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Die Knöpfe einer Klimaanlage sehen zufällig aus wie ein lächelndes Gesicht.

© University of Sydney

Dinge mit Gesicht: Punkt, Punkt, Komma, Strich

Es braucht wenig Fantasie, um in manchen Gegenständen Gesichter zu erkennen. Für unser Gehirn ist dieser Irrtum von Vorteil.

Manchmal wird man morgens schon vom Kaffee angestarrt. Oder besser gesagt, von dem Muster, das sich bildet, wenn die kleinen Bläschen der Crema nach und nach platzen: Zwei einigermaßen runde Flecken, die sich im hellbraunen Schaum bilden, darunter ein langgezogener Streifen. Fertig ist das Mondgesicht.

Pareidolie heißt das Phänomen, wenn man in Gegenständen und eigentlich unbelebten Dingen Figuren und Gesichter sieht. In unserem Gehirn ist dieser Irrtum evolutionsbiologisch tief verankert: Pareidolie kommt auch bei anderen Menschenaffen vor, wenn sie Bilder von unbelebten Objekten sehen, wie sich in Studien gezeigt hat.

Gerade unechte Gesichter werden dabei besonders häufig erkannt. Plattformen wie der Instagram-Kanal @facespics sammeln Bilder von vermeintlichen Grimassen, die sich in Waschbecken-Armaturen, Sofaknöpfen oder aufgeschnittenen Paprikas verbergen.

Berühmt wurde auch das „Marsgesicht“: 1976 lieferte die Sonde „Viking 1“ das verschwommene Foto eines Gebirges auf dem roten Planeten, das unverkennbar einem menschlichen Gesicht ähnelte und Verschwörungstheorien begründete.

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Als gut 20 Jahre später die gleiche Stelle der Marsoberfläche erneut fotografiert wurde, entpuppte sich das vermeintliche Antlitz dank höherer Auflösung nur noch als schroffe Tafelbergformation.

Im Gehirn reagieren die gleichen Strukturen

Doch das Erkennen von Gesichtern an Stellen, wo eindeutig kein menschliches Gesicht existiert, ist im Gehirn tief verankert. Bereits 2014 stellten Forschende aus China und Kanada fest, dass im Gehirn die gleichen Strukturen aktiv sind, wenn man mit einem menschlichen oder einem unechten Gesicht konfrontiert wird.

„Selbst der leichteste Hinweis auf ein Gesicht kann dazu führen, dass ein Gesicht auch erkannt wird“, schrieben sie damals in ihrer Studie.

Forschende aus Australien konnten nun zeigen, dass wir solche Gesichter nicht nur erkennen, sondern sie auch so bewerten, als würde es sich um echte Menschen handeln. Egal, ob ein Gesicht echt oder unecht ist – wir schreiben ihm sofort Emotionen zu.

Offenbar ist das Erkennen der Stimmung eines Gegenübers anhand seines Gesichts wichtiger als die Tatsache, ob es sich dabei überhaupt um einen Menschen handelt.

Zu diesem Schluss kommen die Forschenden um David Alais von der University of Sydney durch eine Studie, die sie im Fachblatt Proceedings of the Royal Society B veröffentlichten.

Die Psychologinnen und Psychologen luden dafür 17 Studierende zu einem Experiment ein. Ihnen wurden in zufälliger Reihenfolge zunächst 40 Bilder von menschlichen Gesichtern und anschließend 40 Bilder von vermeintlichen Gesichtern in Gegenständen vorgespielt.

Ein Flugzeug von vorne ergibt mit seinen Cockpit-Fenstern ein freundliches Gesicht.
Auch dieses Bild einer Propellermaschine gehörte zu jenen, die in der Studie verwendet wurden.

© University of Sydney

Eine Viertelsekunde lang wurde jedes Bild nur gezeigt – in früheren Studien hat sich herausgestellt, dass das Gehirn so viel Zeit benötigt, um ein menschliches Gesicht zu erkennen.

Die vorgespielten Bilder sollten die Probandinnen und Probanden im Anschluss innerhalb einer Sekunde ihrem Ausdruck nach in einem Spektrum von sehr fröhlich bis sehr verärgert einordnen.

In einem weiteren Versuch wurden den Teilnehmenden die gleichen Bilder erneut vorgespielt. Diesmal waren jedoch menschliche und unechte Gesichter vermischt, sodass sie jeweils 640 Bilder nacheinander sahen. Die Teilnehmenden sollten erneut innerhalb von Sekundenbruchteilen die Emotionen der Gesichter einschätzen.

Frühere Studien zeigten, dass in solchen Bildabfolge-Experimenten die Wahrnehmung von Gesichtsausdrücken durch das vorher gezeigte Bild verstärkt wird, wenn die gezeigten Emotionen aus der gleichen Kategorie stammen: Folgen etwa zwei fröhliche Gesicht aufeinander, wird das nachfolgende tendenziell als fröhlicher beurteilt.

Genau diesen Effekt stellten die Psychologinnen und Psychologen in ihrem neuen Experiment auch dann fest, wenn menschliche und unechte Gesichter willkürlich miteinander vermischt wurden.

Fehlinterpretation als evolutionärer Vorteil

Folgte auf das Bild eines lächelnden Menschen das einer Klima-Anlage, deren Knöpfe einem grinsenden Gesicht ähnelten, so wurde dieses als glücklicher interpretiert. Offenbar beurteilten die Probandinnen und Probanden die unechten Gesichter genauso wie die menschlichen.

„Evolutionär betrachtet scheint es, als wäre es ein wesentlich größerer Vorteil, Gesichter überhaupt zu erkennen, als ein Gesicht fälschlicherweise dort zu erkennen, wo keines ist“, erklärt Studienleiter David Alais in einer Pressemitteilung.

Die richtige Interpretation einer Stimmung im Gesicht eines Gegenübers ist nicht zuletzt wichtig, um dessen Absichten zu erkennen – und etwa im Fall einer Bedrohung schnell Maßnahmen zu ergreifen.

Das Gehirn verfügt dabei offenbar um einen großen Toleranzbereich und ist nicht an spezielle menschliche Merkmale gebunden, so die Forschenden. Ihre Ergebnisse können dabei helfen, Phänomene wie Gesichtsblindheit zu erklären oder künstliche Intelligenz weiterzuentwickeln.

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