zum Hauptinhalt
Im Familienverband sind ernsthafte Auseinandersetzungen selten.

© dpa/Patrick Pleul

Wildwechsel: Der Mythos vom Alpha-Wolf

Die Vorstellung vom Leitwolf, der sich an die Spitze seines Rudels kämpft, stammt von Beobachtungen in Gehegen. In der Natur sind Wolfsrudel einfach nur Familien.

Eine Kolumne von Patrick Eickemeier

Das Buch wurde viele Jahre länger gedruckt, als seinem Verfasser recht war: „Der Wolf – Ökologie und Verhalten einer bedrohten Art“ von David Mech, zuerst erschienen im Jahr 1970, zuletzt aufgelegt im Jahr 2022. Der Biologe vom Geologischen Dienst der USA gehörte zu den ersten, die Wölfe über Jahre in der Natur beobachteten und ihre Lebensweise erforschten. Doch sein Buch hält er spätestens seit den 1990er Jahren für überholt.

Er hatte sich darin eines zu einfach gestrickten Erklärungsmusters für das Sozialleben der Wölfe bedient. Die Rudel würden durch Rangkämpfe hierarchisch strukturiert, schrieb er, mit einem Alpha-Rüden an der Spitze, einem Alpha-Weibchen, Beta- und Gamma-Tieren darunter, bis hinab zum rangniedrigsten Omega-Tier.

Doch als Biologen vermehrt Wölfe in der Natur anstelle von zusammengewürfelten Rudeln in Gefangenschaft beobachteten, wurde klar: Es sind wohl eher die Menschen, die gerne zu vermeintlichen Alpha-Tieren aufblicken. Vielleicht, weil sich das Bild vom straff geführten Rudel so wunderbar übertragen lässt, zum Beispiel auf politische Gruppierungen oder das Mittelfeld einer Fußballmannschaft. Und weil es eine geradezu natürliche Legitimierung dafür liefert, alleinige (häufig männliche) Führungsansprüche aggressiv durchzusetzen.

Im Wolfsrudel gilt: Papa und Mama bestimmen.

© imago/imagebroker

Doch damit ist es nicht wirklich weit her. Rangkämpfe sind in Wolfsrudeln die Ausnahme, nicht die Regel. Die Rangordnung ist eher eine Frage des Familienstands. Alle Tiere fügen sich einem Rüden, und alle bis auf diesen einem Weibchen. Man kann sie Alphatiere nennen, bessere Bezeichnungen wären „Mama“ und „Papa“  – denn sie sind das Paar, das für Nachwuchs sorgt.

In der Natur bleiben die Jungtiere zunächst bei ihnen, auch wenn bereits der nächste Wurf geboren ist, bis sie irgendwann ihrer eigenen Wege gehen, um zu versuchen, mit einem Partner ein eigenes Rudel zu gründen. So kommt die Rudelgröße von meist sechs bis zehn Tieren zustande.

„Welchen Wert hätte es, einen menschlichen Vater als Alphamännchen zu bezeichnen“, zitierte die Zeitschrift „Scientific American“ David Mech. Er sei einfach der Vater der Familie. „Und genau so ist es bei den Wölfen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false