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Bislang kommt Gentechnik auf Äckern in Deutschland nur auf Versuchsfeldern zum Einsatz. Doch das könnte sich demnächst ändern.

© Getty Images/Gerald French

Update

Neue Gentechnik: So will Brüssel die Auflagen lockern

Bislang kommt Gentechnik auf Äckern in Deutschland nur auf Versuchsfeldern zum Einsatz. Doch das könnte sich demnächst ändern. Experten bewerten diese Entwicklung positiv.

Der Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft soll laut einem Gesetzentwurf der EU-Kommission deutlich erleichtert werden. Die Brüsseler Behörde stellte am Mittwoch einen Vorschlag vor, dem zufolge die Auflagen für den Anbau und die Kennzeichnung für bestimmte mit Gentechnik gezüchtete Pflanzen gelockert werden sollen. Bei Lebensmitteln, die aus bestimmten gentechnisch veränderten Pflanzen stammen, muss die Züchtungsmethode laut dem Vorschlag nicht auf dem Etikett gekennzeichnet sein.

Die EU-Kommission verspricht sich von der Lockerung bei den geltenden Regeln für sogenannte „Neue Genomische Verfahren“ (NGT) einen geringeren Einsatz von Pestiziden, eine bessere Anpassung der Pflanzen an Dürreperioden im Zuge des Klimawandels und eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Züchter im weltweiten Vergleich.

Es gibt zahlreiche Projekte, bei denen mithilfe der neuen Züchtungstechnologien Pflanzen entwickelt werden, die resistenter gegen Pilze, Viren, Bakterien und andere Schädlinge sind.

Matin Qaim, Agrarökonom an der Universität Bonn

Kategorien mit und ohne Kennzeichnungspflicht

Methoden der neuen Gentechnik könnten zu den selben Ergebnissen führen wie klassische Züchtungsmethoden, „aber mit größerer Geschwindigkeit, Präzision und Effizienz“, sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, am Mittwoch in Brüssel. Landwirte hätten die Möglichkeit, den Gebrauch von Pestiziden zu verringern, sagte er weiter. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Gemeinschaft bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren.

Mit dem Vorschlag der Brüsseler Behörde soll der Einsatz von Verfahren wie der Crispr/Cas-Genschere erleichtert werden. Das Verfahren, das auch als neue Gentechnik bezeichnet wird, ist in der Lage, Eingriffe in das Erbgut präzise durchzuführen. Dabei wird die DNA an einer bestimmten Stelle durchtrennt, sodass Gene ausgeschaltet oder an der Schnittstelle neue Abschnitte eingefügt werden können. 

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, stellte am Mittwoch die Pläne der Brüsseler Behörde vor.

© REUTERS/Pool

In dem Entwurf der Kommission werden Pflanzen, die durch Methoden der neuen Gentechnik entstanden sind, in verschiedene Gruppen unterteilt. In die Kategorie 1 gehören demnach Pflanzen mit geringfügigen kleineren Veränderungen, die auch durch klassische Züchtung entstehen könnten. In diesem Fall ist kein Gentechnik-Label erforderlich. Anders verhält es sich bei allen übrigen Saatgutarten aus der Kategorie 2 – hier gilt eine Kennzeichnungspflicht.

„Uneinheitliche“ Reduktionswirkung

In Deutschland kommt die Gentechnik auf den Äckern, abgesehen von Versuchsfeldern, bislang nicht zum Einsatz. Das könnte sich nun ändern. Laut dem Entwurf der Kommission dürfen die Mitgliedstaaten die absichtliche Freisetzung oder das Inverkehrbringen von NGT-Pflanzen aus der Kategorie 1 nicht durch Anforderungen verbieten oder einschränken. Für Biobauern gilt weiterhin ein Komplett-Verbot von Gentechnik.

Für Bayer-Cheflobbyist Matthias Berninger steht fest, dass der Einsatz der neuen Gentechnik zu weniger Pestiziden führen werde.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Für Agrarkonzerne wie Bayer würde die geplante Lockerung ein neues Geschäftsfeld in Europa bedeuten. Während Kritiker der Deregulierung einwenden, dass sich der Einsatz von Pestiziden durch den Einsatz der neuen Gentechnik keineswegs verringern lasse, weist dies Bayer-Cheflobbyist Matthias Berninger zurück. Schon durch die traditionelle Gentechnik sei der Einsatz von Insektiziden zurückgegangen, sagte er dem Tagesspiegel. Im Bereich der neuen Gentechnik habe die Crispr/Cas-Methode dazu geführt, dass weniger Fungizide, die gegen den Pilzbefall wirken, eingesetzt werden müssen.

„Es gibt zahlreiche Projekte, bei denen mithilfe der neuen Züchtungstechnologien Pflanzen entwickelt werden, die resistenter gegen Pilze, Viren, Bakterien und andere Schädlinge sind“, sagte Matin Qaim, Agrarökonom an der Universität Bonn dem Science Media Center. Wenn die Zulassung solcher Sorten in der EU vereinfacht wird, wäre das ein wichtiger Baustein, um das Ziel der Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 zu erreichen. „Und zwar ohne, dass dabei die einheimische Produktion einbricht.“

Auch wenn Gentechnik bei der Erzeugung von Agarprodukten zum Einsatz kam, soll nach dem Entwurf der EU-Kommission nicht zwangsläufig eine Kennzeichnung notwendig sein.

© dpa/Sina Schuldt

„Der Verordnungsentwurf wird auf die aktuellen bis ins Jahr 2030 reichenden Pflanzenschutzreduktionsziele der EU keinen Einfluss mehr haben“, sagte dagegen Horst-Henning Steinmann vom Zentrum für Biodiversität und nachhaltige Landnutzung der Universität Göttingen. Selbst bei einem raschen Inkrafttreten erwartet er keine sofortigen Effekte: „Vieles befindet sich noch im Stadium der Grundlagenforschung.“ Die neuen Techniken könnten zwar die Züchtungsprozeduren beschleunigen, aber Feldprüfungen im Freiland und die Formalitäten des Sortenrechtes seien nach wie vor erforderlich und zeitintensiv.

Die Reduktionswirkung des vorliegenden Entwurfes sei „uneinheitlich einzuschätzen“, sagt Steinmann. Die größten Einspareffekte können dort erwartet werden, wo Abwehrmechanismen aus dem eigenen Genpool der Kulturpflanzen etabliert oder bestehende Abwehrmechanismen gestärkt werden. Bei Sorten mit solchen Eigenschaften könnte etwa der Fungizidaufwand gegen Pilzbefall reduziert werden. Gentechnische Verfahren gegen Insektenbefall greifen jedoch bisher zumeist auf fremde Gene zurück, zum Beispiel von Bakterien. „Mit solchen Verfahren hergestellte Sorten werden voraussichtlich auch künftig keine bevorzugte Zulassung erhalten“, sagt Steinmann.

Vorteile für Großkonzerne?

Auch den Vorwurf der Deregulierungs-Kritiker, dem zufolge wenige große Saatguthersteller sich demnächst die Patente sichern und so kleinere Hersteller vom Markt verdrängen könnten, wies Berninger zurück. Nach seinen Worten gibt Bayer pro Jahr rund 2,5 Milliarden Euro für die Forschung und Entwicklung im Agrarbereich aus. Derartige Ausgaben wären gegenüber den Investoren nicht ohne eine Patentierung zu rechtfertigen, so Berninger. Künftig würden rund 500 Millionen Kleinbauern weltweit von den neuen Züchtungsmethoden profitieren können.

Die Patentdebatte stammt aus der Mottenkiste der Panikmacher der 90er-Jahre.

Matthias Berninger, Bayer-Cheflobbyist

„Die Patentdebatte stammt aus der Mottenkiste der Panikmacher der 90er-Jahre“, sagte er mit Blick auf die Kritik, die vor allem von den Grünen geäußert wird. Berninger war von 2003 bis 2007 Landesvorsitzender der Grünen in Hessen. In der Amtszeit des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) war er von 2001 bis 2005 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft.

Die Dominanz weniger Großkonzerne komme vor allem dadurch zustande, dass die Zulassungsverfahren langwierig und teuer sind, sagt Matin Qaim, was sich kleinere Firmen nicht leisten könnten. „Wenn wir die Regulierung nun vereinfachen und damit viel kostengünstiger machen, könnten auch kleine Firmen und öffentliche Einrichtungen wieder mitspielen“, erwartet der Agrarökonom. Außerdem würde man dann auch Entwicklungen bei mehr verschiedenen Kulturarten und nicht nur den wenigen bedeutendsten wie Mais, Raps und Soja sehen. „Die Forschung an sich ist nämlich recht einfach und kostengünstig“, sagt Qaim. Es gebe bereits Projekte mit über 60 verschiedenen Kulturarten. „Das ist sehr vielversprechend für mehr Diversität in den Systemen.“

Kritik an fehlender Kennzeichnung

Dagegen kritisieren Gegner des Kommissionsvorschlages wie der Europaabgeordnete Martin Häusling (Grüne) unter anderem die fehlende Kennzeichnungspflicht. Die Verbraucher hätten keine Möglichkeit zu erfahren, ob ein Produkt auf der Basis gentechnisch veränderter Pflanzen hergestellt wurde, sagte Häusling. Mit dem Vorschlag der Kommission werde ein „harter Eingriff in europäisches Recht“ vorgenommen, kritisierte er. Deshalb werde am Ende „mit Sicherheit eine juristische Prüfung notwendig sein“.

Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sind im weiteren Gesetzgebungsverfahren nun das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten am Zuge. Ob es noch vor der Europawahl im Juni 2024 während der laufenden Legislaturperiode zu einer Einigung kommt, ist unsicher. 

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) lehnt die geplante Lockerung ab. Allerdings ist das Vorhaben innerhalb der Ampel-Koalition umstritten. Die Liberalen begrüßen die Deregulierung bei der neuen Gentechnik. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger erklärte am Mittwoch, der Vorschlag der EU-Kommission gehe in die „richtige Richtung“. Mit den neuen Züchtungstechniken sei es möglich, schnell und mit geringerem Aufwand als bisher größere Ernteerträge zu erzielen oder hitzetolerantere Pflanzen zu züchten, so Stark-Watzinger. „Ich wünsche mir für Deutschland eine technologieoffene, innovationsfreudige und faktenbasierte Diskussion über die Neuen Züchtungstechniken“, erklärte die FDP-Politikerin weiter. 

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