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Yad-Vashem-Ausstellung im Bundestag: Die Aura der Erinnerung

Für eine Ausstellung im Paul-Löbe-Haus sind Objekte aus der Holocaust-Gedenkstätte erstmals nach Deutschland zurückgekehrt. Sie erzählen von Verfolgung, Flucht und Mord.

Die Puppe Inge begleitete ihre Besitzerin Lore Stern, Jahrgang 1937, bei ihrer Flucht von Kassel aus über Portugal in die USA.

© AFP / JULIEN GATHELIER

Nimm das Leben leicht und Deine Pflichten ernst“, hat der Vater 1937 mit schwungvollen Lettern in das Poesiealbum von Lilo Ermann geschrieben. Vielleicht sollte der Satz Optimismus demonstrieren, als das Leben der Familie in Saarbrücken bereits schwer geworden sein muss. Denn die Entrechtung und Verfolgung der jüdischen Deutschen hatte längst begonnen.

Die Ermanns flüchteten 1938 nach Paris, wo ihre Lage mit der Besetzung Frankreichs im Sommer 1940 immer prekärer wurde. Wegen ihrer Arbeitsverpflichtungen als „Nutzjuden“ waren die Eltern zunächst noch geschützt, doch im Frühjahr 1943 wurden Willi, Else und Lilo Ermann nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Das Poesiealbum war in den Besitz von Lilos Großvater Gustav Ermann gelangt, der versteckt in einem Kloster bei Paris überlebte. Der Geschäftsmann, der in Saarbrücken eine Textilfabrik besessen hatte, wanderte nach Israel aus und übergab es an die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Von dort ist die schlichte, schwarz eingebundene Kladde nun erstmals nach Deutschland zurückgekehrt, zusammen mit anderen Alltagsgegenständen für die Ausstellung „Sechzehn Objekte“ im Paul-Löbe-Haus des Bundestags.

Jedes Exponat steht für ein Bundesland und zeigt, dass jede Stadt, jeder Landkreis in Deutschland mit dem Völkermord an den Juden auch einen Teil seiner Identität und Geschichte verloren hat. Yad Vashem, zu dessen Sammlung rund 42000 solcher Artefakte gehören, feiert in diesem Jahr sein 70-jähriges Bestehen. Eröffnet wurde die Ausstellung zwei Tage vor dem Holocaust-Gedenktag, der an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee erinnert.

Was nimmt man mit, wenn man gezwungen wird, seine Heimat zu verlassen, und ahnt, dass man sie nie wiedersehen wird? Lore Stern, die 1937 in Kassel geboren wurde und 1941 mit dem letzten Schiff aus Portugal die USA erreichte, hatte ihre Puppe Inge dabei, ein Geschenk ihrer Großmutter. Später zog sie der Puppe den Schlafanzug an, den sie 1938 in der Nacht des Novemberpogroms trug, in der ihr Vater verhaftet wurde. Dank eines Visums kam der Vater aus dem Konzentrationslager Buchenwald frei.

Ähnlich erging es Max Dreifuss aus Stuttgart, der ebenfalls 1938 in Buchenwald inhaftiert war. Unter der Bedingung, Deutschland zu verlassen, kam er frei. Seine Tochter hatte bei der Flucht nach Amerika ihre Spielzeugküche im Koffer. Dass der zerbrechliche Keramikherd mit den bunt bemalten Töpfen nun unversehrt in einer Vitrine steht, wirkt wie ein Wunder.

Die Ausstellung ist deshalb so bewegend, weil jede dieser Leihgaben aus Yad Vashem eine andere Geschichte von Bedrohung, Ausgrenzung und Vertreibung erzählt. Jedes von Punktstrahlern erleuchtete Objekt entwickelt eine eigene Aura, beigegeben sind ihnen Fotos und biografische Skizzen der einstigen Besitzer. Und hinter jeder Vitrine zeigt ein plakatgroßes Foto eine heutige Ansicht eines Hauses oder Orts, die mit diesen Menschen verbunden waren.

So ist etwa das Berliner Urban-Krankenhaus zu sehen. Als dessen Direktor hatte ab 1926 Hermann Zondek amtiert, der nach dem Ersten Weltkrieg mit seinen Forschungen hohes Ansehen erworben hatte. Zu seinen Patienten gehörte Außenminister Gustav Stresemann.

Im März 1933 wurde Zondek entlassen und von SA-Männern in seinem Büro bedrängt. Er verließ Deutschland noch am selben Tag und entkam über die Schweiz und England nach Israel. Sein Holzstethoskop zeugt von dieser Odyssee.

Dani Dajan, der Leiter von Yad Vashem, hatte wegen des Holocaust geschworen, niemals Deutschland zu betreten. Nun begleitete er die 16 Objekte persönlich nach Berlin begleitet. Fast 80 Jahren nach Kriegsende leben die meisten Zeitzeugen nicht mehr. Darum werden die Dinge immer wichtiger, die die Erinnerung bewahren.

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