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© Markus Brandt/dpa

„All diese schönen Farben müssen nun in den Müll“: Berliner Tätowierer stechen ab jetzt nur noch in Schwarz

Seit Dienstag gilt die neue EU-Verordnung, die Tattoo-Studios und Kunden die Farbe entzieht: Denn etliche bunte Pigmente sind nun verboten. Was sagen Berliner Tätowierer dazu?

Von
  • Lisa Rakowitsch
  • Mascha Malburg

Gianluca Spagnulo ist genervt: „All diese schönen Farben müssen nun in den Müll“, sagt der Tätowierer, und zeigt in eine Tüte mit dutzenden Fläschchen: knallrot, grellgrün, sonnengelb. Keine der bunten Flüssigkeiten darf mehr unter die Haut seiner Kund:innen. Denn seit Dienstag sind EU-weit etliche Chemikalien verboten, die in etwa zwei Drittel aller Tattoofarben vorkommen.

Für Spagnulo und seine Berliner Tätowier-Kolleg:innen bedeutet das zu Anfang des Jahres: Aussortieren – und schnell die wenigen Flaschen mit schwarzer Farbe bestellen, die noch erlaubt sind. Spagnulo scrollt in seinem Kreuzberger Studio durch die Angebote seines Lieblingsshops: „Nur noch drei Marken kann ich hier überhaupt anklicken. Und selbst die sind fast alle ausverkauft”, seufzt er.

Seitdem klar ist, dass etliche Hersteller ihre Farben nicht mehr anbieten dürfen, stürzen sich die Tattoostudios auf die wenigen schwarzen Farben, die noch richtlinienkonform sind.

EU befürchtet Gesundheitsrisiken

Bereits 2020 hat die Europäische Union das Verbot von etwa 4.000 bedenklichen Substanzen beschlossen, die auch in gängigen Tattoofarben vorkommen. Die EU befürchtet langfristige gesundheitliche Schäden für die Tätowierten und begründet die nun geltende Verordnung mit der mangelnden Erforschung der Wirkung der Inhaltsstoffe.

Die Vermutung, dass die Chemikalien Krebs auslösen könnten, ist bislang aber nicht bewiesen. Die Verordnung soll Tätowiermittel in ganz Europa regeln und einheitliche Standards schaffen. Nach einer einjährigen Schonfrist werden 2023 auch die Pigmente Blau 15 und Grün 7 verboten. 

Laut EU-Kommission gab es ausreichend Vorlaufzeit für Betreibende, sich um Alternativen zu den verbotenen Farben zu kümmern. Die Berliner Realität sieht allerdings anders aus: Händler:innen und Studiobetreiber:innen berichten dem Tagesspiegel, dass sie bisher vergeblich auf zugelassene bunte Farben warten. Wie lange es tatsächlich dauert, bis regelkonforme Farbpaletten auf dem Markt vertreten werden, ist ungewiss. 

Berliner Tätowierer sind verärgert

Von den Befürchtungen der EU-Kommission hält Tätowierer Spagnulo aus Kreuzberg nicht viel: „Ich habe bunte Tattoos, seit ich 16 bin und lebe noch”, sagt er und krempelt wie zum Beweis die Ärmel hoch: Dicht an dicht ranken sich Blumen, Sterne und Vögel auf seinen Unterarmen. „Auch meine Kunden machen sich keine Sorgen”, erzählt er. Den Farb-Liebhabern habe er Ende Dezember noch schnell ein paar Flächen gestochen. Die müsse er nun eben mit schwarzen Linien vollenden.

Mehrere hundert Euro hat Tätowierer Spagnulo für die bunten Farben ausgegeben, die er nun nicht mehr verwenden darf. 

© Foto: Mascha Malburg

Auch Teresa Sierra, Inhaberin eines Studios in Mitte, ärgert die neue Verordnung. Sie habe durch die Regelung 60 Prozent ihrer Kund:innen verloren, klagt die Tattoo-Künstlerin, die für einen Großteil ihrer Werke bunte Farbe verwendet. Für ihr kleines Studio sei das Verbot eine „große Katastrophe” seufzt sie – denn auch ihr Kooperationsprojekt mit einem Magazin sei inzwischen abgesagt, da die Tattoos fast alle in Farbe konzipiert waren.

Die Mexikanerin versteht nicht, warum Farbe, die gestern noch gut gewesen sei – und es in ihrem Heimatland noch immer wäre – heute weggeschmissen werden soll. Viele begonnene Farbprojekte an ihren Kund:innen müssen nun erstmal unfertig bleiben. Obwohl diese Menschen die Risiken auf sich nehmen würden, dürfe sie sie nicht weiter tätowieren, ärgert sich Sierra. Die Künstlerin schlägt „eine verpflichtende Einverständniserklärung” aller vor, die sich auf Eigenverantwortung bunt tätowieren lassen wollen.

So lösungsorientiert könnten andere Studios bald wohl nicht mehr in die Zukunft blicken, kommentiert eine andere Inhaberin: Die neue Regelung stürze einige Läden endgültig ins Verderben. Bereits Anfang des Jahres 2021 hatten etliche Tätowierer:innen angesichts der sich verschärfenden Pandemieverordnungen unter dem Hashtag #ihrmachtunsnackt auf ihre Existenzängste verwiesen. Das jetzige Verbot von etlichen Farben bedeutet für viele einen weiteren Schlag in die Magengrube. 

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Daneben gibt es aber auch andere Stimmen in der Berliner Tattoo-Szene: Die Verordnung sei auch Ausdruck dafür, dass ihre Branche nun endlich ernst genommen werde und die Gesundheit der Kund:innen oberste Priorität habe, findet eine Betreiberin aus Friedrichshain, die nicht namentlich genannt werden möchte. 

Am Ende treffe die Regel die Hauptstadt vielleicht gar nicht so gravierend, kommentiert Tätowierer Spagnulo aus Kreuzberg: „Die Berliner lassen sich eh am liebsten schwarz tätowieren“, scherzt er. Die aussortierten Farben möchte er dennoch nicht wegwerfen: „Die nehme ich nach Hause, und vielleicht steche ich mir selbst nochmal eins. Als Italienier mag ich nämlich bunt!“

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