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Das Ehepaar Salvaggio im Pirandello.

© Bao-My Nguyen

Alteingesessene Trattoria muss schließen: Kieznachbarschaft setzt klares Zeichen gegen Verdrängung

Nach 19 Jahren muss die Trattoria „Pirandello“ schließen. Das will die Nachbarschaft nicht tatenlos hinnehmen und organisiert eine Solidaritätsaktion für das Inhaberehepaar.

Von Bao-My Nguyen

Ein drohendes Aus lässt die Anwohner*innen der Manfred-von-Richthofen-Straße in Neu-Tempelhof enger zusammenrücken. Dabei geht es allen um mehr als die Erhaltung der Trattoria – die Nachbar*innen fürchten, dass der Fall den Anfang der Verdrängung aus dem Kiez markiert.

2003 eröffnete Rosalba Taormina Salvaggio das Pirandello, damals das erste italienische Lokal samt Eisdiele in der Straße. Zusammen mit ihrem Mann Girolamo Salvaggio baute sie den Laden aus (und eigenhändig einen Pizzaofen ein), renovierte, verkaufte währenddessen laufend Pizza, Pasta und Eis. Nun wurde dem Ehepaar gekündigt. Der Grund soll dabei eine fünf Tage zu spät überwiesene Miete sein, gibt Rosalba an. Der Mietrückstand wurde zu spät überwiesen – das nahm die Hausverwaltung ihrer Meinung nach zum Anlass, dem Ehepaar fristlos zu kündigen. Sie bot den Salvaggios einen neuen Mietvertrag mit dem dreifachen Betrag der bisherigen Miete an. Eine Summe, die für die Salvaggios vor das Aus stellt.

Die Nachbarschaft stellt Solidaritätsaktion auf die Beine

„Pirandello soll bleiben! Gegen Mietenwillkür! Für einen lebendigen Kiez!“ prangt auf den Flyern und Plakaten, die die Mitorganisatorinnen Birte Senges und Stefanie Klug zusammen mit anderen Nachbar*innen drucken und verteilen. Sie erfuhren von der Schließung vor zwei Wochen, als sie nach dem Sport sich im Pirandello trafen. „Wir waren total schockiert“, sagt Senges, als Girolamo ihnen die Schließung mitteilte, „da sind sogar Gäste von draußen reingekommen, die geweint hätten, als sie das mitbekommen haben.“

Die anstehende Schließung hatte Rosalba lange verheimlicht: „Welchen Sinn hätte es, den Gästen das zu sagen?“ Als ihr Anwalt ihr schließlich mitteilte, dass ihre Anfechtungen fruchtlos bleiben, machte sie das Aus öffentlich. „Ich war oft beim Eigentümer betteln“, berichtet Rosalba, „das ist auf Dauer entwürdigend.“ Statt innerhalb von 15 Tagen auszuziehen, darf ihr Laden nun bis Ende August bleiben.

Ich bin so gerührt, dass sie das auf die Beine gestellt haben. Mir kommen immer noch die Tränen.

Inhaberin Rosalba Taormina Salvaggio

Mittagsbetrieb beim Pirandello. Man duzt sich, klopft Girolamo auf die Schultern, plauscht eine Weile mit Rosalba, die mit einem Nachbarskind zusammen isst. In den nahezu zwanzig Jahren ist das für sie weit mehr als nur Kundenservice: „Der Laden ist wie ein Ansprechpartner, wissen Sie. Ich habe die Kinder kennengelernt, da waren sie noch im Bauch ihrer Mutter. Jetzt machen sie Abitur. Ich kenne fast jedes Kind noch beim Namen.“

Die Situation bereitet ihr Bauchschmerzen: „Da bekomme ich keine Lust mehr zu backen, und das mache ich eigentlich sehr gerne.“ Ihr gehe es nicht ums Geldverdienen, auch wenn es ihr wichtig sei, selbstständig zu sein. „Es ist wie eine Familie hier. Die Eltern rufen mal an, dass sie ihre Kinder bei uns lassen und dort wieder abholen. Die Nachbarn lassen ihre Schlüssel da.“

Benachbarte Gewerbetreibende fürchten erste Welle der Verdrängung

Dass das Pirandello eine Institution ist, können Senges und Klug bestätigen. Für sie ist es nicht nur eine emotionale Angelegenheit als Anwohnerinnen. Sie sind beide auch Gewerbetreibende: Klugs Bioladen „Grünschnabel“ liegt direkt neben der Trattoria, Senges Café „Bolinas“ befindet sich die Straße runter. „Es ist eine gemischte Nachbarschaft hier, die Menschen sind hier seit zig Jahren“, stellt Klug heraus. Nun fürchten sie die Verdrängung durch hohe Mieten und damit Leerstände in der Straße: „Das macht Innenstädte kaputt.“

Senges ergänzt: „Wie kann man so viel erwirtschaften, um solche Mieten überhaupt zu zahlen?“ Der Einzelhandel habe Probleme durch die Coronapandemie. Auch dem Paar Salvaggio stellte sie vor viele Herausforderungen. „Ich danke dem Herrgott, dass ich mich in Coronazeiten mit den Stammgästen über Wasser halten konnte“, sagt Rosalba. Doch schließlich waren die Kosten höher als die Einnahmen. Rosalbas Stimme wird belegt und sie blinzelt heftig, wenn sie über die Nachbarschaft spricht. „Ich bin so gerührt, dass sie das auf die Beine gestellt haben. Mir kommen immer noch die Tränen.“

Bei einer telefonischen Nachfrage hält sich die Hausverwaltung bedeckt. Jegliche Auskünfte würden gegen den Datenschutz verstoßen, begründet die Geschäftsführerin. Den Kündigungsanlass dürfe sie nicht nennen, es gebe aber triftige Gründe, warum der Vertrag nicht verlängert worden sei. Sie bezeichnet die Darstellung des italienischen Ehepaars als „Lüge“, die sie notfalls mit einer Verleumdungsklage unterbinden werde.

Die Nachbarschaftsaktion berührt das nicht. Eine Schließung wollen Senges und Klug nicht hinnehmen und mehr Aufmerksamkeit auf den Fall lenken. Sie gründeten eine WhatsApp Gruppe mit anderen Anwohner*innen, um die Solidaritätsaktion zu organisieren. Bisher kam grandioses Feedback zur Aktion zurück, berichtet Senges: „Viele fragen nach den Flyern, um sie Bekannten weiterzugeben oder an den Eingängen ihrer Häuser zu hängen.“ Bisher sind beide Mitinitiatorinnen auf keine gegenteilige Meinung gestoßen, zumindest verbal. Die Aushänge werden zwar hin und wieder abgerissen, aber das hält keine der beiden davon ab: „Wir machen weiter.“

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