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9/11 Memorial In New York City

© IMAGO/NurPhoto/IMAGO/Jakub Porzycki

Heute vor 22 Jahren: Wie ein Versprechen die Grenzen der Genanalyse verschob

Die Opfer des Attentates auf das World Trade Center am 11. September 2001 sollen niemals vergessen werden. Aber was, wenn sie nicht identifiziert werden können?

Eine Kolumne von Farangies Ghafoor

Manche Geschichten beginnen mit einem Versprechen. Als am 11. September 2001, heute vor 22 Jahren, zwei Flugzeuge in die Zwillingstürme des World Trade Centers einschlagen und überall auf der Welt die Menschen fassungslos den Einsturz des New Yorker Wahrzeichen miterleben, sterben tausende Menschen. Aber wer genau?

Barbara Sampson, damals die leitende Gerichtsmedizinerin New Yorks, verspricht, alle Opfer des Anschlags zu identifizieren. Eine Herkulesaufgabe - nicht nur für die Helfer am „Ground Zero“, die sterbliche Überreste suchen und sichern müssen, sondern auch für die damalige Gentechnik.

Zwar ist es schon möglich, aus Knochensplittern die Identität des Verstorbenen mithilfe genetischer Analysen zu identifizieren. Aber Hitze zerstört Erbgut, die von 9/11 erhaltenen DNA-Fäden sind oft zerstückelt. So wie eine unvollständige Telefonnummer nicht genügt, um einen Anruf zu tätigen, so reichen auch ein paar Erbgutfetzen nicht für eine Identifikation. Es brauchte neue Analyseverfahren, um Sampsons Versprechen einzulösen.

Wird ein genetischer Fingerabdruck genommen, werden kurze, sich wiederholende DNA-Abschnitte des Erbguts benutzt. Sie unterscheiden sich bei jedem Menschen in ihrer Länge und ergeben so ein individuelles Muster. Stimmt es mit dem Muster eines Vermissten überein, ist das 9/11-Opfer identifiziert. Aber das funktionierte bei den wenigsten Proben von Ground Zero. Die Abschnitte waren zu kurz oder zu kaputt.

1.106
Opfer des terroristischen Anschlags sind noch nicht identifiziert worden. Die Gesamtzahl der Todesopfer liegt bei 2.753.

Um aus der geborgenen Erbgut-Information das meiste herauszuholen, zogen die Forschenden einen weiteren Erbgut-Marker hinzu: Sie suchten nach charakteristischen Veränderungen einzelner Bausteine in den geborgenen DNA-Stücken, genannt SNPs (Single Nucleotide Polymorphisms). Je mehr SNPs einer Ground-Zero-Probe mit den SNPs in der DNA eines Vermissten übereinstimmte, umso sicherer die Identifizierung.

Bis heute werden so Verstorbene nach Katastrophen identifiziert. Soweit möglich. Denn abgeschlossen ist Sampsons Projekt noch immer nicht. Von den 2753 Opfern des Terroranschlags konnten 1106 noch immer nicht identifiziert werden. Zuletzt konnten die Forschenden 2021 die DNA des 1646. und 1647. Opfers zwei Vermissten zuordnen. Noch ist Sampsons Versprechen nicht erfüllt.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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