zum Hauptinhalt
Wolfgang Wick will mit dem Wissenschaftsrat tagesaktuell Akzente setzen.

© Universitätsklinikum Heidelberg

Wissenschaftsrats-Chef: „Wir müssen unser System attraktiver machen“

Wolfgang Wick ist neuer Vorsitzender des Wissenschaftsrats. Er erklärt, warum das Gremium tagesaktueller arbeiten muss, was er für faire Karrierewege machen will – und was in der Pandemie nicht so gut klappte.

Herr Wick, Sie sind als Neurologe einer der meistzitierten Forscher Ihres Fachs. Was hat Sie gereizt, das Labor und die Klinik gegen die Gremienarbeit zu tauschen?
Ich muss vielleicht erst einmal betonen, dass der Wissenschaftsrat ein Nebenamt ist. Ich tausche also nicht, mich reizen die verschiedenen Möglichkeiten. Ich bin seit zwei Jahren Mitglied im Wissenschaftsrat und habe mich begeistern lassen von den vielen Fragen, weit über die Medizin hinaus: etwa wie das Wissenschaftssystem attraktiv bleibt. Vielleicht ist es auch einfach eine Altersfrage: Ich habe schon einige Dinge in der Forschung gemacht und eine sehr selbständige Arbeitsgruppe, da kann ich jetzt meinen Schwerpunkt etwas verlagern.

Sie wollen als Vorsitzender des Wissenschaftsrats mehr Akzente im Tagesgeschäft der Wissenschaftspolitik setzen. Muss Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger Angst bekommen?
Nein, das muss sie nicht. Ich glaube aber, dass es gut ist, wenn jetzt tagesaktuell mehr kommt. Für Bildung und Wissenschaft ist es ein schweres Jahr gewesen. Ausgerechnet in Krisenzeiten müsste man besonders auf Wissenschaft setzen und weit nach vorne gucken. Das gelingt aber nicht. Wenn Politik wie momentan im Krisenbewältigungsmodus ist, schaut sie eben nicht auf die großen Konzepte. Wissenschaft hat daher leider momentan nicht den Stellenwert, den sie haben sollte, obwohl uns Corona das ja eigentlich gelehrt haben sollte.

Wie können Sie der Politik klarmachen, dass mehr als nur akute Krisenbewältigung gefragt ist?
Wir müssen uns Arbeitsformate aneignen, die über weniger Umfang und Detailliertheit verfügen, ohne dabei die vom Wissenschaftsrat gewohnte Qualität einzubüßen. Wir wollen keine Schnellschüsse – aber wir müssen nicht alles mit zehn Fußnoten belegen oder für die Ewigkeit gestalten.

Im Wissenschaftsrat sind neben der Wissenschaft auch Bund und Länder vertreten, Konsens zwischen den Beteiligten ist nötig. Ist das zukunftsträchtig?
Diese Einbindung ist einmalig beim Wissenschaftsrat und bleibt enorm wichtig – gerade weil wir in Wissenschaft und Bildung mit vielen Themen an die Bund-Länder-Grenzen prallen. Wir sollten versuchen, diese kritischen Punkte zu finden, wo es mit Entscheidungen nicht weitergeht. Insofern müssen wir auch bei schnelleren Stellungnahmen einen Rahmen finden, der Bund und Länder einbindet.

Dem Wissenschaftsrat wird oft nachgesagt, die gründlich erarbeiteten Gutachten würden umgehend im Schrank verstauben. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Verstauben tun die Sachen nicht, aber sie werden nur in einem ganz feinen Segment wahrgenommen, wenn schon ganz andere Themen vordringlich sind. Wir sind manchmal zu langsam, weil wir einen zu hohen Anspruch an Breite und Tiefe haben. Das haben wir jetzt zum Beispiel bei der Digitalisierung und der Hochschulfinanzierung besser hinbekommen: Die Empfehlungen dazu kommen in mehreren Tranchen, nicht in dem einen Papier, das drei Jahre dauert. Und: Wir müssen die Ergebnisse dann auch besser vermitteln.

Welche Themen wollen Sie vordringlich angehen?
Wie können wir durch frühzeitige Prävention krisenhafte Zuspitzungen vermeiden – das ist nicht nur für die Medizin, sondern für die Wissenschaft insgesamt ein wichtiges Thema. Zweiter Aspekt: Wir müssen unser Wissenschaftssystem attraktiv halten, es attraktiver machen. Da geht es um Personalentwicklung, das klingt langweilig, es ist aber entscheidend. Und die dritte, spannendste Frage: Wie entwickeln wir die Wissenschaft weiter in einer Zeit, in der es kaum Gewissheiten gibt? Es gibt eine Spannung zwischen einer freien, anlasslosen Wissenschaft und dem, was die Gesellschaft in Hinblick auf den Nutzen von Wissenschaft fordert. Da müssen wir einen Weg finden.

Ich halte es für erforderlich, dass sich der Wissenschaftsrat mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz befasst.

Wolfgang Wick

Apropos attraktives Wissenschaftssystem und Personalentwicklung: Der Wissenschaftsrat wurde als Vermittler beim Thema Wissenschaftszeitvertragsgesetz ins Spiel gebracht, um die Konflikte beim Thema faire Karrierewege für junge Forschende aufzulösen. Stehen Sie dafür bereit?
Wir haben wahrgenommen, dass uns zugetraut wird, eine unterstützende Rolle einzunehmen. Das ist wichtig. Ich habe auch dem Ministerium gesagt, dass wir eine solche unterstützende Aufgabe mit einem systemischen Blick übernehmen würden. Ich halte es für erforderlich, dass der Wissenschaftsrat sich in absehbarer Zeit damit befasst.

Was wäre inhaltlich zu erwarten?
Es muss einen klaren Blick auf einige Fragen geben: Wie verbindlich müssen Karrierewege gestaltet werden? Wie bekommen wir eine Differenzierung in den verschiedenen Fächern hin? Eine Postdocphase von maximal vier Jahren muss rechtzeitig Voraussetzungen für verantwortliche Karriereentscheidungen schaffen. Zudem stehen wir zum Statement der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, nach dem für den Weg nach dem Postdoc innerhalb der Academia und jenseits von Drittmittelprojekten nur dann eine erneute Befristung möglich sein soll, wenn sie mit einem Karriereweg verbunden ist, der Ziel, Dauer, Wegmarken, Kriterien und Perspektive auf eine unbefristete Position definiert.

Bei Corona gab es auf einer viel zu dünnen Datenbasis zu viele Statements einzelner Kolleginnen und Kollegen.

Wolfgang Wick

In der Coronapandemie war auch die öffentliche Beratung durch die Wissenschaft gefragt wie nie, einzelne Forscher wie Christian Drosten wurden regelrechte Stars. Andererseits wurden diese teils extrem angefeindet. Was kann die Wissenschaftskommunikation aus der Pandemie lernen?
Folgendes ist wichtig: Die Wissenschaft – wenn ich das so allgemein sagen kann – versucht Fakten zu transportieren. Sie muss dabei geschützt werden vor möglichen gesellschaftlichen Folgen. Es ist nicht die Wissenschaft, die Gesetze macht, sondern dafür ist die Politik zuständig. Der zweite Aspekt: Es wird zu viel und zu schnell geredet und veröffentlicht.

Wie meinen Sie das?
Bei Corona gab es auf einer viel zu dünnen Datenbasis zu viele Statements einzelner Kolleginnen und Kollegen. Die Öffentlichkeit ist diese Art von Zuhören in der Werkhalle des Labors aber nicht gewöhnt, da wird jede Position als Ergebnis eines längeren Experiments wahrgenommen. Dieser Spagat ist vielen nicht gelungen: Spreche ich jetzt als Wissenschaftler, der seine Fachkenntnis erklärt – oder als politisch versierter Bürger, der eher eine politische Stellungnahme abgibt?

Obwohl Wissenschaft in der öffentlichen Debatte immer wichtiger wird, scheint Wissenschaftspolitik genau umgekehrt immer mehr im Schatten anderer Politikbereiche zu stehen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Die Beobachtung teile ich. Das hat sicher mit der Komplexität zu tun und mit dem Bund-Länder-Dualismus in diesem Bereich. Und damit, dass von der Wissenschaft oft sehr kurzfristige Antworten erwartet werden. In Wissenschaft zu investieren bedeutet aber, teilweise weit in die Zukunft zu planen – mit all der Unsicherheit, die damit verbunden ist. Zu akzeptieren, dass sich das möglicherweise nicht in einer überschaubaren Zeit auszahlt, fällt der Politik oft schwer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false