zum Hauptinhalt
Der Historiker Michael Wildt.

© Reto Klar/Hamburger Edition

Prof im Profil: Michael Wildt: „Goldmedaille“ für Berliner Historiker

Der Historiker Michael Wildt ist an der Humboldt-Uni in den Ruhestand gegangen – und auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Jetzt erhielt er den renommierten Preis des Historischen Kollegs.

Auf die Bürokratie verzichte ich gern und auf die üblichen Querelen an der Uni“, sagt Michael Wildt. Mit Ende des Wintersemesters 2021/22 ging er an der Humboldt-Universität als „Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit einem Schwerpunkt in der Zeit des Nationalsozialismus“ in den Ruhestand.

Auch wenn Wildt nicht wie viele andere prominente Hochschullehrer:innen noch ein paar Jahre als Seniorprofessor an der HU weitermacht – das Programm wurde wegen des Spardrucks heruntergefahren – wird es keineswegs ruhig um den Holocaustforscher.

Mit dem Abdruck seiner Abschiedsvorlesung in Heft 1/22 der „Zeithistorischen Forschungen“ schaltete sich Wildt für die ganze Historikerzunft sichtbar in die neue Debatte um die Singularität des Holocaust ein. Seine These: Auch die Kolonialverbrechen seien ein fortwährender Zivilisationsbruch gewesen und der Holocaust „verliert nichts von seinem Schrecken, wenn er in einen Kontext mit einer europäischen und globalen Geschichte der Gewalt gestellt wird“.

Hoch gelobt wird Wildt für sein Anfang des Jahres erschienenes 600-Seiten-Werk „Die zerborstene Zeit. Deutsche Geschichte 1918 bis 1945“, mit dem er seitdem immer wieder zu öffentlichen Lesungen eingeladen wird – noch einmal am 24. Januar im Potsdamer Einstein Forum.

Ich wünsche mir die Universitäten als großes Labor für die Gesellschaft.

Michael Wildt, Historiker

„Michael Wildt verbindet in seinem stilistisch herausragenden Werk eine atmosphärisch dichte Darstellung der politischen Geschichte dieser Epoche mit ganz unterschiedlichen Stimmen aus Ego-Dokumenten von Zeitgenossinnen und Zeitgenossen (u.a. Tagebücher; die Redaktion)“, würdigte das Historische Kolleg in München die „Zerborstene Zeit“. Und verlieh ihm dafür im November den mit 30.000 Euro dotierten Preis des Kollegs, der als „Goldmedaille für Historiker“ gilt, wie Wildt im Gespräch scherzt.

Mit dem Preisgeld unterstützt Wildt wissenschaftliche Projekte wie eine Kooperation der Universität Erfurt mit der Universität Mekelle in Äthiopien.

„Bücher lieben gelernt“ habe er als Buchhändler-Azubi beim Rowohlt-Verlag, sagt der gebürtige Essener, der seine zupackende Arbeitsweise in der Wissenschaft aus dieser Zeit ableitet. Bekannt wurde er mit seinen Studien zur Täterforschung und zur Judenverfolgung von 1919 bis 1939, damals noch von Hamburg aus.

Aktuell arbeitet Wildt „als ehrenamtlicher Senior-Experte“ an der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Hannah-Arendt-Edition mit, liest und kommentiert sich durch die Manuskripte von „Eichmann in Jerusalem“.

Was er im Ruhestand vermisst, sind die Studierenden, zu denen er im kommenden Semester für ein Masterseminar an die HU zurückkehrt. Was er an der neuen Phase schätzt, ist die Zeit für Lektüren, darunter David Van Reybroucks „Revolusi“ über die Dekolonisierung Indonesiens.

Dass „die Universität“ – nicht nur die HU – zur Diskussion um die „Documenta“ schwieg, empfindet Wildt als großes Versäumnis. Er wünscht sich die Unis als „großes Labor für die Gesellschaft“. Und würde dabei doch noch gerne mitwirken.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false