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Emil DuBois-Reymond

© OTFW-Berlin/Wikipedia

Tagesrückspiegel – Heute vor 172 Jahren: Wir Maschinen

Funktioniert das Leben wie eine Maschine? Oder ist da mehr als nur das Zusammenspiel von Molekülen, Zellen und Organen? Der Physiologe Emil DuBois-Reymond hatte eine ganz eigene Sichtweise.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Organismen sind aus Organen, Organe aus Zellen und Zellen aus Molekülen zusammengesetzt – ein lebender Apparat. Oder ist da mehr? Können unbewusste elektrische Reize in den Nerven das menschliche Bewusstsein erklären? Oder den „freien“ Willen?

Der Physiologe Emil Du Bois-Reymond war vehementer Vertreter eines mechanistischen, reduktionistischen Weltbildes, in dem das Leben durch das Zusammenwirken seiner Einzelteile erklärt wird. Der spätere Rektor der Universität zu Berlin hatte sich mit Erkenntnissen zur elektrischen Reizleitung in Nerven und Muskeln einen Namen gemacht. Diesen „Mechanismus der tierischen Bewegung“ versuchte er der Berliner Öffentlichkeit am 22. Februar 1851, vor 172 Jahren, im „Verein für wissenschaftliche Vorträge“ näherzubringen, indem er sein Publikum zu einem Gedankenspiel aufforderte.

Strandete ein Dampfer an einer fremden Küste, und die dortigen Ureinwohner versuchten nun zu verstehen, was das unbekannte Etwas ist und wie es sich bewegen könne, würden wohl einige spekulieren, „weiße Teufel“ hätten das Schiff „beseelt“. Doch einer würde versuchen, „das Geheimnis des Wunderfahrzeuges“ zu ergründen: „Tag um Tag durchsucht er […] die kalten regungslosen Reste des Schiffsrumpfes […], erkennt den Wellbaum, an dem die Räder saßen, die Krummzapfen und Bläuelstangen, […] den Kessel mit den Spuren der Feuerung unter ihm; er verzeichnet verschiedene andere Organe, von deren Bedeutung er noch nichts ahnt; mit einem Wort, er erforscht vor allem den Bau der Maschine, deren Tätigkeit er begreifen möchte.“

Das Schiffswrack, so erklärte DuBois-Reymond seinem Publikum, sei wie die Tierleichen, die Physiologen untersuchen, um aus dem Bau der Organe, Gewebe und Zellen die Funktion, die „organische Physik“ der tierischen Maschine zu erkennen. Mit dieser mechanistischen Denkweise wies Du-Bois Reymond die damals vorherrschende Meinung, es gebe eine „Vis vitalis“, eine das Leben erst möglich machende Kraft, zurück.

Dennoch sah Du-Bois Reymond, Nachfahr gläubiger Hugenotten, auch die Grenzen dieser Sicht auf das Leben. So bezweifelte er etwa, dass jemals wissenschaftlich geklärt werden könne, wie das Bewusstsein des Menschen entsteht. Bislang behielt er recht. „Wissen“ sei auf die Grenzen der wissenschaftlichen Methode, des reduktionistischen Ansatzes, beschränkt.

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