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Eine Szene aus der Wanderausstellung „Russian War Crimes“ vom Pinchuk Art Center, die ab dem 4.9. in der Humboldt-Universität zu sehen ist.

© Pinchuk Art Center/Kateryna Shched

Russische Kriegsverbrechen: Ausstellung an der Humboldt-Uni bringt Kriegsschrecken nahe

Nichts für schwache Nerven: Eine Kiewer Ausstellung zeigt die Kriegsverbrechen, die Russland in der Ukraine verübt. Damit verfolgt sie auch politische Ziele.

Blut, Tod, Trümmer, verzweifelte und trauernde Menschen – und das alles in Nahaufnahme. Die Wanderausstellung „Russische Kriegsverbrechen (Russian War Crimes), die das ukrainische Pinchuk Art Centre kuratiert und die ab heute an der Humboldt-Universität gezeigt wird, ist nichts für schwache Nerven.

Doch gerade die Nerven soll die Schau treffen, sagt Björn Geldhof, Direktor des Centres, dem Tagesspiegel im Vorfeld der Ausstellungseröffnung. Denn Emotionen seien wichtig, um Handlungsentscheidungen zu treffen: Es sei dann schwerer, ein Thema einfach zu verdrängen. Worauf Geldhof anspielt, ist klar: Die Frage, ob und wie der Ukraine geholfen wird – also auch die Frage militärischer Hilfe.

Die politischen Entscheidungsträger sind die Hauptzielgruppe, die Kuratorin Ksenija Malykh nennt sie „Menschen in Anzügen“. Daher gastierte die Ausstellung, bevor sie an die Humboldt-Uni kam, auch an politisch wichtigen Orten wie dem Weltwirtschaftsforum in Davos, dem NATO-Hauptquartier in Brüssel, in New York bei der UN-Generalversammlung oder der Münchner Sicherheitskonferenz.

Eigentlich ist das Pinchuk Art Centre die größte Drehscheibe ukrainischer Gegenwartskunst. Doch angesichts des Kriegs habe sich das Zentrum entschlossen, die künstlerischen Projekte vorübergehend einzuschränken und sich auf ein dokumentarisches Projekt einzulassen, sagt Malykh. „Denn die konkreten Verbrechen und Ereignisse, die sich vor unseren Augen abspielen, die Fakten, wiegen schwerer als die talentierteste künstlerische Neuinterpretation der heutigen Realität“.

Der Krieg in Zahlen und Bildern

Weil die Zahl der Opfer der russischen Aggression von Tag zu Tag steigt, muss sich auch die Ausstellung verändern. Sie enthält eine Karte der russischen Verbrechen, auf der die bestätigte Zahl der Toten und Verletzten in jeder Region verzeichnet ist. Zwei Tage vor Eröffnung in Berlin kennt die Kuratorin Malykh noch nicht die finalen Zahlen. In letzter Minute aktualisiert ein Designer aus Kiew alles, in der Nacht geht die Karte in den Druck.

Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft ermittelt in mehr als 90.000 Strafverfahren im Zusammenhang mit den Verbrechen der russischen Armee. Auch Dutzende von Nichtregierungsorganisationen sind mit der Dokumentation beschäftigt. Die gesammelten Beweismittel sollen später den internationalen Gerichten vorgelegt werden.

Die Ukraine besteht auf der sofortigen Einrichtung eines eigenen Tribunals für Putins Regime unter der Schirmherrschaft der UNO, ähnlich den Nürnberger Prozessen in Folge des Nationalsozialismus. Über den Vorschlag wird jedoch noch verhandelt – nicht alle europäischen Partner stimmen dem zu.

Für die Ukraine ist die Ausstellung der Kriegsfakten in der HU daher auch ein Instrument, um in den schwierigen Verhandlungen weiterzukommen. Das Präsidialamt der Ukraine, vertreten durch den Büroleiter Andrij Jermak, ist offizieller Partner der Stiftung Pinchuk Art Centre.

Wiktor Pintschuk leitet die Stiftung und ist immer bei der Eröffnung der Ausstellung immer dabei, manchmal online, manchmal – wie heute an der Humboldt-Universität – auch persönlich. Er ist einer der größten Geschäftsleute der Ukraine, der in den späten 90er Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Kapital anhäufte. Forbes schätzt sein Vermögen auf 2,1 Milliarden Dollar. Pintschuk ist der Schwiegersohn des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma, dessen Amtszeit von 1994 bis 2004 ein vergleichsweise milderer, aber dennoch autoritärer Stil prägte.

Pintchuk konnte seinen informellen politischen Einfluss in den letzten zwanzig Jahren um ein Vielfaches steigern: Er organisierte die ukrainischen Frühstücke auf dem Weltforum in Davos und dem Yalta European Strategy Forum für internationale Spitzenpolitiker, kurz Yes-Forum, um die europäische Integration der Ukraine voranzutreiben. Seit 2014, als die Krim von Russland besetzt wurde, finden die YES-Treffen vorübergehend in Kiew statt.

Der Slogan „Nie wieder“ hat sich leider nicht bewahrheitet.

Wiktor Pintschuk, Leiter der Stiftung „Pinchuk Art Centre“

„Der Slogan ‚Nie wieder‘ hat sich leider nicht bewahrheitet“, sagt Wiktor Pintschuk mit Blick auf den in Europa tobenden Krieg. „Deshalb lautet unser Credo heute ,Stop Now!‘“ Das sei auch die Botschaft der Ausstellung.  

Diese gipfelt in einer 10-minütigen Videokompilation, die der Künstler Oleksij Say aus 5000 Fotos des russischen Krieges erstellt hat: 500 grausame Bilder pro Minute, getaktet wie ein Metronom. Gleichzeitig kann man die Gespräche russischer Soldaten hören, die von ukrainischen Geheimdiensten hinter den Kulissen mitgehört wurden.

Die Wanderausstellung „Russian War Crimes“ bringt dem Betrachtenden die Kriegsgräuel eindrücklich nahe.

© Pinchuk Art Center/Kateryna Shched

Sie telefonieren mit ihren Leuten zu Hause und sprechen über die Morde, die sie begangen haben. Und über die Trophäen, die sie in der Ukraine ergattern konnten. Jeder Schlag des Metronoms ist ein kurzes Standbild, dazwischen ein kontinuierlicher Strom von Fotos, oft sind vier gleichzeitig auf den Screen geschnitten.

Man hat keine Zeit, sie sich richtig anzuschauen, aber braucht es gar nicht. Ziel ist, den europäischen Betrachter in einen Fluss anhaltender Trauer zu versetzen. Sie sollen das ganze Ausmaß spüren und fühlen, was die Ukrainer seit anderthalb Jahren durchmachen, ließe sich das Konzept zusammenfassen. Provokant, aber wirkungsvoll.

Laut Björn Geldhof, Direktor des Pinchuk Art Centre, ist es dank der hohen Frequenz der Bildwechsel möglich, „heftigere Bilder zu zeigen – sie ziehen so schnell an den Augen vorbei, dass das Gehirn keine Zeit hat, sie richtig zu registrieren“.

Der zweite Teil der Ausstellung hat indes das Gegenteil zum Ziel: Hier geht es um die Tragödie eines einzelnen Menschen, gezeigt aus nächster Nähe. Es handelt sich um mehrere Dutzend Fotos von berühmten ukrainischen Fotograf:innen. Jedes wird von einem kurzen Text begleitet, in dem die individuelle Geschichte, die dahintersteht, geschildert wird.

Je länger der Krieg andauert, desto mehr ähneln sich die Nachrichten aus der Ukraine einer statistischen Zusammenstellung von Zahlen: die Zahl der Toten und Verwundeten – ob Erwachsene, Kinder und Soldaten –, wie viele russische Raketen auf die Ukraine abgefeuert wurden, wie viele deutsche Panzer geliefert wurden, und so weiter.

Selbst die Geschichten der konkreten menschlichen Schicksale erwecken nicht mehr das Interesse und das Mitgefühl, wie man sie in den Anfangsphase des Krieges beobachten konnte. Das ist unvermeidlich. So versuchen die Kurator:innen der Ausstellung, dieser Entwicklung entgegenzuwirken: mit grausamen, aber wichtigen dokumentarischen Bildern.

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