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Fluchthelfer beim Tunnelbau unter der Berliner Mauer

© picture-alliance/ dpa/von Keussler

Heute vor 61 Jahren: Geheimer Tunnel nach West-Berlin

Eines der erfolgreichsten Tunnelprojekte unter der Mauer verhalf 29 Menschen zur Flucht. Es sollte Teil einer symbolischen Untergrabung des Fundaments der DDR werden.

Eine Kolumne von Lili Wolf

Sechs Meter unter der Erde befand sich der Tunnel, „gegraben von mutigen Männern, die diesen gefährlichen Weg wählten, um ihre Frauen, Kinder, Angehörigen und Freunde wieder in die Arme schließen zu können“. So wird auf einer Gedenktafel der Berliner Unterwelten e.V. am Haus in der Schönholzer Straße 7 an die Fluchtaktion erinnert.

Die 29 Menschen, die am 14. September 1962, heute vor 61 Jahren, durch den Keller dieses Hauses die DDR erfolgreich hinter sich ließen, gaben „Tunnel 29“ seinen Namen. Um die 130 Meter lang verlief er von dort unterhalb der Berliner Mauer zu einem Fabrikgelände in der Bernauer Straße 78, damals in West-Berlin.

Im Frühsommer hatte der ein Jahr zuvor geflüchtete Hasso Herschel gemeinsam mit zwei italienischen Studenten beschlossen, Familie und Bekannten den unterirdischen Weg in den Westen zu ermöglichen. 30 Freiwillige schlossen sich ihnen an.

Um die Grabungen finanzieren zu können, verkauften die Italiener die Filmrechte über den Tunnelbau an den US-Fernsehsender NBC. Dass Teile von diesem Geld an die Tunnel-Initiatoren selbst ging, warf Streit unter den Helfenden und moralische Fragen in den Medien auf. In den folgenden Jahren wurde es aber immer üblicher, dass der Fluchthilfe eine beachtliche Bezahlung, teilweise von bis zu 15.000 DM pro Person gegenüberstand. Die NBC-Dokumentation „The Tunnel“ erschien im Dezember 1962 und legte der Welt ein Beispiel der unterirdischen DDR-Flucht offen.

Die Grabungen wurden durch ständige Entdeckungsgefahr und dem hohen Grundwasserspiegel erschwert. Auch am Tag der Flucht stieg das Wasser im Tunnel so hoch, dass er am nächsten Tag unpassierbar wurde. Verraten wurde er allerdings nicht: Erst über eine Woche später entdeckte die Stasi den Tunnel, weil im Hinterhof des Hauses in der Schönholzer Straße der Boden eingebrochen war.

Der Mauerbau, der im August ein Jahr zuvor dem Fluchtstrom in die Bundesrepublik ein Ende setzen sollte und das mit Schießbefehl an der Grenze in aller Grausamkeit tat, ließ in den sechziger Jahren eine Reihe von Fluchttunneln entstehen. Mehr als 300 Menschen riskierten in um die 70 davon ihr Leben, um aus Ost–Berlin zu fliehen. Sie hatten Erfolg. Ungefähr 75.000 andere Flüchtende nicht, mindestens 140 von ihnen bezahlten den Fluchtversuch mit ihrem Leben.

Sie fielen dem Versuch eines Staates, seine Bevölkerung mit Zwang und Überwachung einer Ideologie zu verpflichten, zum Opfer. Die „Republikflucht“ wurde in der DDR teilweise wie ein Schwerverbrechen geahndet und in Schauprozessen bestraft. Die Flüchtenden, auch die 29 an diesem Tag, riskierten alles. Dafür müssen sie gute Gründe gehabt haben. Sie spielen eine nicht zu vergessende Rolle im Fall der Mauer 27 Jahre später.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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