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Gunvor Lindström von der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) am Grabungshaus in Torboluk (Tadschikistan) mit zwei baktrischen Miniaturaltären, die sie dort ausgegraben hat. 

© Julian Daum/DAI

Schlüsselfunde der Berliner Archäologie: Aus dem Kellerdepot ins Grabungsneuland

Gunvor Lindström von der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts identifizierte in Tadschikistan ein wertvolles Kultgefäß. Ein Wendepunkt ihrer Arbeit.

Auf den ersten Blick mag es kein spektakulärer Fund sein, der 2008 beim Bau einer Schule in Torbulok im Süden Tadschikistans zu Tage gefördert wurde: ein halbkugelförmiges Kalksteinbecken, sorgfältig gearbeitet, 50 Zentimeter hoch und mit einem Durchmesser von 98 Zentimetern. Es dürfte ungefähr 250 Liter Wasser gefasst haben.

Gunvor Lindström von der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) arbeitete 2011 im Depot des Antikenmuseums in Duschanbe Funde einer sowjetischen Grabung vom Oxos-Tempel aus den 1960er und 70er Jahren auf, „eine sehr einsame Arbeit“, wie sie heute erzählt. „Da kam eine tadschikische Kollegin, sah meine großen Scherben aus dem Oxos-Tempel, dem bedeutendsten Heiligtum in Baktrien, und meinte, so etwas Ähnliches habe sie in Torbulok auch gefunden, aber sie könne den Fund nicht einordnen.“

Tadschikische Archäologen im Hof des Antikenmuseums in Duschanbe (Tadschikistan) mit dem baktrischen Gefäß, das Gunvor Lindström als von griechischen Vorbildern inspiriertes Kultgefäß identifizierte. 

© Gunvor Lindström/DAI

Lindström schaute sich das auf dem Museumshof abgeladene Gefäß an und hatte als klassische Archäologin gleich die Assoziation, dass es sich um ein Perirrhanterion handeln musste, ein Gefäß, das in antiken griechischen Heiligtümern für symbolische Reinigungsrituale genutzt wurde. Das antike Land Baktrien im heutigen Süden Tadschikistans, Usbekistans und im Norden Afghanistans wurde 329-327 vor unserer Zeit durch Alexander den Großen erobert und gehörte danach zur hellenistischen Welt.

Bisher waren nur zwei baktrische Heiligtümer in dieser multikulturell geprägten Region besser bekannt, der Nischentempel von Ai Khanoum und der Oxos-Tempel in Tacht-i-Sangin. Torbulok liegt allerdings abseits dieser Zentren.

Der rätselhafte Fund des Steinbeckens, das einmal auf einem säulenförmigen Sockel aus Stampflehm gestanden haben musste, weckte die Neugier Lindströms. Sie startete 2013 mit Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eine Grabung des DAI in Torbulok, um nach dem möglichen Heiligtum zu suchen.

„Plötzlich saß ich nicht mehr allein im dunklen Keller“

„Ich habe das Kalksteinbecken zwar nicht selbst gefunden, aber als Kultgefäß erkannt und damit eine Grabung ausgelöst, die uns neue Erkenntnisse über die religiöse Praxis im bis heute kaum erforschten hellenistischen Baktrien geliefert hat“, sagt sie. Die Beurteilung des Fundes habe ihr Leben verändert. „Plötzlich saß ich nicht mehr allein im dunklen Keller inmitten der alten Funde, sondern leitete selbst ein Team auf einer Grabung, die Neuland erschloss.“

Der Randbereich des Heiligtums, das von 250 bis 150 vor unserer Zeit existierte, ist inzwischen ausgegraben, eine moderne Schule verhindert weitere Grabungen. Die Auswertung der Funde ergab, dass man sich in diesem ländlichen Heiligtum vor allem an den einheimischen Traditionen orientierte. Nur einzelne griechische Elemente wurden angenommen, denen die Baktrer aber durchaus andere Bedeutungen zuweisen konnten.

„Heute vermute ich, dass ein reicher Stifter, der solche monumentalen Gefäße aus den großen Heiligtümern Baktriens wie dem Oxos-Tempel kannte, den Auftrag gegeben hat, ein solches Gefäß zu schaffen, um dem Ort Bedeutung zu verleihen – und nicht um dort Rituale nach griechischem Vorbild durchzuführen.“

In Torbulok haben die Archäolog:innen auch viele Miniaturaltäre ausgegraben, die eine in Baktrien entwickelte Form haben. Auch die gefundene Keramik hat eigenständige baktrische Formen. In dieses Bild passt der Fund eines bisher einzigartigen Schachtes. Dieser war durch ein Vorratsgefäß gebildet worden, das man kopfüber in die Erde versenkt hatte. Der Boden wurde entfernt und der ursprüngliche Hals mit Gips versiegelt.

Dann wurden dort Perlen, ein Silberspatel, Eisenbeschläge und glatte Kiesel deponiert, die wie der Geomorphologe Mohsen Makki von der Humboldt-Universität analysiert hat, aus dem Pamirgebirge stammen. Insofern ist das griechisch inspirierte Kultgefäß im Heiligtum von Torbulok Ausdruck einer baktrisch geprägten religiösen Praxis, die sich im Austausch mit griechischen Einflüssen zu etwas Eigenem entwickelt hat.

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