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Spätfolgen einer Corona-Infektion wie Kurzatmigkeit bedürfen viel Aufmerksamkeit, manchmal auch Physiotherapie.

© picture alliance/dpa

Analyse der Techniker Krankenkasse: Long-Covid-Betroffene fallen teils monatelang auf Arbeit aus

105 Tage und mehr – so lange fehlten Menschen wegen Long Covid im Jahr 2021 im Schnitt beim Job. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich noch höher.

Rund 29 Millionen Corona-Fälle haben tiefe Spuren hierzulande hinterlassen – mehr als 140.000 Todesfälle sind zu beklagen, viele der Genesenen leiden noch Wochen und Monate nach der Infektion unter Langzeitfolgen wie Erschöpfung, Kurzatmigkeit und Konzentrationsschwäche. Nun zeigt ein Bericht der Techniker Krankenkasse (TK), wie häufig Long-Covid-Betroffene nach einer Infektion 2020 im darauffolgenden Jahr krankgeschrieben waren. 

Die Analyse bezieht sich auf etwa 4,3 Millionen bei der TK versicherte Erwerbstätige zwischen 15 und 64 Jahren. Knapp ein Prozent aller erfassten Erwerbstätigen, die sich 2020 nachweislich infizierten, waren 2021 mit der Diagnose Long Covid krankgeschrieben, zeigt der Gesundheitsreport – und zwar durchschnittlich 105 Tage. 

Während jede erfasste Erwerbsperson durchschnittlich 14,6 Tage krank war, waren Betroffene mit vormals leichtem Covid-19-Verlauf im Schnitt 90 Tage wegen Long Covid krankgeschrieben. Diejenigen, die zuvor mit einer Covid-19-Diagnose länger als sieben Tage im Krankenhaus lagen, fehlten 2021 im Schnitt 168 Tage wegen der Langzeitfolgen. Die zuvor beatmeten Covid-19-Genesenen waren 2021 über ein halbes Jahr krankgeschrieben.

Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK, sagte bei der Vorstellung des Reports am Mittwoch in Berlin: „Die Analyse zeigt: Wer von Long Covid betroffen ist, hat lange mit dieser Krankheit, die uns noch viele Rätsel aufgibt, zu tun.“ Die Zahl der Long-Covid-Betroffenen erscheine mit knapp einem Prozent relativ gering. „Aber das sind nur die Patientinnen und Patienten, die auch mit dieser konkreten Diagnose krankgeschrieben worden sind – wir gehen zusätzlich von einer hohen Dunkelziffer aus.“

So könnte der Anteil aller verursachten Fehltage durch Long Covid im Jahr 2021 bei 1,6 Prozent liegen statt nur bei 0,35 Prozent, heißt es im Report – damit wäre die Dunkelziffer um viermal höher. Baas weist daraufhin, dass sich die Analyse nur auf die betroffenen Covid-Erkrankten aus dem ersten Pandemiejahr bezieht. „Damals war die Ausgangslage noch eine ganz andere. Wir hatten noch nicht so viele Virusvarianten und es gab noch keine Impfung. Daher ist noch nicht abzusehen, was da noch auf uns zukommt.“

Betroffene wollen sich nicht immer krankschreiben lassen

Sonia Lippke, Gesundheitspsychologin und Verhaltensmedizinerin an der Jacobs University Bremen, ist über die vergleichsweise geringe Zahl an krankgeschriebenen Long-Covid-Betroffenen wenig überrascht. Sie forscht an der gezielteren Diagnose des Krankheitsbildes. „Viele Long-Covid-Betroffene lassen sich nicht unter der entsprechenden Diagnose krankschreiben, weil sie und ihre Hausärzte die Symptome nicht einordnen können“, sagt Lippke dem Tagesspiegel.

Ein Patient macht Reha-Maßnahmen nach einer überstandenen Covid-19-Erkrankung mit.
Ein Patient macht Reha-Maßnahmen nach einer überstandenen Covid-19-Erkrankung mit.

© AFP

„Zudem versuchen viele Menschen mit Long Covid entschlossen, sich nicht krankschreiben zu lassen und ihr altes Belastungsniveau zu erreichen.“ Dann seien sie häufig überfordert oder erschöpft und erholten sich nicht ausreichend. 

„Eine große Aufgabe für Betroffene ist es deshalb, das Leben entsprechend umstellen zu müssen.“ Befrage man bislang arbeitsfähige Betroffene, würden viele angeben, wesentlich weniger leistungsfähig zu sein als vor der Corona-Infektion.

„Ich hatte noch lange anhaltende Atemnot – es war furchtbar“

Laut der Verhaltensmedizinerin müsse es in Absprache mit Arbeitgeber:innen flexible Lösungen für den Umgang mit der Krankheit geben. „Noch arbeitsfähige Betroffene sollten die Chance haben, bei akuter Erschöpfung oder Schmerzen nach Hause zu gehen und später von dort wieder die Arbeit aufnehmen zu können.“ Das sei oft sinnvoller als eine Krankschreibung, die ebenfalls viele Kosten für Unternehmen verursache.

Einfachste Tätigkeiten wie Treppensteigen kann Long-Covid-Betroffene außer Atem bringen.
Einfachste Tätigkeiten wie Treppensteigen kann Long-Covid-Betroffene außer Atem bringen.

© REUTERS

Die Diagnose bleibe allerdings weiterhin herausfordernd, weil sich Long Covid sehr vielfältig ausdrucken könne: von Geruchsverlust über chronische Erschöpfung bis hin zu Schmerzen, Kurzatmigkeit oder psychische Folgen nach der Behandlung auf einer Intensivstation.

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Christian Gogoll, Lungenfacharzt an der Evangelischen Lungenklinik Berlin, hat die medizinischen Leitlinien für Long Covid verfasst und berichtete bei der Pressekonferenz am Mittwoch als Betroffener auch von seiner eigenen Krankheitsgeschichte: „Nach meiner Infektion kam ich selbst auf die Intensivstation und wurde beatmet. Bei der anschließenden Reha hatte ich noch lange anhaltende Atemnot – es war furchtbar.“

Mittlerweile seien viele Beschwerden zurückgegangen, aber er könne noch nicht wieder als Intensivmediziner im Krankenhaus arbeiten wie zuvor.

Neben aktuellen Zahlen zu Long Covid hat der Report auch weitere Entwicklungen während der Pandemie beleuchtet. So zeigt die Analyse für das Jahr 2021 einen nahezu vollständigen Ausfall der Grippe- und Erkältungswelle im ersten Quartal, was ohne Kontaktbeschränkungen und andere Infektionsschutzmaßnahmen „kaum vorstellbar gewesen“ wäre. 

Damit lag der Krankenstand für 2021 mit 3,98 Prozent auch etwas unter dem Krankenstand von 2020 mit 4,14 Prozent. Vorläufige Daten der TK für das erste Quartal 2022 zeigen den historisch höchsten Krankenstand von 5,27 Prozent mit Blick auf die vergangenen 20 Jahre. Als Ursache vermutet man bei der TK die Ausbreitung der hochansteckenden Omikron-Variante in diesem Zeitraum.

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