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Matthias Hillmann betreibt die Familienbäckerei zusammen mit seiner Schwester jetzt in der dritten Generation. 

© Boris Buchholz

Schluss mit Lohn und Brot: Nach 91 Jahren steht die Berliner Familienbäckerei Hillmann vor dem Aus

Fehlendes Personal, weniger Umsatz, steigende Preise: Zum Jahresende schließt die Traditionsbäckerei aus Lichterfelde. Der Chef erklärt, wie es dazu kam.

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Es war das Jahr 1931: Georg Hillmann senior übernahm am Hindenburgdamm eine kleine Bäckerei – und setzte den Grundstein für das Familienunternehmen Hillmann. 91 Jahre später steht die Bäckerei Hillmann vor dem Aus. „Aus wirtschaftlichen Gründen müssen wir zum Jahresende 2022 (vielleicht auch früher) unsere Handwerksbäckerei schließen“, so steht es auf den Aufstellern und Aushängen an den vier verbliebenen Hillmann-Geschäften.

„Das größte aller Probleme ist die Personalknappheit“, sagt Matthias Hillmann beim Besuch des Tagesspiegels in der Firmenzentrale am Hindenburgdamm. Er führt seit 2006 zusammen mit seiner Schwester Claudia die Geschäfte der Innungsbäckerei. „Wir brauchen nicht nur Verkaufspersonal, wir haben vier Abteilungen“, erklärt er. „Da ist der Verkauf, wir brauchen Bäcker, wir haben eine Konditorei und wir haben den Versand – uns geht das Personal aus.“

Weil die Ware teilweise bereits um 4 Uhr fertig sein müsse, fingen seine Beschäftigten in der Backstube teilweise bereits um 24 Uhr mit der Arbeit an. „Leute, die auf ihren Nachtschlaf verzichten, kriegst du kaum noch“, sagt Firmenchef.

Erst sorgte die Pandemie, dann eine Baustelle für Einbußen

Das zweite Problem sind die seit einigen Jahren zu niedrigen Umsätze – und der daraus resultierende Investitionsstau. Sowohl in das Firmengebäude als auch in die Backstube müsste viel Geld investiert werden. „Wir haben überdimensionierte Öfen, einen zu hohen Stromverbrauch, einen zu hohen Gasverbrauch, viele Geräte müssten modernisiert werden“, erklärt der Bäcker.

In der Pandemie sei der Umsatz zurückgegangen, dann sei im Dezember 2021 auch noch für sechs Monate vor dem Hauptgeschäft der Hindenburgdamm von den Berliner Wasserbetrieben aufgerissen worden. „In der Zeit haben uns 100.000 Euro im Hauptgeschäft an Umsatz gefehlt.“ Eine Konsequenz daraus: Nach 34 Jahren wurde die Filiale am Rüdesheimer Platz geschlossen.

Und dann kamen die steigenden Rohstoff- und Lebensmittelpreise, auch das Personal brauchte mehr Lohn. Im Juni 2022 hätten sie einen Kredit über 90.000 Euro aufgenommen – in normalen Zeiten hätte das Geld für anderthalb Jahre gereicht, ist Matthias Hillmann überzeugt. „Aber jetzt reichte es nur für zwei Monate.“

Er liebt das Backen: Vielleicht gründet Matthias Hillmann, 55, auch eine neue Bäckerei – sie werde dann aber sehr viel kleiner sein, sagt er.

© Boris Buchholz

Um Geld zu sparen und weil zu wenig Personal vorhanden war, machten einige Filialen nur noch halbtags auf, montags bleiben alle Hillmann-Bäckereien geschlossen. Während so immer weniger Umsatz in die Kasse kam, bleiben die Kosten für Miete und Gehalt bestehen. „In der Summe ist das halt einfach nicht mehr zu verkraften.“

In ihren besten Zeiten hatte die Bäckerei aus Lichterfelde über 100 Angestellte; jetzt sind es noch 34. Und dieses Personal ist begehrt. „Mehrmals täglich rufen andere Bäckereien an und fragen nach unseren Mitarbeitern“, selbst die BVG habe sich gemeldet.

Mehrmals täglich rufen andere Bäckereien an und fragen nach unseren Mitarbeitern.

Matthias Hillmann

Bis September gehörten insgesamt fünf Geschäfte zur Bäckerei Hillmann; dann habe man den Laden im Schweizer Viertel in der Glarner Straße 55 an die Bäckerei Wiedemann verkaufen können. Klaus Wiedemann habe auch das Personal übernommen, sagt Matthias Hillmann. Er ist froh über den Verkauf; die Zusammenarbeit mit der Bäckerei Wiedemann sei freundschaftlich und konstruktiv – kein Wunder: Klaus Wiedemann hat in der Bäckerei Hillmann seine Ausbildung gemacht.

Zum Jahresende, vielleicht auch früher: Mit Aushängen und Aufstellern werden die Kundinnen und Kunden über die kommende Schließung informiert.

© Boris Buchholz

„Wir hoffen, dass wir die anderen Geschäfte zum Jahresende schließen können“, sagt Matthias Hillmann. Die Zukunft seines Personals sei abgesichert, auch die drei Auszubildenden könnten in anderen Betrieben ihre Lehre weitermachen.

Nachdem die Kundschaft von der drohenden Schließung erfahren hat und auch die Medien berichteten, steige der Umsatz aktuell wieder an. „Da musste erst zumachen, um so etwas zu erleben“, sagt Matthias Hillmann.

Eine Rettungsidee war, wieder zu schrumpfen

Der Firmenchef gibt auch zu, dass sie Managementfehler gemacht hätten. Die Filiale im Untergeschoss des Boulevards Berlin sei zwar schön, aber ein reines Zuschussgeschäft gewesen – die Lage habe nicht gestimmt. Erst 2022 – nach einer Schließung von fast zwei Jahren – konnte sie abgewickelt werden.

Das Hauptgeschäft mit der Backstube am Hindenburgdamm.

© Boris Buchholz

Auch hätte man schon vor Jahren schrumpfen sollen. „Wir haben in den letzten drei, vier Jahren nach einer Strategie gesucht, wie man den Betrieb in kleinerer Form hätte weiterführen können.“ Aber bereits vor fünf, sechs Jahren hätten die Personalsorgen angefangen, die Abwärtsspirale hatte bereits begonnen.

Der 55-Jährige ist sichtlich ausgepowert; die Probleme und Sorgen nagen an ihm. Er und seine Schwester arbeiten sieben Tage die Woche; er sei mit seiner Kniearthrose vierten Grades, „da steht irgendwann eine Operation an“, zudem Berufsinvalide. Freizeit? Dazu komme er nicht.

Mein Herz schlägt für ein gutes Holzofenbrot.

Matthias Hillmann

Ihr Vater, Georg Hillmann, ist 87 Jahre alt – er komme jeden Morgen zwischen 8 und 9 Uhr in das Hauptgeschäft, um zu helfen. Natürlich sei es zum einen schwierig für seinen Vater, dass das Familienunternehmen in der dritten Generation jetzt schließen müsse. Doch auf der anderen Seite wünsche sein Vater seinen Kindern, dass sie „möglichst gut und nicht komplett verschuldet hier herauskommen“. Matthias Hillmann ist bei allem Druck und Stress sicher, dass das gelingen wird.

Sorgen, dass es künftig im Berliner Südwesten nur noch Aufbackläden, er nennt sie „Bräunungsstudios“, und keine frisch gebackenen Brötchen geben würde, hat er nicht. Handwerksbäckereien werde es immer geben; nur sollte das Angebot nicht so groß sein wie aktuell bei der Bäckerei Hillmann. Das sei zu personalintensiv und teuer. „Eine moderne Bäckerei hat ein viel kleineres Sortiment“, man müsse sich auf etwas spezialisieren – eine Option, die er auch für sich in Betracht zieht.

Denn das Ende der Backerei müsse die Firmenaufgabe für ihn nicht bedeuten, meint Matthias Hillmann. Und jetzt lachen seine Augen, die Stimme klingt frischer. „Mein Herz schlägt für ein gutes Holzofenbrot“, sagt er, er liebe die französische Backkunst. Er könne sich sehr gut vorstellen, irgendwann einmal wieder eine spezialisierte Bäckerei mit einem kleinen Café zu betreiben. Doch das sei Zukunftsmusik: „Ich brauche jetzt erst einmal Zeit für mich, um zur Ruhe zu kommen.“

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