen, dass sie zu Widersprüchen führen.

Der österreichische Mathematiker Kurt Gödel stellte seine Unvollständigkeitssätze mit nur 25 Jahren auf.

© mauritius images / Pictorial Press Ltd / Alamy

In den 20er Jahren rief er dazu sogar ein umfangreiches Forschungsprogramm ins Leben, das Hilbertprogramm, an dem sich namhafte Wissenschaftler wie John von Neumann und Kurt Gödel beteiligten. Doch im Jahr 1931 bewies der gerade einmal 25 Jahre alte Gödel mit seinen sogenannten Unvollständigkeitssätzen, dass Hilberts Projekt unmöglich ist.

Gödels Beweise machten den Traum perfekter Symmetrie und Sicherheit in der Mathematik zunichte. Doch trotz Hilberts Scheitern war Gödels Beweis ein Erkenntnisgewinn: Manche Aussagen der Mathematik können weder bewiesen noch widerlegt werden. Und es war ein Fortschritt, der ohne Hilberts Herausforderung und Gödels Lust am Knobeln nicht zustande gekommen wäre.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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