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Politisch hängen aktuell viele Wolken über dem Molkenmarkt.

© Imago/Dirk Sattler

Molkenmarkt ohne Siegerentwurf: Berlins Senatsbaudirektorin überrumpelte Jury mit neuem Vorgehen

Statt eines Siegers gibt es für den Molkenmarkt nur „Empfehlungen“. Im Gremium kommt es zu Auseinandersetzungen. Die Senatsverwaltung verteidigt die Baudirektorin.

Zwei Jahre Arbeit – und dann kein Ergebnis? Der Schreck bei den Beteiligten war groß, als nach der ganztägigen Jurysitzung am Dienstag kein Entwurf gewann – obwohl eigentlich einer von zwei städtebaulichen Entwürfen für das neue Quartier am Molkenmarkt ausgewählt werden sollte.

Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt behauptete, es sei nie der Plan gewesen, einen einzigen Siegerentwurf zu küren. Als Ergebnis produzierte die Jury dann lediglich „Empfehlungen“, die nun in eine Charta Molkenmarkt einfließen sollen, in der sowohl die Grundlagen zum weiteren Vorgehen wie auch ein Gestaltungshandbuch enthalten sein sollen. Wie konnte es zu so einem Ergebnis der Jurysitzung kommen?

Überrumpelungsstrategie gegenüber der Jury

Offenbar hat Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt eine Überrumplungsstrategie gegenüber den Jurymitgliedern angewandt. Wie der Bürgervertreter im Werkstattverfahren, Matthias Grünzig, an die stadtentwicklungspolitischen Sprecher der Fraktionen (alle außer AfD) im Abgeordnetenhaus schreibt, war die Entscheidung, in der finalen Jurysitzung keinen klaren Sieger zu küren, keine Entscheidung des Preisgerichts.

Es hatte nie eine Abstimmung des Preisgerichts über das weitere Vorgehen stattgefunden.

Matthias Grünzig, Bürgervertreter im Werkstattverfahren Molkenmarkt

„Es hatte nie eine Abstimmung des Preisgerichts über das weitere Vorgehen stattgefunden. Vielmehr wurde diese Entscheidung zu Beginn der Preisgerichtssitzung am 13. September von der Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt mitgeteilt. Die Senatsbaudirektorin hat mehrfach erklärt, dass diese Nicht-Entscheidung schon im Auslobungstext vorgesehen gewesen wäre. Doch diese Aussage ist falsch.” Die Mitteilung Günzigs an die Fraktionen liegt dem Tagesspiegel vor.

Auf Tagesspiegel-Nachfrage bestätigte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, dass es keine Abstimmung zum Vorgehen gegeben habe: „Nein, es gab keine Abstimmung. Die Jury arbeitete auf Basis der Auslobung, die genau dieses Vorgehen vorsah.“ Auf Seite neun des Auslobungstextes steht allerdings: „Zum Abschluss des Werkstattverfahrens tritt das Preisgericht erneut zusammen und berät über die Empfehlung eines der beiden Entwürfe als Grundlage einer Charta für die Entwicklung am Molkenmarkt.”

Verunsicherung in der Jury

Nach Tagesspiegel-Informationen soll die Juryvorsitzende Christa Reicher in Kahlfeldts Strategie wohl eingeweiht gewesen und habe von Beginn der Sitzung an so getan, als sei es klar gewesen, dass kein Sieger in der Sitzung benannt werden sollte. Alle anderen Teilnehmenden seien überrumpelt gewesen von der Information, schließlich seien sie darauf eingestellt gewesen, dass sie sich vor allem zu fachlichen Fragen hätten äußern sollen. Statt Kritik an der Entscheidung habe es Nachfragen gegeben, wie es nun weitergehen soll.

Die Jurymitglieder seien durchweg verunsichert gewesen wegen der Selbstverständlichkeit, mit der Kahlfeldt und Reicher ihre Linie durchgehalten hätten. Diese Verwunderung und Verunsicherung in der Jury wurde dem Tagesspiegel von mehreren Seiten bestätigt. Eine Abstimmung darüber, welcher Entwurf für eine weitere Umsetzung geeigneter wäre, habe es nicht gegeben. In den Wortbeiträgen der Jurymitglieder sei jedoch eine deutliche Tendenz zum Entwurf von OS arktiekter/Czyborra Klingbeil vernehmbar gewesen.

Im Laufe der Sitzung sei es allerdings zu stärkeren Auseinandersetzungen gekommen, als es um die Ausformulierung der konkreten Empfehlungen für die Charta Molkenmarkt ging. Kahlfeldt soll alle Versuche, eine bezahlbare und ökologische Ausrichtung präzise festzuschreiben, abgeblockt haben.

Frau Kahlfeldt zu unterstellen, sie würde einen Prozess torpedieren, weil ihr die Ergebnisse nicht gefallen, entbehrt jeder Grundlage und ist von Seiten der Kritiker infam.

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung

Auf Anfrage dementierte die Stadtentwicklungsverwaltung diese Darstellung: „Frau Kahlfeldt zu unterstellen, sie würde einen Prozess torpedieren, weil ihr die Ergebnisse nicht gefallen, entbehrt jeder Grundlage und ist von Seiten der Kritiker infam. Frau Kahlfeldt versucht, das Beste für den Ort und die Stadt zu erreichen. Das sind bezahlbare Wohnungen, klimaresilienter Städtebau, zeitgemäße Freiräume, zukunftssichere Energiekonzepte etc.“

Berichtet wurde dem Tagesspiegel außerdem, dass auch der Entwurf des Teams von Albers/Malcovati, für den sie sich als Fachpreisrichterin im November noch stark gemacht habe, ihr nun nach der Überarbeitung und stärkeren Anpassung an die Leitlinien nicht mehr gepasst habe: Er sähe nach Vorstadt aus, nicht nach Altstadt.

Allem Anschein nach will die Senatsbaudirektion die weiteren Planungen für die Charta Molkenmarkt nun in Eigenregie durchführen. Auf Nachfrage dementierte die Senatsverwaltung diese Vermutung nicht. In der Pressekonferenz am Mittwochvormittag kündigte Kahlfeldt an, bis Jahresende solle in der Senatsverwaltung der erste, operative Teil der Charta erarbeitet werden, der anschließend dem Abgeordnetenhaus zur Kenntnis gegeben werde. Im kommenden Jahr werde dann das Gestaltungshandbuch entstehen. Die Hochbauwettbewerbe würden Ende 2023/24 angestoßen.

Mitschnitt dokumentiert frühere Kahlfeldt-Aussage

Die Linie der Senatsbaudirektion, zu verleugnen, dass jemals von der Wahl eines einzigen Siegers die Rede gewesen sei, wird sich wohl nicht durchhalten lassen. Ein auf Youtube einsehbarer Mitschnitt des Zwischenkolloquiums dokumentiert, wie Petra Kahlfeldt selbst sagt, dass aus der letzten Jurysitzung ein einziges prämiertes Konzept hervorgehen solle: „Die abschließende Jurysitzung soll im Juli 2022 stattfinden. Im Ergebnis soll dann eben ein Konzept ausgewählt werden, das den wirklich zahlreichen Anforderungen bestmöglich ... diese Anforderungen löst, und von allen Beteiligten dann auch mitgetragen wird. Das prämierte Konzept wird dann Grundlage sein für sogenannte Charta Molkenmarkt.“ Eine Auslegungsbitte dieser Passage durch den Tagesspiegel ließ die Pressestelle der Senatsverwaltung bislang unbeantwortet.

Dem Tagesspiegel liegt außerdem eine E-Mail eines Mitarbeiters der Abteilung Abteilung Städtebau und Projekte der Stadtentwicklungsverwaltung vom Juni diesen Jahres vor, der sich im Namen der Senatsbaudirektorin für die Mail des anfragenden Bürgers bedankt, um anschließend den weiteren Verlauf des Verfahrens zu beschreiben: „Damit ist der bereits angesprochene kaskadierende Prozess der Überarbeitung und Weiterentwicklung der Entwürfe durch die Entwurfsteams nach den Überarbeitungsempfehlungen verbunden, sodass im letzten Verfahrensschritt des Werkstattverfahrens ein Entwurf durch die Jury ausgewählt werden kann.“

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