zum Hauptinhalt
Nach der Todesfahrt vom 8. Juni 2022 an der Tauentzienstraße legten Menschen Blumen und Kerzen an einem Ampelmast nieder – in Trauer um die getötete Lehrerin und zahlreiche Verletzte.

© dpa/Paul Zinken

Lehrerin starb am Berliner Ku’damm: Prozess nach tödlicher Amokfahrt beginnt

Im Juni 2022 rast ein Autofahrer auf den Gehweg von Berlins bekanntester Einkaufsstraße, mitten in flanierende Passanten. Eine Frau stirbt, viele Menschen werden verletzt. Nun kommt der Fall vor Gericht.

Binnen weniger Sekunden wird der Bereich zwischen Berliner Gedächtniskirche und Luxuskaufhaus KaDeWe Schauplatz einer schrecklichen Szenerie: Ein silberfarbener Kleinwagen rast auf den Gehweg mitten in arglose Passanten hinein. Erst im Schaufenster einer Parfümerie kommt der Wagen zum Stehen. Viele Opfer gehören zu einer Schulklasse aus Bad Arolsen in Nordhessen. Fast auf den Tag genau acht Monate später beginnt nun am Dienstag vor dem Landgericht Berlin der Prozess gegen den mutmaßlichen Todesfahrer.

„Mit dem Prozessauftakt kommen die Ereignisse nicht nur bei der Schulgemeinde, sondern auch bei den Menschen in Bad Arolsen und im gesamten Landkreis wieder hoch“, sagt Jürgen van der Horst, Landrat des Landkreises Waldeck-Frankenberg, zu dem Bad Arolsen gehört. „Die schrecklichen Ereignisse haben die Menschen hier schwer erschüttert. Es besteht daher auch weiterhin die Möglichkeit, durch die bestehenden Angebote Unterstützung zu bekommen.“

Die Berliner Staatsanwaltschaft wirft dem 29-Jährigen unter anderem vollendeten „Heimtückemord“ sowie 16-fachen Mordversuch vor. Der Deutsch-Armenier soll am 8. Juni 2022 mit einem Auto auf dem Kurfürstendamm und der Tauentzienstraße mit Absicht in Fußgängergruppen gefahren sein. Er habe auch tödliche Verletzungen für möglich gehalten und verursachen wollen, so der Vorwurf.

Ein Gutachten legt die Schuldunfähigkeit des Mannes nahe

Die Opfer – das ist vor allem die Schülergruppe aus Hessen. Die 51 Jahre alte Lehrerin kam ums Leben. Ein Kollege sowie elf Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse wurden verletzt, manche lebensgefährlich. Auch eine 14-Jährige, die an jenem sonnigen Tag in Berlin zu Besuch war, gehörte zu den Betroffenen.

Der Beschuldigte ist seitdem in einem Krankenhaus des Maßregelvollzugs untergebracht. Ein vorläufiges psychiatrisches Gutachten legt laut Staatsanwaltschaft die Schuldunfähigkeit des 29-Jährigen nahe. Die Behörde strebt in einem sogenannten Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, sollte sich im Prozess bewahrheiten, dass er zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war. Es sei sonst zu befürchten, dass er ohne Behandlung weitere gefährliche Taten begehen werde.

Für Verteidiger Mark Höfler steht außer Frage, dass sein Mandant am Tattag schuldunfähig war. Er sei schon als junger Mann erkrankt und finde keinen Zugang zu dem tragischen Geschehen an jenem Juni-Tag. „Ihm und seiner Familie ist es aber ein Anliegen zu verdeutlichen, wie leid ihnen dieses schreckliche Ereignis tut“, betonte Höfler.

Elf Opfer sind als Nebenkläger beteiligt

Im Prozess gehe es nun auch darum, die Opfer möglichst zu schonen. „Es soll ihnen, soweit das geht, eine Aussage vor Gericht erspart werden“, sagte der Verteidiger. „Das wird voraussichtlich kein streitiges Verfahren“, betonte Höfler. Zu klären seien eher rechtliche Fragen – etwa, ob die Taten überhaupt als Mord zu bewerten seien, wie es die Staatsanwaltschaft getan habe.

Elf Opfer sind bislang laut Gericht auch als Nebenkläger beteiligt. Für den ersten Verhandlungstag habe die zuständige 22. Strafkammer jedoch noch keine Zeugen geladen, sagte eine Sprecherin.

Neben den Verletzten meldeten sich aber auch Passanten oder Helfer als Betroffene bei den Behörden. Der Zentralen Anlaufstelle sind 142 Betroffene aus 8 verschiedenen Bundesländern sowie aus 2 anderen EU-Staaten und den USA bekannt, wie die Senatsjustizverwaltung mitteilte. Dort ist die Stelle angesiedelt, die das Hilfsangebot für Verletzte, Ersthelfende oder Augenzeugen koordiniert.

Die Anlaufstelle war nach dem islamistischen Anschlag 2016 am Breitscheidplatz mit 13 Toten und etwa 70 Verletzten entstanden. Nur wenige Meter von dem Platz, wo der Attentäter damals einen Lkw in den Weihnachtsmarkt gesteuert hatte, mussten nun Polizei und Feuerwehr erneut gemeinsam helfen.

Die Schüler sprachen über das Breitscheidplatz-Attentat, als der Fahrer auf sie zusteuerte

Über den Anschlag hatte die Klasse der Bad Arolser Kaulbach-Schule gerade gesprochen, als an jenem 8. Juni von hinten das Auto mit überhöhter Geschwindigkeit auf die Gruppe zusteuerte. Mehrere Opfer gerieten auf die Motorhaube und wurden mitgerissen. Der Mann am Steuer fuhr laut Ermittlungen ungebremst weiter auf einen Imbiss zu. Drei weitere Menschen wurde verletzt, darunter eine schwangere Frau.

Die Schülerinnen und Schüler aus Hessen haben zwischenzeitlich ihren Abschluss gemacht und die Schule verlassen. Sie, ihre Eltern und die Schule seien aber in einer Chatgruppe weiterhin miteinander vernetzt, teilte eine Sprecherin des Landkreises Waldeck-Frankenberg mit. Um die schrecklichen Ereignisse verarbeiten zu können, habe es in der Schulgemeinde viele Gespräche, Austausche, psychologische Betreuung und gemeinsame Gedenk-Möglichkeiten gegeben. (dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false