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Insgesamt 3,1 Milliarden Euro warben deutsche Start-ups im ersten Halbjahr 2023 bei risikobereiten Geldgebern ein.

© Tagesspiegel/Katrin.Schuber/Fotos: freepik

Start-ups und ihre Geldgeber: Geben und nehmen

Um zu wachsen, benötigen junge Firmen vor allem eines: Kapital. Helfen können etwa Business Angels, Förderungen aus der öffentlichen Hand oder Wagniskapitalgeber.

Novo, ein 2022 gegründetes Berliner Start-up, das die energetische Erneuerung von Immobilien automatisieren und beschleunigen will, hat sich gerade eine Million von Investoren geholt. 1Komma5°, ein Hamburger Start-up ebenfalls aus der Cleantech-Branche und nach der jüngsten Finanzierungsrunde in der Riege der Einhörner angekommen, sicherte sich dieser Tage einen weiteren achtstelligen Investitionsbetrag. Und Helsing sammelte 209 Millionen ein, mauserte sich damit ebenfalls zum Einhorn. Das Münchener Defense-Startup setzt auf KI im Verteidigungsbereich und will Soldaten und Soldatinnen helfen, Gefechtslagen einzuschätzen.

Insgesamt 3,1 Milliarden Euro warben deutsche Start-ups im ersten Halbjahr 2023 bei risikobereiten Geldgebern ein. Das klingt nach einer dynamischen Finanzierungsszene für Start-ups, doch die Realität sieht anders aus. Denn mit 3,1 Milliarden Euro stellten Risikokapitalgeber in Deutschland 49 Prozent weniger Geld zur Verfügung als im ersten Halbjahr 2022. Die Zahl der Finanzierungsrunden sank von 549 auf 447, geht aus einer Analyse der Beratungsgesellschaft EY hervor.

Ulrike Hinrichs vom Bundesverband Beteiligungskapital.

© Die Hoffotografen

Rund die Hälfte der Gelder kommt dabei aus dem Ausland. „Die Finanzierung von Start-ups ist in Deutschland im Vergleich zu Frankreich und UK ins Hintertreffen geraten“, sagt Ulrike Hinrichs, geschäftsführendes Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Beteiligungskapital, dessen Mitglieder einen erheblichen Anteil der Gelder für Start-ups bereitstellen.

Größere Finanzierungsrunden sind aktuell schwierig

In Frankreich, wo professionelle Investoren Risikokapital steuerlich absetzen können, lagen die Venture-Capital-Investitionen im vergangenen Jahr bei 3,63 Milliarden Euro, in Deutschland, der größeren Volkswirtschaft, waren es nur 3,42 Milliarden Euro. In den USA, sagt Hinrichs, „ist der Venture-Capital-Markt etwa 34 mal größer als in Deutschland“. Vor allem größere Finanzierungsrunden würden in Deutschland derzeit immer schwieriger, klagt auch der Startup-Verband. Deshalb seien gerade die wachstumsstärksten Unternehmen am stärksten betroffen.

Grundsätzlich stehen Start-ups bei der Geldbeschaffung eine ganze Reihe von Wegen offen. Da sind zunächst das Bootstrapping, die Finanzierung aus eigenen Ersparnissen, sowie Hilfen aus Familie und Freundeskreis. Beides ermöglicht Flexibilität und Unabhängigkeit, allerdings sind die Mittel meist sehr begrenzt, der Aufbau des Unternehmens geht eher langsam voran.

Infrage kommen zudem Förderkredite der öffentlichen Hand. Vor allem die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ist hier aktiv. Bis zu 125.000 Euro können Start-ups beispielsweise aus dem „ERP Gründerkredit – Startgeld“ erhalten, gegen gut sechs Prozent Zinsen und auch ohne Eigenkapital. Je nach Start-up bietet sich auch Crowdinvesting zur Finanzierung an.

Inkubatoren und Acceleratoren helfen

Kapital, aber auch Betreuung durch Mentoren, Zugang zu Büroräumen und Netzwerken liefern auch Inkubatoren, die Start-ups vor allem in der frühen Seed-Phase unterstützen, und Acceleratoren, die mit Geld und Expertenwissen das Wachstum beschleunigen wollen. Im Gegenzug müssen die Finanzgeber meist am Unternehmen beteiligt werden.

Das gleiche Prinzip gilt auch für die wichtigsten Geldgeber der Startup-Szene: Venture Capital, also von Investoren ausgestattete Fonds, die sich an erfolgversprechenden, neuen Unternehmen beteiligen und darauf hoffen, nach einigen Jahren mit entsprechendem Gewinn wieder auszusteigen. Allerdings gilt auch hier: Es fehlt derzeit an Geld.

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Gerade die zweite und dritte Finanzierungsrunde, wenn junge innovative Unternehmen voll in die Wachstumsphase gingen und oft auch größere Summen benötigten, sei schwierig, sagt Ulrike Hinrichs. Das „Tal des Todes“ nennen deutsche Start-ups diese Unternehmensphase häufig. Bei zweistelligen Millionenbeträgen werde es inzwischen bereits schwierig. Die Politik könne hier mehr tun, um mehr Wagniskapital in den Markt zu locken, fordert Hinrichs, etwa steuerliche Anreize schaffen.

 12.000
Business Angels gibt es in Deutschland. Das sind private Financiers oder Unternehmer, die Start-ups mit kleineren Summen unter die Arme greifen.

Die Gründer selbst sehen nicht fehlendes Fachpersonal oder Konkurrenten als größte Hürde bei der Verwirklichung ihrer Ideen, sondern fehlendes Wagniskapital. An Ideen mangelt es nicht, das zeigt die Patentstatistik, bei der Deutschland mit zwei Anmeldungen pro 1000 Einwohner sogar deutlich vor den USA liegt.

Gefragt sind gute Nerven und Geduld

Um eine Idee erfolgreich an den Markt zu bringen, braucht es jedoch Geld. Wer mit einem Business Plan, einem Finanzplan und dem „Pitch-Deck“, einer kurzen Vorstellung der Geschäftsidee, bei einem Venture-Capital-Geldgeber oder auf einem Branchenevent vorstellig wird, braucht gute Nerven und Geduld: Auf 1000 Anfragen komme eine Zusage, sagt Hinrichs.

Die meisten VC-Fonds haben 20 und mehr Unternehmen im Portfolio. Kapitalgeber Early Bird Ventures mit Sitz in Berlin etwa hat bereits kurz nach der Gründung in Fraugster investiert, ein deutsch-israelisches Unternehmen aus der Hauptstadt, das eine Software zur Verhinderung von Betrug im Handel entwickelt hat und auch vertreibt. Unter dem Motto „Tomorrow belongs to the daring“ transferiert Early Bird etwa 500.000 bis zehn Millionen Euro in ein Start-up.

Die Finanzierung von Start-ups ist in Deutschland im Vergleich zu Frankreich und UK ins Hintertreffen geraten.

Ulrike Hinrichs, geschäftsführendes Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Beteiligungskapital

Aktuell steckt auch Geld in Eleqtron, einem Siegener Jungunternehmen, das einen deutschen Quantencomputer entwickeln will, oder in „Conny“, einem Berliner Start-up, das bei der juristischen Durchsetzung von Verbraucherrechten hilft.

1Komma5° wiederum wird unter anderem vom US-Fonds G2 Venture Partners und dem französischen Beteiligungsunternehmen Eurazeo finanziert. An Bord ist auch Porsche Ventures – der Investment-Risikoarm des Sportwagenbauers, wie ihn auch andere Unternehmen und Staaten haben, etwa Qatar oder die Arabischen Emirate.

Business Angels helfen mit kleineren Summen

Wichtiger Finanzierungspartner mit Beraterfunktion für Start-ups sind zudem die rund 12.000 Business Angels, also private Financiers oder Unternehmer, die Start-ups mit kleineren Summen unter die Arme greifen. Katja Ruhnke etwa, Unternehmerin aus dem bayerischen Unterschleißheim und gerade zum Business Angel des Jahres gewählt, ist erst 2019 in die Finanzierung junger Unternehmen eingestiegen.

Katja Ruhnke ist CEO der CK Venture Capital GmbH.

© privat

Auf einem Startup-Event habe sie gesehen, „wie viele fantastische Ideen es gebe, denen nur das Geld zur Umsetzung fehlt“, berichtet Ruhnke. Inzwischen habe sie mit ihrer Schwester Conny Hörl in 18 Start-ups investiert und halte an ihnen auch einen kleinen Anteil von unter zehn Prozent. Die Menge der Direktbeteiligungen senke ihr unternehmerisches Risiko, doch fünf bis zehn Jahre dauere es, bis ein Verkauf mit Rendite möglich sei.

Beteiligt haben sich die Business Angels beispielsweise an einem Projekt, das den Frauensport verändern soll: mit 180 anderen Investoren will man versuchen, den Frauenfußball zu fördern und den FC Viktoria Berlin in die erste Bundesliga zu führen.

Wichtig ist auch der Impact

Geld gab es auch für Carbonwave, die das klimawandelbedingte Wachstum von Braunalgen sinnvoll nutzen wollen oder für Skyseed, die mit Drohnen und KI eine sinnvolle Aufforstung von Wäldern anbieten. Wichtig ist Ruhnke dabei auch, dass sie mit ihrem Geld einen Impact bewirkt, der schneller und effektiver zum Tragen kommt. Im Regelfall liegen die Zuwendungen von Business Angels jedoch nicht über 50.000 bis 80.000 Euro.

Große Hoffnungen setzt die Branche auch auf die jüngsten Anschubaktivitäten der Bundesregierung. So wurde gerade das Zukunftsfinanzierungsgesetz auf den Weg gebracht. Es soll jungen Unternehmen den Zugang zu den Kapitalmärkten und die Beteiligung von Mitarbeitern am wirtschaftlichen Erfolg erleichtern.

Mit Finanzierungen zwischen einer und 125 Millionen Euro wiederum will der Zukunftsfonds der Bundesregierung Start-ups unter die Arme greifen. Insgesamt will der Fonds bis 2030 zehn Milliarden Euro zur Förderung der Branche bereitstellen. Voraussetzung ist ein privater Investor, der zur Hälfte an einer Finanzierung beteiligt ist.

Die staatlichen Wagniskapitaltöpfe, deren Verteilung die KfW übernimmt, sollen vor allem die Lücke zwischen der Anfangsfinanzierung eines Start-ups und den normalen Bankkrediten als etabliertes Unternehmen schließen.

Das Geld ist dringend nötig, denn trotz der dramatisch gesunkenen Risikogelder gehen immer mehr Start-ups an den Start: zwischen Januar und Juni 2023 wurden in Deutschland 16 Prozent mehr Start-ups gegründet als im Halbjahr zuvor. In Berlin sogar 40 Prozent mehr.

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