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Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an die in Ungarn geborene Forscherin Kariko und den US-Amerikaner Weissman für Grundlagen zur Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19.

© dpa/Peggy Peterson

Update

Gegen alle Widerstände: Medizin-Nobelpreis für RNA-Impfstoffe gegen Corona

Lange kaum beachtet, ermöglichte die wissenschaftliche Arbeit von Katalin Karikó und Drew Weissman die Entwicklung von Corona-Impfstoffen. Sie setzten sich bei der Preisvergabe gegen andere Forschende durch, darunter auch die Biontech-Gründer.

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Das entscheidende Experiment gelingt 2004, in einem Labor der University of Pennsylvania in Philadelphia. Katalin Karikó blickt auf die Messwerte und kann es zunächst kaum glauben. Die Zellen, die in der Kulturschale wachsen, sondern einen Eiweißstoff ab – weil die ungarische Wissenschaftlerin eine Botschaft in Form von RNA geschickt hat. Der Erste, mit dem sie die Ergebnisse bespricht, ist der Amerikaner Drew Weissman. Die Biochemikerin und der Immunologe ergänzen sich in ihrer Expertise; im Jahr darauf veröffentlichen sie gemeinsam ihre Ergebnisse im Fachjournal „Immunity“.

Zunächst passiert – nichts. Die mRNA-Technologie wird damals kaum beachtet. Dass sie 15 Jahre später zu einem entscheidenden Werkzeug im Kampf gegen ein pandemisches Virus werden wird, ahnt niemand. Heute sind Katalin Karikó /68) und Drew Weissman (64) mit dem Nobelpreis in der Kategorie Physiologie oder Medizin ausgezeichnet worden.

„Das ist super“, kommentiert der deutsche Forscher Ingmar Hoerr, der schon Ende der 1990er-Jahre mit mRNA als Impfstoff experimentierte, die Bekanntgabe des Nobelpreis-Komitees „Das ist vor allem für Katalin Karikó absolut verdient, die lange Jahre um Anerkennung kämpfen musste.“ Letztlich seien es ihre chemischen Modifikationen der mRNA-Moleküle gewesen, die die Impfung ermöglicht hätten, erst dadurch habe man „die Corona-Krise in den Griff bekommen“.

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Dass er selbst nicht berücksichtigt wurde, wundere ihn nicht. „Es gab viele, die zu diesem Erfolg beigetragen haben.“ Er freue sich, dabeigewesen zu sein, so der Gründer der Firma Curevac.

Medizin-Nobelpreis: Wer ist Katalin Karikó?

Katalin Karikó beschäftigt sich bereits als junge Wissenschaftlerin in Ungarn mit RNA, gehört damit aber lange zu einer Minderheit. Der Umgang mit den instabilen Molekülen bereitet anfangs große Schwierigkeiten. Im Jahr 1985 wandert sie mit ihrem Mann und der dreijährigen Tochter in die USA aus, kämpft sich von Stelle zu Stelle, müht sich um Forschungsgelder und erhält schließlich eine befristete Anstellung an der University of Pennsylvania.

Karikó und Weissman: Warum ist ihre Arbeit so wichtig?

Noch mit 49, zur Zeit des entscheidenden Experiments, hat Karikó keine feste Stelle. Nach vielen Rückschlägen gelingt ihr und Weissman der Nachweis, dass man Zellen dazu bringen kann, beliebige Proteine zu produzieren, indem man eine „Bauanleitung“ in Form von mRNA einschleust. Die fadenförmigen Moleküle gehören zum natürlichen Repertoire aller Lebewesen. Mit ihnen kann die Zelle Abschriften des genetischen Codes im Zellkern anfertigen, die dann in Proteinmoleküle übersetzt werden. Das vorangestellte m in mRNA seht für „messenger“, englisch für „Bote“.

Thomas Perlmann (r), Sekretär der Nobelversammlung, verkündet die Gewinner des Nobelpreises für Medizin 2023.
Thomas Perlmann (r), Sekretär der Nobelversammlung, verkündet die Gewinner des Nobelpreises für Medizin 2023.

© dpa/JESSICA GOW

Ein Problem, mit dem sich Karikó lange herumschlägt: Eigentlich vernichtet jede Zelle sofort fremde mRNA - eine sinnvolle Immunreaktion, da viele Viren RNA-Erbgut tragen. Karikós entscheidende Idee, die nun mit dem Nobelpreis gewürdigt wird: Sie verändert die Impf-RNA chemisch so, dass sie vom menschlichen Immunsystem nicht mehr als fremdartig erkannt wird.

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Menschen haben seit der ersten Auszeichnung im Jahr 1901 bereits den Medizin-Nobelpreis erhalten.

So ersetzt sie zum Beispiel den RNA-Bestandteil Uridin durch das chemisch leicht unterschiedliche Pseudo-Uridin. Durch solche und andere Modifikationen bleibt die Abwehrreaktion aus, die Impf-Wirkung der RNA-Moleküle aber erhalten.

Es vergehen noch mehrere Jahre, bis die Tragweite der Arbeit klar wird. Erst als 2009 der Zellbiologe Derrick Rossi an der Harvard University Karikós Tricks anwendet, um Zellen mithilfe der modifizierten mRNA zu instruieren, sich in embryonale Stammzellen zu verwandeln, bekommt die Technik die volle Aufmerksamkeit einflussreicher Forscher.

Gigantische Möglichkeiten für mRNA-Technik

Die Möglichkeiten der mRNA-Technik sind gigantisch, praktisch jedes Eiweißmolekül lässt sich damit in Zellen produzieren. Menschen mit Erbkrankheiten können Anleitungen für fehlende Proteine erhalten. Immunzellen können darauf trainiert werden, gezielt gegen bestimmte Tumore vorzugehen. Woran zunächst kaum jemand denkt: Man kann Zellen eine mRNA-Botschaft schicken, durch die sie Virusproteine produzieren - einen körpereigenen Impfstoff.

Basierend auf der Entdeckung von Karikó und Weissman wird in den USA 2010 schließlich die Firma Moderna gegründet, die binnen weniger Jahre fast zwei Milliaden Dollar an Risikokapital einsammelt - so überzeugend wirkt das Konzept auf die Investoren. Aber nicht nur in den USA, auch in Deutschland wird früh an der RNA-Technologie gearbeitet. Bereits im Jahr 2000 gründet Ingmar Hoerr in Tübingen Curevac, 2008 folgen Ugur Sahin und Özlem Türeci mit der Firma Biontech.

Katalin Karikó arbeitete zeitweise für das Pharma-Unternehmen Biontech.
Katalin Karikó arbeitete zeitweise für das Pharma-Unternehmen Biontech.

© dpa/Andreas Arnold

Der Durchbruch mit Corona

Nach Jahrzehnten der Entwicklung abseits der Schlagzeilen geht dann Ende 2019 die Nachricht um die Welt, dass in China reihenweise Menschen an einem neuartigen Virus erkranken. Sofort ist den Forschern bei Biontech, Moderna und Curevac klar, dass sich die mRNA-Technik perfekt für den Kampf gegen das Virus eignet.

Sie benötigen kein lebendes Virus, sondern lediglich die Gensequenz von Sars-Cov-2 aus dem Computer, um passende mRNA-Moleküle herzustellen. Binnen weniger Wochen stehen Impfstoffkandidaten für die klinischen Tests bereit. Das Rennen um den ersten Impfstoff gewinnen schließlich Kopf an Kopf Moderna und Biontech in Zusammenarbeit mit Pfizer.

„Curevac hat den Fehler begangen, Karikós RNA-Modifikationen nicht ausreichend zu berücksichtigten“, sagt Ingmar Hoerr, der die Firma wegen Erkrankung zu Beginn der Corona-Pandemie nicht mehr leitete. Dadurch habe die Tübinger Firma keine so hohe mRNA-Dosis verwenden können wie Biontech oder Moderna, die von Anfang an auch modifizierte mRNA verwendeten.

Frühe Versuche

Neben Karikó und Weissmann haben viele anderen zur Entwicklung der mRNA-Impfstoffe beigetragen. Der Erste, der RNA als Vakzin testete, war 1993 der Franzose Pierre Meulien. Doch seine Arbeit führte nicht zum Erfolg und geriet in Vergessenheit. Schon bessere Ergebnisse erzielte Ingmar Hoerr in seiner Doktorarbeit, deren Ergebnisse er 2000 veröffentlichte - im gleichen Jahr publizierte auch Karikó eine erste Arbeit zur Impfstoffforschung mit mRNA.

Auch Özlem Türeci und Uğur Şahin, die Gründer von Biontech, haben wesentliche Entwicklungsarbeit geleistet. So erforschten sie beispielsweise schon 2006, wie lang der „Schwanz“ der Impf-RNA sein muss, eine Abfolge von besser mehr als 100 Uridin-Bausteinen. Oder wie jene Teile der RNA beschaffen sein müssen, die nicht in Protein übersetzt werden, damit verschiedene Immunzelltypen darauf adäquat reagieren. Solche Veränderungen sorgten dafür, dass die Impf-RNA bis zu 20 Mal besser in Protein übersetzt und damit ein wirksamerer Impfstoff wurde.

„Es gibt nicht den einen Heureka-Moment, das Experiment des einen Forschers, der den Durchbruch für die mRNA-Impfstoffe gebracht hätte“, sagt Uğur Şahin. Es hätte keine 20 Jahre Forschung gebraucht, wenn es durch eine Einzelleistung machbar gewesen wäre. „Man kann das mit der Mondfahrt vergleichen: Da mussten so viele Probleme gelöst werden, um die Leute zum Mond und wieder zurückzubekommen, dass man da nicht auf eine einzelne Erfindung fokussieren kann.”

Auch beim RNA-Impfen seien sehr viele Details zu klären gewesen. Wie man die mRNA im Labor herstellen kann, wie man sie länger haltbar machen kann, wie man sie verpackt, wie man sie in die richtigen Zellen bringt, wie man sie so potent macht, dass man in Menschen starke Immunantworten auslöst – Dutzende Forscher trugen über Jahrzehnte dazu bei, solche Fragen zu lösen, ohne dafür besondere Anerkennung zu bekommen.

Die verkannte Forscherin

Katalin Karikó aber zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihr gesamtes Leben der Entwicklung der mRNA-Technologie gewidmet und über Jahrzehnte dafür gekämpft hat – ohne Anerkennung, mit geringem Gehalt und ohne feste Anstellung.

Dabei fand sie in Drew Weissman einen Weggefährten. „ Kati und ich haben über 20 Jahre Seite an Seite im Labor gearbeitet. Wir haben beide Schlafstörungen, also haben wir uns manchmal schon um drei Uhr nachts per E-Mail über neue Ideen ausgetauscht“ so erinnert sich Weissman. Für den Immunologen ist „ein Lebenstraum“ in Erfüllung gegangen. „Auch wenn ich niemand bin, der auf Preise hinarbeitet, der Nobelpreis einfach ist die ultimative Auszeichnung.“

Katalin Karikó verliert 2013 ihre Stelle an der Pennsylvania University. „Sie haben mich rausgeschmissen, in Rente geschickt“, erinnert sie in einem auf der Nobelpreis-Webseite veröffentlichten Telefongespräch „Zu der Zeit hatte ich, mit 58 Jahren, noch meine Experimente selbst durchgeführt, eigenhändig die notwendigen Zellen für meine Experimente kultiviert.“ Normalerweise betreuen Forschende zu diesem Zeitpunkt einer universitären Laufbahn längst Doktoranden und jüngere Mitarbeiter, die dann die Arbeit im Labor machen.

Karikó nimmt daraufhin eine Stelle bei Biontech an, die sie erst 2022 wieder aufgibt. Heute ist sie Professorin an der ungarischen Universität Szeged und hat eine zusätzliche Forschungsstelle an der University of Pennsylvania, wo Drew Weissman ebenfalls noch forscht.

Für Menschen am Beginn ihres Berufslebens hat sie einen Rat: „Man muss sich auf das konzentrieren, was man ändern kann. Viele junge Leute geben auf, weil ihre Freunde oder Kollegen erfolgreicher sind und befördert werden. Aber wenn man von derlei Dingen Notiz nimmt, hat man schon den Fokus auf das verloren, was man verändern kann.“

Andere Wissenschaftlerinnen ermutigt sie, nicht zwischen Kindern oder Karriere zu wählen. „Man kann beides haben, nur darf man Kinder nicht auf übertriebene Weise in allem beistehen. Die bekommen ja mit, was man macht, sie beobachten das, und dann legen sie selbst los.“ Karikós Tochter Susan Francia ist zweifache Olympiasiegerin und mehrfache Weltmeisterin im Rudern.

Am 10. Dezember, dem Todestag von Alfred Nobel, werden Katalin Karikó und Drew Weissman in einer feierlichen Zeremonie in Stockholm den Preis erhalten. Seit 1901 wurden 113 Nobelpreise für Physiologie oder Medizin vergeben, vor Karikó wurden erst 12 Frauen in dieser Kategorie ausgezeichnet.

Eines ist in diesem Jahr anders als in den Vorjahren: Das Preisgeld, das pro Kategorie ausgeschüttet wird, wurde von der Nobelstiftung um eine Million schwedische Kronen auf nun elf Millionen Kronen heraufgesetzt. Nach jüngstem Umrechnungskurs sind das rund 950.000 Euro.

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