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Im Film „Wolf of Wall Street“ wirft die Hauptfigur Jordan Belfort, gespielt von Leonardo Dicaprio, buchstäblich mit Geld um sich.

© imago images/Mary Evans

Wenige Gewinner, viele Verlierer: Risikokapital schadet dem Wirtschaftsstandort Berlin

Mit viel Geld fördern große Investoren die Start-ups der Hauptstadt. Das führe zu Ungleichheit und Marktverzerrung, kritisiert unser Gastautor.

Ein Gastbeitrag von Sebastian Klein

Privilegierte Männer geben anderen privilegierten Männern Geld – mit dem Ziel, dass am Ende beide noch mehr Geld haben. Das ist – grob gesagt – die Logik von Venture-Capital, also Risikokapital. Die Verlierer dabei sind diejenigen, die wirklich arbeiten: Es entstehen gut bezahlte Jobs für Privilegierte und schlecht bezahlte mit prekären Arbeitsbedingungen für jene, die sich aufs Fahrrad setzen oder an die Packstraße stellen.

Von den rund zehn Milliarden Euro, die jährlich in deutsche Start-ups investiert werden, gehen rund fünf Milliarden nach Berlin. Das führt zu mehr Ungleichheit, und zwar in vielerlei Hinsicht: Firmen, die Millionen von Investoren bekommen, stehen im Wettbewerb mit Unternehmen, die deutlich weniger Kapital zur Verfügung haben. Sie treiben die Gehälter für hoch qualifizierte Fachkräfte nach oben, verteuern die Gewerbemieten und übernehmen mit aggressiver Werbung den öffentlichen Raum.

Berlin könnte es ergehen wie San Francisco

Venture Capital ist voll darauf ausgelegt, einige wenige Gewinner – und entsprechend viele Verlierer zu produzieren. Die klare Hierarchisierung zwischen Geldgebern, Gründern, gut bezahlten Fachkräften und all denen, die als austauschbar gelten, führt zu einer Umverteilung von unten nach oben.

Die Suche nach Geldgebern ist für die meisten Start-ups überlebenswichtig. Doch Investoren agieren nicht uneigennützig.

© Getty Images

Wie schnell dieses toxische System eine Stadt auffressen kann, zeigt sich in San Francisco, das Berlin ein paar Jahrzehnte voraus ist: Dort können Künstler, Kreative und Normalsterbliche sich das Leben längst nicht mehr leisten. Mit der zunehmenden Zahl an Vermögenden auf der einen und Obdachlosen auf der anderen Seite ist Berlin auf dem besten Weg, ein zweites San Francisco zu werden.

Die klare Hierarchisierung zwischen Geldgebern, Gründern, gut bezahlten Fachkräften und all denen, die als austauschbar gelten, führt zu einer Umverteilung von unten nach oben. 

Sebastian Klein, Unternehmer und Aktivist

Zalando, inzwischen einer von Berlins größten Arbeitgebern, sammelte bereits vor dem Börsengang fast 500 Millionen Euro ein. Das Unternehmen ist bekannt dafür, am oberen Ende der Hierarchie sehr gut und am unteren Ende sehr schlecht zu bezahlen: Laut dem Bewertungsportal Kununu verdienen Logistiker:innen bei Zalando geringfügig mehr als den Mindestlohn. Gleichzeitig bezahlte das Unternehmen seinen Vorständen absurd hohe Jahresboni, in einem Fall waren es 89 Millionen Euro.

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Milliarden Euro werden jährlich in Berliner Start-ups investiert.

Der Lieferdienst Gorillas sammelte innerhalb weniger Jahre satte 1,2 Milliarden Euro ein. Das Versprechen, den Späti zur Haustür zu bringen, wurde von schlecht bezahlten Zusteller:innen eingelöst, deren Arbeitsrechte das Unternehmen systematisch unterwanderte. Streikenden Mitarbeitern wurde gekündigt.

2021 protestierten Beschäftigte des Lieferdienstes Gorillas in Berlin gegen schlechte Arbeitsbedingungen.

© Monika Skolimowska / dpa

Weitere Beispiele für üppig finanzierte Unternehmen in Berlin sind der Platzhirsch im Essensliefer-Game Delivery Hero (fast 10 Milliarden Euro), HelloFresh (über 300 Millionen Euro), die portionsweise Essen zum selber Kochen nach Hause schicken, GetYourGuide (über 800 Millionen Euro) vermittelt touristische Angebote, Trade Republic (1,2 Milliarden Euro) ist ein Online-Broker für Wertpapiere und Kryptowährungen, oder N26 (1,5 Milliarden Euro), die berüchtigte Onlinebank, deren Gründer mit allen Mitteln versuchten, einen Betriebsrat zu verhindern und die ansonsten vor allem mit Mängeln bei der Geldwäscheprävention und Terrorismusfinanzierung Schlagzeilen machen, weshalb die Bafin schon seit 2021 Auflagen gegen sie verhängt hat.

Lösungen, die niemand wirklich braucht

Nun könnte man sagen: Ist doch gut für den Wirtschaftsstandort Berlin, dass viel Geld in solche innovativen Angebote fließt. Doch von echter Innovation kann hier keine Rede sein. Die Managerin Marie-Luise Wolff beschreibt in ihrem Buch „Die Anbetung“, dass diese Unternehmen keine neuen Probleme lösen.

Eine bereits vorhandene Lösung wie Essen bestellen, Mode kaufen oder Banking wird lediglich ein bisschen bequemer oder günstiger gemacht. All diese Gründungen sind lediglich Convenience, also Bequemlichkeitsangebote. Gemessen an den großen Problemen unserer Zeit absolut verzichtbar.

Das Tragische dran: Es gibt heute mehr privates Kapital und mehr qualifizierte Arbeitskraft als jemals zuvor. Und wir stehen gleichzeitig vor großen Problemen: Erderwärmung, Wohnraumkrise, steigende Ungleichheit und Zerfall der Demokratien, um nur einige zu nennen.

Wäre es nicht wünschenswert, dass all das vorhandene Potenzial, all das Geld und all die Arbeitskraft, verwendet werden, um die großen Probleme unserer Zeit zu lösen? Stattdessen kriegen wir Fast-Food und Fast-Fashion bis zur Haustür.

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