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Maryna Baranovska wurde in Kiew geboren und studierte an der Universität der Künste in Berlin. Das Atelier unter ihrer Wohnung mietet sie seit 20 Jahren.

© valeria mitelman

Verdrängung in Berlin-Kreuzberg: „Ich muss von vorn anfangen“

Eine ukrainische Künstlerin muss ihr angemietetes Atelier am Südstern nach 15 Jahren verlassen. Der Vermieter hat Neues vor.

Maryna Baranovska hatte in ihrem Atelier nahe dem Kreuzberger Südstern alles, was sie braucht: 120 Quadratmeter Raum, Ruhe, Licht. Doch jetzt soll sie nach 15 Jahren raus – zu Ende Juli wurde der Künstlerin aus der Ukraine vom Eigentümer gekündigt.

Noch hängen oder lehnen ihre großflächigen Malereien hintereinander an den Wänden. Auf manchen sind Strukturen zu sehen, die an Buchrücken erinnern und auch Bäume tauchen immer wieder auf.

Ein Großteil ihres künstlerischen Schaffens der letzten 20 Jahre – also seit sie in Berlin lebt – befindet sich in ihrem Atelier. Baranovska hat an der Universität der Künste studiert und in Berlin, Paris, Kiew und São João ausgestellt. Ihre Vita zählt insgesamt 30 Einzel- und Gruppenausstellungen auf.

Bis Ende Juli muss alles raus aus dem mehr als 100 Quadratmeter großen Atelier.

© Corinna von Bodisco

Viel Zeit hat sie nicht, um die etwa 100 Kunstwerke zu sortieren und wegzubringen. Im April erhielt sie von der Hausverwaltung die Kündigung für die Gewerberäume. Als Grund wird „die Entwicklung des Hauses“ angegeben.

Vermieter will den Gewerberaum „revitalisieren“

Bevollmächtigt wurde die Hausverwaltung von der Vermieterin JaVa HAS52 GmbH & Co. KG. Der Name der Kommanditgesellschaft lässt erkennen, dass extra für das Haus eine Gesellschaft gegründet wurde. Unterzeichnet ist die Vollmacht von Peyvand Jafari, Geschäftsführer der Java Vermögensverwaltung GmbH, die mit anderen Immobilienunternehmen unter der gleichen Adresse gemeldet sind. Die Firmen sitzen steuerbegünstigt in Zossen.

2021 wurde das Wohnhaus Hasenheide 52/53, ein Haus mit 24 Wohnungen und zwei Gewerbeeinheiten, von der JaVa HAS52 GmbH & Co. KG gekauft. Auf eine Anfrage des Tagesspiegels, welche Pläne es für das Atelier gebe, antwortete Peyvand Jafari, dass die „in die Jahre gekommene und aktuell gemäß Mietvertrag als Lager genutzte Mietfläche revitalisiert“ werden solle. Antworten ließ Jafari über die PREIG AG, Projektentwickler für Wohn- und Gewerbeimmobilien. Jafari hält dort den Vorstandsvorsitz.

Zur Kündigung des Mietverhältnisses mit Baranovska teilt er mit: „Wir haben das Mietverhältnis für den Lagerraum in der Hasenheide 52/53 zum Juli 2023 fristgerecht gekündigt. Dazu standen wir auch in Kontakt mit der Künstlerin und haben ihr die Situation erläutert sowie frühzeitig und weit länger als die Kündigungsfrist vorsieht entsprechend kommuniziert.“ Für die Wohnungsmieter:innen ändere sich an den bestehenden Vertragsverhältnissen nichts.

Mein Lager in Kiew, in meiner ukrainischen Heimat, ist mir aufgrund des Krieges nicht zugänglich, beziehungsweise deshalb ungeeignet.

Maryna Baranovska, Künstlerin in Kreuzberg

Für die Künstlerin ändert sich allerdings etwas. Sie muss ihr Atelier aufgeben. Zumindest könne sie mit ihrem Sohn weiter in ihrer Wohnung, die sich über dem Atelier befindet, wohnen. Baranovska hatte nach der Kündigung der Gewerberäume um ein persönliches Gespräch gebeten. Sie wollte wissen, ob nach der Modernisierung die Möglichkeit bestehe, die Räume alleine oder mit anderen Künstler:innen zusammen neu anzumieten. „Doch das interessierte nicht“, sagt sie.

Die Kündigung käme für die 40-Jährige auch wegen des Ukrainekrieges „zur Unzeit und auch überraschend“ schrieb sie dem Vermieter. Ihre Familie wohne noch in Kiew. Überraschend, weil der Eigentümer 2021 noch versichert habe, dass die Mieter:innen keine Befürchtungen bezüglich des Bestandes der Mietverhältnisse hegen müssten. Was ihre Werke betrifft, schrieb sie: „Mein Lager in Kiew, in meiner ukrainischen Heimat, ist mir aufgrund des Krieges nicht zugänglich, beziehungsweise deshalb ungeeignet.“

Temporäre Räume sind gefunden

Vor zwei Wochen war da ein kleiner Hoffnungsschimmer. Der Künstlerin wurden kurzfristig zwei temporäre Räume in Oberschöneweide und in Kreuzberg für die Lagerung zur Verfügung gestellt: vom Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) und vom Frauenzentrum Schokofabrik in der Mariannenstraße. In letzterem will Baranovska Frauentreffen organisieren, um dem Zentrum etwas zurückzugeben. Alles in allem seien die Räumung und der Umzug ihres Ateliers für die alleinerziehende Mutter allerdings sehr viel Aufwand.

Baranovska vergleicht die Situation mit einem Naturereignis: „Es kommt ein Sturm und macht dich kaputt. Ich kann es nicht ändern und muss von vorn anfangen“, sagt sie. Doch sie sei eine Kämpferin. Eigentlich würde sie gern den Eigentümer direkt treffen und ihm in die Augen schauen. Doch bisher kommunizierte er nur über die Hausverwaltung.

„Es ist eine Aussortierung von Menschen, die nicht so viel Geld haben wie andere“, sagt Baranovska. Kunst werde nicht mehr wertgeschätzt.


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