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Die Sprecher:innen des touristischen Bürger:innenbeirats, Erik Hattke und Sonja Wilke

© Joana Nietfeld

„Wir sind kein Meckerverein”: Bürgerbeirat will Tourismusstrategie für Berlin mitbestimmen

Viele Menschen sollen nach Berlin kommen und ihr Geld hier lassen – ohne dass die Anwohner genervt sind. Ein neues Gremium will Lösungen erarbeiten.

Als Sonja Wilke das erste Mal auffällt, dass sich in Berlin etwas verändert, steht sie auf der Schlesischen Brücke vor der Aral-Tankstelle und blickt auf den Club der Visionäre. 2012 muss das gewesen sein, sagt sie. Da sieht sie plötzlich eine Menschentraube vorm Club, eine Schlange, wo vorher nie eine gewesen ist. Seitdem denkt sie darüber nach, wie das zusammengeht: dass Menschen nach Berlin kommen und das genießen, was die Stadt verspricht – Freiheit –, und dass diese trotz des großen Andrangs nicht kaputtgeht.

An einem Freitagnachmittag im Januar betrachten Sonja Wilke, 51, und Eric Hattke, 31, das Brandenburger Tor. Um sie herum scharen sich hauptsächlich Menschen, die nicht in Berlin wohnen. Die hier nur für wenige Nächte sind, im Hotel oder Airbnb schlafen und die Hauptstadt kennenlernen wollen. Einer trägt einen I-love-Berlin-Jutebeutel, ein anderer isst eine Currywurst und wieder andere fotografieren sich mit Selfie-Sticks.

Wilke und Hattke sind die neuen Sprecher des touristischen Bürger:innenbeirats. Einem Gremium, das eingerichtet wurde, damit die Berlinerinnen und Berliner die Tourismusstrategie ihrer Stadt mitbestimmen können. Der Beirat besteht aus 24 Bürgerinnen und Bürgern. Jeweils zwei von ihnen stammen aus einem Bezirk, den sie auch vertreten.

Sie alle haben sich mit einem Motivationsschreiben für diese Aufgabe beworben. Etwa 150 Bewerbungen sollen laut Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe eingegangen sein. Von denen haben die Bezirke dann ihre jeweiligen zwei Mitglieder durch ein Losverfahren oder eine Jury ausgewählt. Alle Beirätinnen und Beiräte, die laut Wirtschaftsverwaltung als „Schnittstelle zwischen Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft fungieren“, sind ehrenamtlich tätig.

Warum machen die Mitglieder das ehrenamtlich?

Sonja Wilke zum Beispiel baut in ihrem sonstigen Leben Camper-Vans um und vermietet sie über die Onlineplattform „PaulCamper”. Zudem hat sie vor Kurzem ihren Abschluss als Betriebswirt für Tourismus gemacht. Eric Hattke ist stellvertretender Pressesprecher der IHK. Wilke wohnt seit 20 Jahren in Berlin. Hattke seit einem. Davor arbeitete er in Dresden.

Die meisten sind dabei, weil sie die Zukunft von Berlin mitgestalten wollen.

Erik Hattke

Auch die anderen Mitglieder, so erzählen es Wilke und Hattke, sind ziemlich unterschiedlich. Die Jüngste sei 20 Jahre alt, der Älteste 70. Auch ihre Motivation, sich für die Stadt zu engagieren, ohne Geld dafür zu bekommen, variiere. „Die meisten sind dabei, weil sie die Zukunft von Berlin mitgestalten wollen“, sagt Hattke.

Und das nicht, weil sie Touristinnen und Touristen per se blöd fänden. Das ist Wilke und Hattke bei dem Treffen vor dem Brandenburger Tor wichtig zu betonen. „Wir sind kein Meckerverein“, sagt Wilke. Im Gegenteil: Allen sei bewusst, wie essenziell Gäste von außerhalb für die Berliner Wirtschaft seien. Die Frage sei bloß, wie man ihren Aufenthalt möglichst stadtverträglich und nachhaltig gestalten könne. So, dass alle zufrieden seien: die Gäste, die Anwohnerinnen und die, die mit den Touristen ihr Geld verdienen.

Wie erreichen die Forderungen die Politik?

Bei dem letzten Treffen des Beirats Anfang Januar seien deshalb vier Themenbereiche identifiziert worden, zu denen künftig in Kleingruppen gearbeitet werden soll, berichten Hattke und Wilke. Die touristische Attraktivität der Berliner Außenbezirke, der Erhalt der Clubkultur, der touristische Verkehr und der innerstädtische Tourismus der Berlinerinnen und Berliner gehören dazu.

Für Absprachen und Beschlüsse treffen sich die Beirätinnen und Beiräte viermal im Jahr in kompletter Besetzung. Wie die Vorschläge, Wünsche und Forderungen dann künftig auch die Adressaten, also Politiker und Unternehmerinnen, erreiche, werde derzeit gemeinschaftlich erarbeitet, sagt Hattke.

Aber er ist optimistisch, dass sich die betreffenden Akteure für die Meinungen ihres Bürgerbeirats interessieren. Immerhin geht das Konzept für ihr Gremium aus dem Tourismuskonzept 2018+ hervor und wird zudem vom Wirtschaftssenat und der Tourismusmarketingagentur visitBerlin gefördert.

Zudem plant der Beirat die sogenannten Bürger:innenforen. Die sind zweimal im Jahr als öffentliche Veranstaltungen geplant, die reihum in den verschiedenen Bezirken stattfinden. Das erste Forum findet am 31. Januar ab 19 Uhr im Palais in der Kulturbrauerei (Prenzlauer Berg, Bezirk Pankow) statt. „Die Veranstaltung ist sehr wichtig für uns”, sagt Wilke, „weil bei der die Probleme, Sorgen und Wünsche der Bürgerinnen und Bürger an uns herangetragen werden sollen.“

Und genau die seien es, die sie dann in ihrem Gremium besprechen und weitergeben wollten. Für eine Podiumsdiskussion in der Kulturbrauerei hätten sich zudem unter anderem die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann und Staatssekretär Michael Biel angemeldet.

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