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Der City Treff versorgt Odachlose und andere Bedürftige.

© Berliner Stadtmission/STEPHAN PRAMME

City Station der Berliner Stadtmission: Bei vielen Bedürftigen spielt die Scham eine große Rolle

Die City Station versorgt Obdachlose und andere Bedürftige mit warmem Essen und Kleidung. Hier ist das langsame Abgleiten vieler Betroffener in die soziale Not gut zu sehen.

Christian Behnert hat den Platz am Fenster gewählt, den Tisch, an dem er allein seine Bohnensuppe mit Kartoffeln löffeln kann. Es ist 14 Uhr, auf dem Gehweg, den er durchs Fenster sieht, liegt Laub. Ein wenig nur noch, den Rest hat Behnert schon um 9 Uhr zur Seite gefegt. Da hatte die City Station, in der der 37-Jährige langsam isst, noch geschlossen. Behnert fegt im Herbst regelmäßig.

Im Treff, an einer langgezogenen Theke, blickt Anna-Sofie Gerth zu Christian Behnert und sagt: „Er macht das aus Dankbarkeit, das sieht man.“ Seine Form von Dank dafür, dass er jede Woche von Dienstag bis Samstag hier mit warmem Essen versorgt wird.

In der City Station gibt es wertvolle Phasen der Ruhe

Eine kurze Phase der Ruhe, wertvolle Momente für jemanden, der seit zwei Jahren obdachlos ist und im Baumhaus eines Spielplatzes übernachtet.

Hier in der City Station, in einer Seitenstraße des Berliner Ku’damms, sieht man aber auch das langsame Abgleiten von immer mehr Menschen in die soziale Not.

13.948
Gäste zählte die City Station im vergangenen Jahr.

Die Räume sind seit vielen Jahren Anlaufstelle für obdach-, wohnungslose und arme Menschen. Sie erhalten hier Essen, neue Kleider, können duschen und zur Ruhe kommen. „Aber so viele Gäste wie jetzt hatten wir noch nie“, sagt die Sozialarbeiterin Gerth, die Leiterin der City Station. „2021 hatten wir 13.102 Gäste und 15.707 Essens- und Kaffeeausgaben. 2022 waren es 13.948 Gäste und 16.508 Essen- und Kaffeeausgaben.“

2023 wird es wieder mehr Essen und Gäste geben als 2022 und 2021

Für 2023 hat sie noch keine Zahlen, aber sie weiß ganz sicher, dass die Zahlen wieder steigen werden.

Die Gäste sprechen oft osteuropäische Sprachen, sind meist zwischen 35 und 50 Jahre alt oder ab 70 Jahren aufwärts. Die Älteren, das sind oft die Menschen, die eine Wohnung haben und trotzdem auf die City Station angewiesen sind.

Anna-Sofie Gerth leitet die City Station.

© Tagesspiegel/Frank Bachner

Nur die Zahl der Sozialarbeiter, die ist gleich geblieben: vier. „Wir arbeiten immer am Limit. Diese Arbeit ist total krass“, sagt Anna-Sofie Gerth. Zur Arbeit gehören auch Sozialberatung, Hilfe bei Behördenfragen, Bereitschaft zum Anhören von Problemen. Immerhin haben sie in der City Station noch ein paar Ehrenamtler.

Vor einem Jahr tauchten pro Monat zwei Menschen auf, die noch nie da waren. Jetzt sind es zwei in der Woche. Menschen, die durchgerechnet haben, dass es billiger ist, hier 50 Cent für Spaghetti mit Tomatensoße zu bezahlen als zu Hause den Herd anzumachen.

Die Scham bei vielen Gästen ist spürbar

Sie treten anders auf als die Obdachlosen, die zielgerichtet zu einem der 28 Plätze an den Essenstischen drängen. Die Scham ist spürbar. Sie wird mit ein paar Tricks mühsam kaschiert. Diese Menschen tauchen zum Beispiel mit einer Tafel Schokolade auf. Eine Spende, sagen sie.

Wir arbeiten immer am Limit. Diese Arbeit ist total krass.

Anna-Sofie Gerth, Leiterin der City Station

Aber auch ein Vorwand. „Sie sagen dann: ,Wenn ich schon da bin, kann ich ja etwas essen’“, berichtet Anna-Sofie Gerth. „Aber sie sehen sich immer noch in der Rolle des Spenders.“ Oder sie sagen, als hätten sie es beiläufig erfahren: „Oh heute gibt es Bohnensuppe, da bleibe ich.“ Sätze diktiert vom Selbstwertgefühl.

Manche fragen auch, ob das Essen etwas kostet oder ob man die eigene Bedürftigkeit nachweisen müsse. Muss man nicht, das Essen kostet 50 Cent, der Kaffee auch. Wenn jemand nicht mal diese Minisumme hat, erhält er Essen und Kaffee kostenlos.

Manche haben so viel Hunger, dass sie gleich zwei Portionen essen

130 Essen kommen täglich aus der Küche, 120 Menschen essen täglich von 14 bis 18.30 Uhr. „Manche haben ja so einen Hunger, dass sie zwei Portionen nehmen“, sagt Anna-Sofie Gerth. Jeder hat 90 Minuten Zeit.

Auch geistlicher Beistand ist gesichert. Jeden Freitag um 17 Uhr gibt es Gottesdienst, gehalten von Anna-Sofie Gerth, sie ist auch Diakonin. „Die Gottesdienste sind voll“, sagt sie. Die Stadtmission ist Teil der evangelischen Kirche. An einer Wand hängt ein großes Kreuz, auf einer Tafel steht: „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand.“

Manchmal fallen die Menschen im Treff sogar weich. „Wenn wir für jemanden eine feste Unterkunft finden, ist das ein Erfolg“, sagt die Diakonin. In diesem Jahr haben sie das 20 Mal geschafft.

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