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Seit Oktober wird gegen einen Kommissariatsleiter des LKAs ermittelt, weil er hunderte Fälle liegen gelassen hatte.

© Kitty Kleist-Heinrich TSP

Exklusiv

Körperverletzungen, Übergriffe, Volksverhetzung: Welche rechten Delikte beim Berliner Staatsschutz unbearbeitet blieben

Beim Landeskriminalamt wurden 387 Fälle rechtsextremer Taten seit 2020 nicht bearbeitet. Neue Aussagen des Senats zeigen: Die Fälle waren nicht nur Kleinkram.

Die Liste ist lang: Dutzende Vorwürfe der Volksverhetzung, des Verwendens von Symbolen verfassungsfeindlicher oder terroristischer Organisationen, der Sachbeschädigung. Aber auch Beleidigungen, gefährliche Körperverletzungen und andere Übergriffe zählen zu den mindestens 387 rechten Delikten, die bei einem Kommissariat des Staatsschutzes im Berliner Landeskriminalamt jahrelang unbearbeitet blieben.

Wie berichtet, wird aktuell gegen den früheren Kommissariatsleiter und einen Sachbearbeiter wegen des Vorwurfs der Strafvereitelung im Amt ermittelt. Der betroffene Kommisariatsleiter war nach Tagesspiegel-Recherchen zuvor in leitender Position mit den Ermittlungen im Mordfall Burak Bektaş befasst: Der 21-Jährige war 2012 in Neukölln erschossen worden, der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt.

Die Details gehen aus zwei bislang unveröffentlichten Antworten des Senats auf Anfragen der Linken-Abgeordneten Niklas Schrader und Ferat Koçak sowie des Grünen-Abgeordneten Ario Mirzaie hervor, die dem Tagesspiegel vorliegen. Demnach wurden 153 der mindestens 387 Fälle bereits digital erfasst. 82 dieser 153 Fälle wurden demnach bereits geklärt: Das bedeutet, dass Tatverdächtige ermittelt wurden. Ein Fall stammt aus dem Jahr 2018, die übrigen aus den Jahren 2020 bis 2023.

Alle Fälle sollen mittlerweile bearbeitet worden seien

Laut Senat ist das betroffene Dezernat 533 für Ermittlungen im Bereich rechter Kriminalität zuständig, die keinen organisierten Tätergruppen zugeschrieben werden. Dazu zählen auch Straftaten etwa gegen Geflüchtete und Obdachlose, denen eine rechte Ideologie zugrunde liegt.

Alle Akten wurden demnach mittlerweile bearbeitet und der Staatsanwaltschaft übergeben. Über 80 Verfahren wurden von der Staatsanwaltschaft demnach eingestellt – teils, weil die Verdächtigen wegen anderer gravierender Straftaten bereits angeklagt waren, teils wegen Schuldunfähigkeit oder weil kein Verdächtiger ermittelt werden konnte.

Die betroffenen Fälle sind weder in quantitativer noch qualitativer Hinsicht Kleinkram.

Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion

„Die betroffenen Fälle sind weder in quantitativer noch qualitativer Hinsicht Kleinkram“, kommentierte der Fragesteller Niklas Schrader. Er erwarte von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) „eine Entschuldigung an die Opfer dieser Straftaten angesichts dieser haarsträubenden Zustände beim Staatsschutz. Stattdessen vernehmen wir dröhnendes Schweigen. Dabei betont sie doch sonst immer, dass es in der Stadt keine rechtsfreien Räume geben darf“, so Schrader weiter.

Durchaus Fragen wirft auch das Bekanntwerden des Aktenskandals auf: So wurde der Vorfall im Landeskriminalamt am 17. Oktober einen Tag nach einem routinemäßigen Wechsel in der Leitung des betroffenen Kommissariats entdeckt. Dieser informierte die Polizeipräsidentin Barbara Slowik aber erst über einen Monat später, am 21. November.

Es stellt sich die Frage, ob hier die Aufklärung der Missstände verschleppt wurde.

Ario Mirzaie, Sprecher für Strategien gegen Rechts der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus

Der Senat erfuhr – offenbar parallel zu ersten Medienberichten – am 23. November von den Vorgängen. In einer Antwort begründet der Senat die Verzögerungen damit, dass der neue Kommissariatsleiter sich erst einen Überblick um das Ausmaß der vernachlässigten Akten habe machen wollen.

„Es ist schwer zu glauben, dass Polizeiführung und Innensenatorin erst einen Monat nach Beginn der Ermittlungen gegen die Beamten vom Aktenskandal beim LKA erfahren haben“, kommentierte der Grünen-Abgeordente Ario Mirzaie. Er wirft dem Senat eine „Salamitaktik“ vor, die auf mangelnden Aufklärungswillen hindeute. „Es stellt sich die Frage, ob hier die Aufklärung der Missstände verschleppt wurde. Es ist ein Unding, dass wir als Abgeordnete erst aus der Presse von den unbearbeiteten Fällen bei der Polizei erfahren haben“, so Mirzaie weiter.

Auch in anderen Dezernaten bleiben Akten liegen

Der Fall der fast 400 unbearbeiteten Fälle wirft ein Schlaglicht auf die Arbeit des Staatsschutzes im Berliner Landeskriminalamtes. Allerdings ist der Vorgang womöglich kein Einzelfall: Eine Tagesspiegel-Abfrage bei der Polizei ergab, dass auch in den anderen Dezernaten des Staatsschutzes regelmäßig Akten liegen bleiben.

Aktuell seien im Dezernat LKA 52, das für linksextreme Straftaten und jene der sogenannten „Ausländischen Ideologien“, ohne Islamismus, zuständig ist, 2438 Vorgänge mit sogenannten Liegevermerken versehen. Das bedeutet, dass Abgabefristen für die Vorgänge nicht eingehalten wurden. Davon entfällt die große Mehrheit auf den Bereich linker Straftaten. Allerdings bedeute ein Liegevermerk nicht unbedingt, dass ein Vorgang nicht bearbeitet wurde: Oft seien sie auf Verzögerungen zurückzuführen, weil etwa Ergebnisse abgewartet werden müssten oder Zeugen nicht erreichbar seien.

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