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Diese Arbeiterinnen der klonalen Räuberameise Ooceraea biroi setzen junge Larven zur Fütterung auf Puppen.

© Daniel Kronauer

Milch im Ameisenstaat: Puppenliebe geht durch den Magen

Im letzten Stadium ihrer Larvenentwicklung nehmen Ameisen eine untätige Auszeit, vermutete man bisher. Doch auch dann sind die arbeitsamen Insekten aktiv.

Ameisen leben in Staaten mit Vollbeschäftigung. Jedes Tier übernimmt Aufgaben von der Pflege des Nachwuchses über das Beschaffen von Nahrung bis zur Verteidigung des Nestes. Das Gemeinwesen der Insekten floriert meist sehr gut, weil alle aktiv sind.

Nur im letzten Stadium ihrer Entwicklung verwandeln sich die Larven in reglose Puppen, aus denen irgendwann fertige Ameisen schlüpfen. Am Leben in der Kolonie nehmen die Puppen nicht teil, vermuteten Forschende bisher.

Doch dieser Eindruck täuscht, berichten Daniel Kronauer von der Rockefeller University in New York und sein Team jetzt in der Zeitschrift „Nature“: Die Puppen sondern ein nahrhaftes Sekret ab, das von jungen Larven und auch von erwachsenen Ameisen gefressen wird.

Erwachsene Knotenameisen der Art Crematogaster lineolata behüten im Nest ihre Puppen.

© Daniel Kronauer

„Diese Beobachtung überrascht mich sehr“, sagt Susanne Foitzik von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. „In unseren Versuchskolonien ist mir das bisher noch nicht aufgefallen“, erklärt die Biologin, die ebenfalls das Verhalten und die soziale Evolution von Ameisen untersucht, an der Studie der Gruppe um Daniel Kronauer aber nicht beteiligt war.

Obwohl die Staaten dieser Insekten seit mehr als hundert Jahren untersucht werden, war „Puppen-Milch“ der Forschung aus einem einfachen Grund entgangen: Die ausgeschiedene Flüssigkeit verschwindet in einer Kolonie sehr rasch in den Mägen von adulten Ameisen oder Larven.

Das Team um Daniel Kronauer entdeckte die Flüssigkeit zunächst an Puppen, die in der letzten Phase ihrer Entwicklung nicht in ihren Kolonien, sondern einzeln im Labor reiften. Ungefähr eine Woche, bevor die fertigen Ameisen schlüpfen, färben sich die hellen Puppen dunkel. Kurz danach bilden sich am hinteren Ende der starren Puppen ein Tröpfchen einer Flüssigkeit. Wird dieses Sekret nicht entfernt, ertrinken die Puppen in ihr. Wurden die Tröpfchen dagegen abgetupft, schlüpften aus neun von zehn Puppen gesunde Ameisen.

Eine Honigtopf-Ameise Myrmecocystus mexicanus trinkt blau gefärbtes Sekret von einer Puppe, deren Weg durch die durchscheinende Ameise und im Staat verfolgt werden kann.

© Daniel Kronauer

Um herauszubekommen, was in der Natur mit der Puppen-Milch passiert, injizierte das Team um Daniel Kronauer einen blauen Farbstoff unter die äußere Hülle der Puppen. In einer Kolonie tauchte das gefärbte Sekret später in den Mägen von erwachsenen Ameisen wieder auf. Weitere Experimente klärten dann die Funktion der Puppen-Milch im Ameisen-Staat auf.

Erwachsenen Ameisen tragen junge Larven zu den Puppen, die gerade das nahrhafte Sekret produzieren. Diese Flüssigkeit enthält nicht nur Nährstoffe, sondern auch Hormone und Botenstoffe, die das Verhalten der Tiere beeinflussen können. Gelangen die jungen Larven nicht zu den Puppen, verkümmern sie und sterben häufig. Auch den Puppen bekommt es schlecht, wenn ihr Sekret nicht entfernt wird: Sie werden von Pilzen infiziert und sterben, bevor eine erwachsene Ameise schlüpfen kann.

Damit ist klar, dass sich die anscheinend leblosen Puppen durchaus aktiv am Sozialleben der Ameisen beteiligen. Und das vermutlich bei den meisten der inzwischen fast 15.000 bekannten Arten dieser Insekten-Familie: Daniel Kronauer und sein Team untersuchten jeweils eine Art von jeder der fünf großen Ameisen-Unterfamilien. Bei allen produzierten die Puppen Milch. Der soziale Zusammenhalt geht bei Ameisen also offensichtlich durch den Magen.

Eine erste derartige Erkenntnis reifte bereits vor hundert Jahren: Damals wurde bekannt, dass Ameisen sich gegenseitig füttern. Dabei würgen sie Nahrung hervor oder scheiden sie aus dem After aus. „Darin stecken nicht nur viele Nährstoffe, sondern auch Botenstoffe, Hormone und Substanzen des Immunsystems“, erklärt Susanne Foitzik.

Ähnlich wie die Milch bei Säugetieren den Nachwuchs mit einem ersten Schutz vor gefährlichen Erregern versorgt, könnten also auch Ameisen untereinander einen Schutz vor Infektionen auszutauschen. „Solche Mund-zu-Mund-Fütterungen sind offensichtlich wichtig, um den Super-Organismus Ameisenstaat am Laufen zu halten“, meint die Mainzer Ameisen-Forscherin. Und das vermutlich nicht nur über den „sozialen Magen“, der Nahrung hervor würgt, sondern vielleicht auch über die von den Puppen abgegebene Milch.

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