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© Doris Spiekermann-Klaas

Das Lampenfieber bleibt: Ein früherer „Cats“-Star will ins Berliner Abgeordnetenhaus

Als Musical-Star bekam Dunja Wolff Jubel. Nun will sich die SPD-Verordnete aus Treptow-Köpenick ins Landesparlament wählen lassen. Und für ihre große Liebe kämpfen.

In der „freiheit fünfzehn“ an der Müggelspree in Berlin-Köpenick herrscht Stille. Nur zwei Hirsch-Skulpturen in Gold und Silber, die über den Biergarten wachen, deuten darauf hin, dass dieser Ort vor der Pandemie Schauplatz zahlreicher Kulturfeste war. „Jetzt steht alles leer“, sagt Dunja Wolff, SPD-Verordnete der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Treptow-Köpenick. „Dabei hat unser Bezirk so viel zu bieten.“ In der BVV ist Wolff zwar für Schulen und Umwelt zuständig, doch Kunst und Kultur sind ihr Leben.

Wolffs Werdegang ist für eine politische Karriere ungewöhnlich. Unter ihrem Mädchennamen Dunja Siehl war Wolff mal ein Musical-Star. In „Cats“ spielte sie 1989 in Hamburg die Weiße Katze – ihre bisher bekannteste Rolle. Das Musical zählt zu den erfolgreichsten Shows aller Zeiten.

Es folgten zahlreiche weitere Engagements in Deutschland und Österreich. Und die Krönung ihrer damaligen Laufbahn: Sie übernahm die künstlerische Leitung für Produktionen am Theater Colosseum in Essen und dem Capitol in Düsseldorf. Später begleitete sie andere Stars hinter der Bühne, darunter Howard Carpendale und Jennifer Rush.

Das Katzenkostüm hat sie bis heute aufbewahrt

Wenn die jetzt 58-Jährige von dieser Zeit, diesem Leben erzählt, klingt es leicht und glamourös. Wie sie als „Kind vom Dorf“ – sie stammt aus Brunsbüttel in Schleswig-Holstein – anfangs nicht wusste, wie man sich bewarb und einfach auf gut Glück überall vortanzte; wie sie im „Cats“-Musical auf der Bühne einmal den Text vergaß und stattdessen ein ausgedehntes La-la-la sang. Das Katzenkostüm, in dem sie 630 Vorstellungen gab, hat sie bis heute aufbewahrt. „Ich habe diese für mich sehr erfolgreiche Zeit geliebt“, sagt Wolff. „Ich kann sagen, ich habe nichts versäumt.“

Und dann gibt es die andere Seite, die nur zum Vorschein kommt, wenn Wolff noch tiefer in die Erinnerung eintaucht. Dass sie schon bei ihrem ersten Job im NDR-Fernsehballett durch die Luft gewirbelt wurde und sich die Rippen brach, als sie gefangen wurde. Wie sie, weil es der erste Job war, trotz kaum auszuhaltender Schmerzen erst nach dem Training zum Arzt ging. Wie die Anleiterin bei einer Tanzprobe einen langen Stock dabeihatte, mit dem falsche Bewegungen bestraft wurden. Dass Aids grassierte und Wolff elf Kollegen an die Krankheit verlor. „Einer von ihnen kämpfte, den Auftritt bis zum Schluss durchzuhalten.“ Er starb kurz darauf.

Ich kann sagen, ich habe nichts versäumt.

Dunja Wolff

Wolff hat das alles nicht vergessen. Deshalb liegt ihr auch als Politikerin die Zukunft des Theaters am Herzen. „Die jetzige Pandemie ist für die Tänzer schlimmer als damals“, findet sie – „weil ein Auftrittsverbot besteht und die harte Arbeit nicht den Lohn des Applauses erhalten kann.“ Damals hatte es vielen geholfen, trotz ihrer Krankheit weiterzumachen. „Die darstellende Kunst jeglicher Bühne braucht Publikum und Wertschätzung.“

Die Diskussion als Antwort auf die Aktion #allesdichtmachen findet Wolff unglücklich gelaufen: Die Kritik, die den Schauspielern entgegenschlug, fiel ihrer Meinung nach zu heftig aus. „Dass bei den Corona-Regeln einiges schiefgelaufen ist, steht außer Frage.“ Sie könne deshalb verstehen, dass die Schauspieler das kritisieren wollten, wenngleich das leider in einem teils unangemessenen Ton geschehen sei. Was sie dabei schlimmer finde, sei die weitere Spaltung.

In „Cats“ spielte Dunja Wolff 1989 in Hamburg die Weiße Katze – ihre bisher bekannteste Rolle.
In „Cats“ spielte Dunja Wolff 1989 in Hamburg die Weiße Katze – ihre bisher bekannteste Rolle.

© Doris Spiekermann-Klaas

Auch von Jugendlichen höre sie des Öfteren, dass so, wie die Gesellschaft zurzeit ticke, es sich für sie wenig nach „echter Demokratie“ anfühle. Wolff hat eine Tochter und einen Sohn – Zwillinge im Alter von 19 Jahren. Sie seien ihre wichtigsten Kritiker. „Ich lerne auch von ihnen“, sagt sie. „Vor schwierigen Gesprächen anderswo fürchte ich mich vielleicht auch deshalb nicht.“

Wie sehr hat ihre Bühnenerfahrung sie geprägt? „Bei einem Leitungsjob hat mir eine Kollegin mal gesagt, Dunja, lass bitte den Ehrgeiz, den du für dich selbst hast, nicht an uns aus.“ Wolff schaut für einen Augenblick nach unten auf ihre Hände. „Diesen Satz habe ich nie vergessen.“ Seitdem lasse sie bewusst los. Kämpfen ja, aber nicht als Selbstzweck.

Deshalb hat Wolff auch irgendwann den Beruf gewechselt und für Freunde einige Jahre im Süden Spaniens mehrere Kleidungsgeschäfte geführt. „Eigentlich wollte ich dort nur Urlaub machen.“ Sie hatte gemerkt, dass sie mit dem Druck nicht mehr klarkam. „Das Lampenfieber wurde für mich immer schlimmer.“ Was viele Menschen über den Beruf der freischaffenden Künstler:in, gerade an privaten Theatern, nicht wüssten: dass man sich nie angekommen fühle. „Im Gegenteil, wir werden immerzu geprüft.“ Um das nächste Engagement zu bekommen, müssten sie vorsingen, vortanzen, sich immer wieder messen lassen.

Das Lampenfieber wurde für mich immer schlimmer.

Dunja Wolff

Wolff will sich in diesem Jahr ins Berliner Abgeordnetenhaus wählen lassen. Sollte sie es schaffen, will sie sich für mehr dauerhafte öffentliche Förderung in Kunst und Kultur einsetzen. „Ich befürchte, dass dieses Anliegen in den sonstigen Pandemie-Ausgaben untergeht.“ Aber warum ist sie in der BVV nicht schon im Kulturausschuss? Wolff lacht auf: „Erwischt“, sagt sie. Als sie vor viereinhalb Jahren gewählt wurde, habe sie erst mal begreifen wollen, wie Politik funktioniere. „Ich war damals noch nicht dafür bereit.“

Lange wollte Wolff nicht in die Politik gehen

Und ist sie es jetzt? Sie bejaht. „Inzwischen habe ich als Künstlerin genug gesunden Abstand gewonnen.“ Trotzdem: Bei allen Initiativen, die Kulturschaffenden in der Pandemie helfen sollten, wie etwa der „Alarmstufe Rot“, vermisse sie aufseiten der Entscheider:innen die Stimmen jener Menschen, die sich auf dem Gebiet auch in der Praxis gut auskannten. „Eigene Erfahrung bringt fast keiner in den Gremien mit.“

Dabei wollte Wolff lange nicht in die Politik gehen. Sie habe von sich gedacht, sie sei dafür „zu dumm“. Angefangen habe es, wie sie es auch von vielen ihrer früheren Jobs erzählt, durch Zufall. Sie hatte mitbekommen, dass an der Grundschule ihrer Kinder, der Schmöckwitzer Insel-Schule, zu wenig Lehrkräfte unterrichteten. „Das wollte ich nicht hinnehmen.“

Also fing sie an, Briefe zu schreiben – an alle, die auch nur entfernt etwas damit zu tun hatten. „Ich habe mich aus dem Fenster gelehnt und behauptet, ich kenne alle möglichen Leute.“ Sie kam damit durch. Die damals kleinste Schule Berlins durfte zusätzliche Lehrer einstellen. „Das war das erste Mal, dass ich gemerkt habe, man selbst kann tatsächlich etwas ändern.“

Ein wenig vom Leben auf der Bühne ist Dunja Wolff auch in der Politik geblieben. „Mir wird oft gesagt, dass es so locker aussieht, wenn ich das Wort ergreife“, sagt sie. „In Wahrheit kostet es mich immer Überwindung.“ Das Lampenfieber hat sie nie ganz verlassen.

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